Schimpansen werden immer wieder zum Ziel von Tierhändlern und Schmugglern. Dass sie aus Tierasylen gestohlen werden, ist allerdings ein neues Phänomen.

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Entführungen von Menschen zur Erpressung von Lösegeld machen in Afrika zunehmend Schule – ob in Nigeria, Kenia oder Südafrika. Dass auch Tiere aus demselben Grund entführt werden, ist aus dem tierreichen Kontinent bislang noch nie gemeldet worden: Doch auch dieses Tabu scheint jetzt gebrochen zu sein.

In der Demokratischen Republik Kongo haben Unbekannte jüngst des Nachts drei Schimpansen-Kinder aus einem Schutzgebiet für misshandelte Menschenaffen geraubt und fordern von den Besitzern des Primaten-Asyls eine sechsstellige Eurosumme. Der "erste derartige Fall in der Welt", seufzt Adams Cassinga, Direktor der kongolesischen Tierschutzorganisation Conserv Congo: "Der illegale Handel mit wilden Tieren tritt in ein neues Stadium ein."

Gefesselte Menschenaffen

Schon seit 16 Jahren betreibt die Belgierin Roxane Chantereau mit ihrem französischen Ehemann Franck das Zentrum "Jeunes Animaux Confisqués au Katanga" (Jack) in der südostkongolesischen Provinzhauptstadt Lubumbashi. Dort konnten sich zuletzt rund 40 Schimpansen und mehr als 64 andere Affen sicher fühlen. Bis Roxane eines Morgens Mitte dieses Monats zum mehrmaligen Signalton ihres Handys aufwachte: Ein Video lief ein, auf dem César, Hussein und Munga in einem unaufgeräumten Schuppen zu sehen waren.

Auf einem Sims an der Wand stand die fünfjährige Munga mit über dem Kopf gefesselten Armen – als ob sie gekreuzigt worden sei. Ihre beiden jüngeren Leidensgenossen kletterten apathisch über Gerümpel, das auf dem Boden verteilt war. Werde das sechsstellige Lösegeld nicht umgehend bezahlt, würden die drei Schimpansen-Kinder enthauptet und ihre Köpfe zu Roxane geschickt, drohten die Entführer. "Seitdem haben wir nicht mehr geschlafen", klagt die Belgierin im US-Sender CNN.

Kaum mehr Schimpansen in den Wäldern

Den Forderungen der Verbrecher könne auf keinen Fall nachgegeben werden, erklärt ihr Gatte Franck. Nicht nur, weil sie gar nicht über so viel Geld verfügten: Sie wollten auch keinen Präzedenzfall schaffen. "Sonst kommen sie schon in zwei Monaten wieder", sagt Franck: "Und wie können wir sicher sein, dass sie den drei Primatenkindern tatsächlich nichts angetan haben?" Auch die kongolesische Regierung riet dringend davon ab, den Forderungen der Verbrecher nachzukommen.

Tierhändler können auf dem Schwarzmarkt mit mehr als 10.000 US-Dollar pro Schimpansen-Kind rechnen. Auch der weltweite Handel mit den dem Menschen am nächsten verwandten Primaten nimmt immer größere Ausmaße an: Inzwischen wird der Wert des weltweiten Wildtierhandels auf mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Um ein Schimpansen-Kind in der Wildnis zu fangen, muss seine rund zehnköpfige Sippe getötet werden: Sie würde den Raub ihres jüngsten Familienmitglieds niemals zulassen. Lebten zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts noch mehr als eine Million Schimpansen in Afrika, so wird ihre Zahl heute auf nicht viel mehr als 150.000 geschätzt. Für Franck Chantereau besteht kein Zweifel, dass der Entführungsfall in seinem Affen-Asyl Schule machen wird. "In den Wäldern gibt es immer weniger Schimpansen", meint der Primaten-Pfleger: "Sie in Zufluchtsorten wie bei uns zu klauen ist viel einfacher." (Johannes Dieterich, 29.9.2022)