Sisi und Franzl 2022 im Stream bei Netflix: Devrim Lingnau und Philip Froissant.

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Dieses Kind! Läuft barfuß durch die Gegend. Schreibt Gedichte. Versteckt sich hinter dem schweren Vorhang im bayerischen Schloss Possenhofen vor dem ihm zugedachten Ehegespons. Den Langweiler will Sisi nicht heiraten. Sie träumt von einem Mann, "der meine Seele sattmacht".

Das "Narrenhaus" droht

Da bleibt der entnervten Mutter, Erzherzogin Ludovika, nichts anderes übrig, als der renitenten Tochter mit Einweisung ins "Narrenhaus" zu drohen.

In Wien hat es derweil Erzherzogin Sophie, obgleich Kaiserinmutter, auch nicht leicht. Anprobe für die Wintergarderobe, Empfang der Delegation aus Böhmen, Beiwohnung der Hinrichtungen, all das erwartet sie an diesem Tag. "Nicht schon wieder eine Anprobe", seufzt sie genervt.

Psychiatrie, Tod von Aufständischen – schon in den ersten Szenen der neuen, sechsteiligen Netflix-Serie "Die Kaiserin" (Start ist am 29. September) wird deutlich, dass Kaiserin Elisabeth und ihr Schicksal neu gezeigt werden sollen, in einer "frischen und eigenen Interpretation", wie die Macher erklären.

"Auf keinen Fall" – im ersten Anlauf

Denn – und das mag für jene im fortgeschrittenen Alter jetzt unfassbar klingen: Es gibt in der jüngeren Generation welche, die die picksüße Nachkriegs-Ur-Sisi-Trilogie mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm gar nicht (mehr) kennen.

Auch Head-Autorin Katharina Eyssen hatte zunächst Zweifel bezüglich des schwer belasteten Stoffs. "Da auch ich mit den 'Sissi'-Filmen aufgewachsen bin, habe ich im ersten Anlauf gesagt: auf keinen Fall", erklärt sie.

Aber dann sei sie eines Nachts aufgewacht und habe gewusst: "Doch, das müssen wir machen." Und es ist ja auch nicht die erste Abnabelung der jüngsten Zeit. Im Vorjahr lief bei RTL die Serie "Sisi", dann folgte Marie Kreutzers Kinofilm "Corsage".

Kein Fuzerl Kaiservilla

Jetzt also: "Die Kaiserin". Natürlich steht Elisabeth, gespielt von der 24-jährigen Devrim Lingnau, im Vordergrund. Aber Eyssen sowie Katrin Gebbe und Florian Cossen (Regie) wollten auch Kaiser Franz Josef nicht zu kurz kommen lassen. "Du hast mich daran erinnert, wie ich war, bevor ich Kaiser werden musste", sagt der nicht minder Unglückliche, dargestellt von Philip Froissant (28) zur Frau seines Herzens.

In der ersten Folge steht zunächst das Kennenlernen an. Dies ist für die mit Romy Schneider, Brigitte Hamann und anderen Historikerinnen und Historikern Vertrauten wirklich hart. Nicht ein Fuzzerl der Kaiservilla in Bad Ischl oder von Schloss Schönbrunn ist zu sehen. Gedreht wurde in und vor deutschen Schlössern. Die sehen nun mal echt anders aus, das "Schönbrunner Gelb" fehlt gänzlich.

Dagegen stinkt Franzl ab

Aber, sei's drum, man dachte da bei Netflix mehr an die globale Streaming-Gemeinde. Diese sieht Devrim Lingnau als schwer zu zähmende Sisi. Überschäumend, verträumt, leidenschaftlich, über einen Mangel an Facetten kann man sich nicht beschweren. Dagegen stinkt der Franzl von Froissant etwas ab.

Manchmal hat Kaiserin Elisabeth (Devrim Lingnau) auch ein bisschen Spaß, zum Beispiel mit ihrem Schwager, Erzherzog Maximilian (Johannes Nussbaum).
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Wer aber in dieser Serie die Disziplin der Gnadenlosigkeit am besten beherrscht, ist schnell klar: Melika Foroutan, die Kaiserinmutter Erzherzogin Sophie spielt. Dabei hat sie sogar manchmal ein Ohr für die Sorgen der schwierigen Schwiegertochter. Aber sie lässt sich niemals erweichen. Die Dynastie steht immer an erster Stelle. Immer.

Nicht nur deshalb erinnert "Die Kaiserin" an die Netflix-Serie "The Crown" über das englische Königshaus unter der eben verstorbenen Queen Elizabeth II. Auch bei Netflix-Sisi sind die royale Verwandten nicht bloß zum Statistendasein in schönen Kleidern verdonnert.

Das Scheitern des Bruders

Nebst Erzherzogin Sophie entwickelt vor allem des Kaisers Bruder, Erzherzog Maximilian, ein reges Eigenleben. Schauspieler Johannes Nussbaum hat sichtlich Freude, diesem beim Scheitern an den Frauen und der Karriere ein freches Gesicht zu geben.

Er und Sisi sind die Underdogs am Hof und einander deshalb zugetan. "Das Leben ist ein Rausch, ich lasse mich einfach treiben, denn für was anderes braucht man mich nicht", bilanziert die bedrückte Kaiserin, als sie schon längst die Ablenkung durch allerlei nächtliche Genüsse entdeckt hat.

Unglücklich, aber exzellent gekleidet

Fürchterlich unglücklich sind sie alle im kaiserlichen Haushalt, aber immerhin exzellent und opulent gekleidet. Die schwere Pracht der Schlösser hingegen suggeriert vor allem eines: Der Einzelne bedeutet hier wenig, selbst wenn er eine Krone trägt. Die Frauen würden gern anders, können aber nicht.

Mit der historischen Wahrheit darf man es beim Kaiserinschauen nicht allzu genau nehmen, als Familiensaga kann die Serie mit dem Unterhaltungsfaktor der Windsors aber gut mithalten, wenngleich viele Sätze ein bisschen zu "gemeißelt" sind. Und anders als bei den 50er-Jahre-Filmen gibt es noch Menschen außerhalb der Palastmauern und ein bisschen Politik. Das tut der Geschichte gut.

Aber da wäre für die nächsten Folgen noch Luft nach oben. Man kann davon ausgehen, dass es eine weitere Staffel geben wird. (Birgit Baumann, 29.9.2022)