Im Missbrauchsfall soll es laut den Ermittlungen 25 Opfer geben, die identifiziert werden konnten. Ein Opfer sagte aus, dass es im Schulturnsaal im Rahmen einer Lesenacht zu einem Übergriff gekommen sei (Symbolbild).

Foto: Regine Hendrich

Wien – Was ist mit jener Anzeige aus dem Jahr 2013 passiert, in der einem Wiener Pädagogen ein konkreter Missbrauchsverdacht vorgeworfen wurde? Das ist eine zentrale Frage, mit der sich aktuell mehrere Behörden in Österreich beschäftigen. Wie berichtet soll der Lehrer zahlreiche Schüler zwischen neun und 14 Jahren missbraucht sowie kinderpornografisches Material angefertigt haben. Das haben aber erst Ermittlungen nach einer weiteren Anzeige im April 2019 ergeben. Der Pädagoge beging nach einer Hausdurchsuchung, bei der große Mengen an explizitem Foto- und Videomaterial sichergestellt wurden, im Mai 2019 Suizid.

Doch schon 2013 – also rund sechs Jahre vor der Hausdurchsuchung – gab es gegen den Betroffenen erste Ermittlungen. Ein ehemaliger Teilnehmer eines Feriencamps am Wolfgangsee, bei dem der Pädagoge über Jahrzehnte im Sommer als Betreuer tätig war, warf dem Mann Übergriffe im Rahmen einer Massage vor. Ein Sprecher der Landespolizeidirektion Niederösterreich bestätigte dem STANDARD, dass der Pädagoge damals auch als Beschuldigter einvernommen worden war.

Doch was aus der Anzeige und der Aussage in weiterer Folge wurde, ist unklar. Laut dem Polizeisprecher wurde der Akt aufgrund des möglichen Tatorts nach Salzburg oder Oberösterreich weitergeschickt. Bei der Staatsanwaltschaft Salzburg hieß es aber auf Anfrage zum STANDARD: "Der Fall ist bei uns nicht im elektronischen Register auffindbar. Es war dementsprechend auch kein Ermittlungsverfahren anhängig." Auch bei den Staatsanwaltschaften Wien, Wiener Neustadt, Wels und Linz gibt es 2013 keine Einträge, wurde versichert.

Am Mittwochabend sagte eine Sprecherin des Justizministeriums in einer Stellungnahme zum STANDARD: "Es gibt aus dem Jahr 2013 kein diesbezügliches Ermittlungsverfahren." Das betrifft demnach ganz Österreich.

Opfer auch im Sportverein

Im Missbrauchsfall soll es laut den Ermittlungen 25 Opfer geben, die identifiziert werden konnten. Weitere mindestens vier Personen haben sich in den vergangenen Tagen bei der Wiener Bildungsdirektion, einer bei dieser angesiedelten Untersuchungskommission sowie bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien gemeldet.

Der Pädagoge war auch jahrelang in führender Funktion in einem Wiener Sportverein sowie in teils mehrtägigen Basketballcamps tätig. Einige Kinder, die vom Pädagogen betreut wurden, dürften missbraucht worden sein. Das berichtete ein Vereinsmitglied, das eng mit dem Lehrer bekannt war, am Mittwoch der APA. Die Opfer stammten oft aus zerrütteten Familien oder wuchsen ohne Väter auf. Ein Opfer soll vom Lehrer mit Schlafmitteln betäubt worden sein, sei aber vorzeitig aufgewacht. "Er wusste, was passiert ist", hieß es.

Anwaltskanzlei äußert Verdacht auf Mittäter

Am Montagabend wurde von einer Anwaltskanzlei, das ein Missbrauchsopfer vertritt, eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht. Demnach gibt es gegen zwei weitere namentlich bekannte Personen den Verdacht des Missbrauchs von Unmündigen sowie den Verdacht des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses. Die beiden Angeführten sollen mit dem Wiener Pädagogen gut bekannt und über die Sportvereinsszene vernetzt gewesen sein. Beide sollen zudem ebenfalls in einem Ferienlager für die Kinderbetreuung zuständig gewesen sein.

Auch in dem Wiener Sportverein, in dem der verstorbene Pädagoge in führender Funktion tätig war, sollen beide in der Sachverhaltsdarstellung genannten Personen engagiert sein. Eine Person, die mit dem verstorbenen Pädagogen sehr gut bekannt war, wurde am Mittwochnachmittag "präventiv von allen Funktionen im Verein karenziert", wie ein Sprecher des zuständigen Sportdachverbands dem STANDARD sagte. Das sei aber als reine Präventivmaßnahme zu verstehen. Beim zuständigen Sportdachverband wisse man von keinen Missbrauchsopfern im Verein, hieß es zum STANDARD. Auch von möglichen Mittätern wisse der Verein nichts.

Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien sagte am Mittwochnachmittag auf Anfrage: "Die Sachverhaltsdarstellung wird noch geprüft." (David Krutzler, 28.9.2022)