Das Atomkraftwerk Isar 2 ist eines der beiden AKWS, die bis Frühjahr 2023 weiter in Betrieb sein sollen.

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Berlin – In der deutschen Regierungskoalition verschärft sich der Konflikt um die Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Das Präsidium der FDP goss am Mittwoch weiteres Öl ins Feuer, indem es sich sogar für ein Wiederauffahren von drei bereits abgeschalteten Atomkraftwerken aussprach. Die Regierungspartei besteht auch darauf, die Laufzeiten aller drei noch am Netz angeschlossenen AKWs zu verlängern und neue Brennstäbe zu bestellen. Dies hatten die Grünen zuvor neuerlich ausgeschlossen.

Der niedersächsische Landesvorsitzende Stefan Birkner sagte in Berlin, der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck betreibe eine "Salamitaktik" in der Frage der Laufzeitverlängerung. "Dafür ist keine Zeit mehr." Eineinhalb Wochen vor der Landtagswahl in Niedersachsen sagte Birkner, es sei notwendig, dass auch das Atomkraftwerk Emsland in Niedersachsen über den 31. Dezember hinaus betrieben werde. Alles andere sei angesichts der Energiekrise "unverantwortlich". Dafür müssten zusätzliche atomare Brennstäbe bestellt werden. Es könne nicht sein, dass die Grünen-Parteibasis und der niedersächsische Landesverband der Partei die Energiepolitik der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt bestimmten.

Atomkraftwerke bleiben am Netz

Habeck hatte am Dienstag erstmals einen Weiterbetrieb von zwei Atomkraftwerken bis zum Frühjahr eingeräumt. Er gehe davon aus, dass die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim "wohl" im ersten Quartal 2023 am Netz bleiben. Die Entwicklung am französischen Strommarkt sei nämlich deutlich schlechter als prognostiziert. Habeck pocht aber darauf, dass es sich nur um eine "Einsatzreserve" handelt, nicht um eine Laufzeitverlängerung.

Rückendeckung bekam Habeck von seiner eigenen Partei, die zugleich eine längere AKW-Laufzeit ausschloss. "Eine Laufzeitverlängerung über den kommenden Winter hinaus und die dafür erforderliche Neubeschaffung von Brennelementen schließe ich aus", erklärte Umweltministerin Steffi Lemke am Mittwoch. Sie kündigte für den 5. Oktober einen Kabinettsbeschluss zum Umgang mit den AKWs an. Entscheiden muss aber letztlich der Bundestag.

Lemke rief die Ampelkoalition zu Geschlossenheit in der AKW-Frage auf. "Mehrere Jahre (Weiterbetrieb, Anm.) halte ich für nicht verantwortbar, und daran orientieren wir uns, und das sollte die gesamte Bundesregierung meiner Meinung nach tun", sagte sie am Mittwoch in der Sendung "Frühstart" von RTL/ntv. Während Grüne und FDP in dieser Frage schon seit längerem uneins sind, hält sich die SPD von Kanzler Olaf Scholz bisher bedeckt.

Grüne halten am Ausstieg fest

Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, sagte, es sei gut, dass sich der Minister mit den Betreibern der AKWs Isar II und Neckarwestheim verständigt habe. "Ich rechne damit, dass wir das Gesetzgebungsverfahren im Oktober zum Abschluss bringen." Sie unterstrich aber: "Wir reden hier nicht über eine Laufzeitverlängerung. Wir reden auch nicht über den Kauf neuer Brennstäbe. Der Atomausstieg ist beschlossene Sache. Daran rütteln wir nicht."

Laut dem nach der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 beschlossenen AKW-Ausstieg sollten die letzten drei Meiler – neben Isar II und Neckarwestheim noch Emsland in Niedersachsen – mit Jahresende vom Netz gehen. Gegen einen Weiterbetrieb stemmten sich auch die Betreiber, die auf hohe Kosten verweisen. Habeck hatte Anfang September den Plan für eine sogenannte Einsatzreserve der beiden Atomkraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg angekündigt. Das AKW Emsland soll nicht Teil dieser Reserve sein und fristgerecht mit Jahresende abgeschaltet werden.

Kritik auch von Unionsparteien

Kritik an Habecks Ankündigung kam auch von den Unionsparteien. "Das wirkt alles nicht durchdacht. Die Einsicht zur Verlängerung von zwei Kernkraftwerken ist zwar richtig, aber zu spät. Es braucht das Weiterlaufen aller drei verfügbaren Kernkraftwerke bis zum Ende der Krise bis mindestens 2024", teilte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder auf Twitter mit. Söders sächsischer Kollege und CDU-Vizechef Michael Kretschmer wertete es als Ideologie, "dass der Bundeswirtschaftsminister nicht für die Atomkraftwerke jetzt ein generelles Weiterlaufen verfügt, dass er nicht den Preis im Blick hat oder die Versorgungssicherheit, sondern so eine temporäre Lösung anstrebt". (APA, Reuters, 28.9.2022)