Abwärtsfahrt einer Hollywood-Ikone: Ana de Armas verkörpert Marilyn Monroe als Star, der sich im Spiegelkabinett des Celebritytums verliert.

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Marilyn Monroe, der größte weibliche Hollywood-Star ihrer Ära, spricht darüber, wie Filme mit Schauspielerinnen verfahren. "In Filmen wird man in Stücke gehackt." Niemals sei man die letzte Hand, die das Puzzle der Bilder zusammensetzt. Eine Aussage, die mindestens zweideutig ist: Die Diva spricht in Andrew Dominiks Blonde nicht nur über den Montageprozess, also darüber, wie Filme zu einer organischen Form finden. Sie meint auch den Kontrollverlust, der mit der Verdopplung zum Star einhergeht. Das Bild entwickelt ein mysteriöses Eigenleben, es befreit sich von seinem Ursprung – und vermag letztlich länger zu leben als die Darstellerin selbst.

Netflix

Dominiks für Netflix realisierter Film ist selbst so ein Monster. Er behandelt den Preis, um den die 1926 geborene Norma Jeane Mortenson zur Popikone Marilyn Monroe wurde. Und er hackt sie selbst in lauter Puzzleteile. Der von der kubanisch-amerikanischen Schauspielerin Ana de Armas verkörperte Star tritt gegen ein Image an, das ihr von einer sexistischen Industrie aufgedrängt wurde. Schon beim ersten Besetzungsgespräch wird sie von einem Produzenten sexuell missbraucht. Dominiks Blick auf Monroe verläuft über ein spekulatives Naheverhältnis.

Wahn und Wirklichkeit

Als Vorlage für den Film diente Joyce Carol Oates’ Roman aus dem Jahr 2000, der sich bereits große Freiheiten beim Leben Monroes und ihrer Weggefährten herausnahm. Blonde ist mithin kein Biopic, zumindest keines im handelsüblichen Sinn. Anstatt sich durch die Lebensetappen seiner Protagonistin durchzublättern, erzeugt er eine fiebrige Mischung aus Wahn und Wirklichkeit.

Eine Abwärtsspirale entsteht, in der eine von ihrem Umfeld isolierte, verletzbare Person untergeht. Blitzlichter und unduldsame Regisseure (Billy Wilder!) begleiten sie; ihre Ehemänner, der Baseball-Star Joe DiMaggio (Bobby Canavale) und der Schriftsteller Arthur Miller (Adrien Brody), fügen ihr Grausamkeiten zu oder missverstehen sie als Stellvertreterin ihrer Wünsche. Hinter dem opulenten Glitzer und den Nachstellungen ihrer Hollywood-Rollen gibt es kein bürgerliches Leben zu entdecken, das ihr Halt verleihen würde.

Wagemutige Szenen

Dominiks Regie leistet sich wagemutige Entscheidungen, die nicht unbedingt zu den subtilsten Momenten des Films gehören. Ins Hotelversteck von US-Präsident John F. Kennedy wird sie wie eine Geisel geführt, bei der anschließenden Fellatio ist Blonde ein wenig zu ausdrücklich dabei. Der Song Bye, Bye Baby aus Howard Hawks Musical Gentlemen Prefer Blondes wird als Kommentar einer Abtreibung interpretiert, die Monroe nur widerwillig vornehmen lässt. Chayse Irvins Kamera "dringt" sogar zur Gebärmutter vor.

Solche Verdeutlichungen bräuchte Blonde gar nicht, um zu erzählen, dass es Monroe nicht gelingt, sich gegen den Zugriff der Industrie zu wehren. Die berühmte Szene aus The Seven Year Itch, in der sich ihr Kleid durch den Fahrtwind der U-Bahn aufbauscht, deutet Dominik schon treffsicherer zur Peepshow vor einer Traube aus Fotografen um.

Kein Self-Empowerment

Pausenlos gehen Privatszenen in öffentliche Zurschaustellungen über. Und de Armas legt Monroe ohnehin so an, dass kein reales, anderes Ich hinter der Maske des Celebritytums zum Vorschein kommt. Nur leicht verfremdet sie den atemlos-naiven Sprechgesang des Stars – ganz so, als wäre ihr tragisches Leben ihre größte Rolle.

Fraglos kann man Blonde nun den Vorwurf machen, dass er seine Figur viktimisiert. Jede Art des Self-Empowerment fehlt, nur einmal begehrt sie gegen das Lohngefälle gegenüber ihrem Co-Star auf. Doch die halbsubjektive Perspektive des Films weist ihn auch ein Stück weit als Chronique scandaleuse über eine falsche Idee von Selbsterfindung aus. Im Kern erzählt der Film von der Erschaffung und dem Verschwinden weiblicher Subjektivität. Dass es dafür auch die etwas banale Suche nach einer Vaterfigur braucht, die Monroe nie hatte, ist die größte Schwäche eines visuell überbordenden Films. (Dominik Kamalzadeh, 29.9.2022)