Im Kreis ihrer Partei und gegenüber ihren künftigen Regierungspartnern Lega und Forza Italia wiederholt es Giorgia Meloni wie ein Mantra: "Ich will eine Regierung mit hochkarätigen Persönlichkeiten, mit denen wir in Italien und im Ausland ,bella figura‘ machen können." Im künftigen Kabinett soll kein Platz sein für Minister, "die mir nur Probleme bereiten und für unnötige Polemiken sorgen". Die wahrscheinliche Nachfolgerin von Mario Draghi an der Spitze der italienischen Regierung kennt die besorgten Reaktionen, die ihr Wahlsieg ausgelöst hat. Sie will sich auf keinen Fall einen Fehlstart leisten.

Einfach ist Melonis Aufgabe nicht – in ihrer Partei herrscht nicht eben Überfluss an ministrablen Personen. Doch das größte Kopfzerbrechen, nicht zuletzt auf zwischenmenschlicher Ebene, bereitet ihr Matteo Salvini: Der Lega-Chef ist nicht nur künftiger Regierungspartner, sondern auch erbitterter Rivale – Salvini wollte mit den Fratelli d’Italia wenigstens mithalten, wurde aber vernichtend geschlagen mit knapp 9 zu 26 Prozent.

Meloni im Minenfeld

Salvini erhebt weiter den Anspruch auf ein Comeback im Innenministerium. Die Regierungschefin in spe teilt zwar Salvinis extrem restriktive Haltung gegenüber Immigranten, aber gegen Salvini laufen wegen dessen "Politik der geschlossenen Häfen" immer noch Prozesse wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauchs. Einen Innenminister Salvini will Meloni Staatspräsident Sergio Mattarella, der im Oktober die Kabinettsliste genehmigen muss, nicht noch einmal zumuten.

Nach dem schrillen Wahlkampf ist Giorgia Meloni in Sachen Europa nun auf Besonnenheit bedacht.
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Gleichzeitig muss Meloni versuchen, ihren ewigen Konkurrenten nach dessen Wahlschlappe nicht noch zusätzlich zu demütigen: Salvini steht innerhalb seiner Partei unter großem Druck; aus den früheren Lega-Hochburgen im Norden kommen Rücktrittsforderungen. Im schlimmsten Fall droht eine Parteispaltung – und eine implodierende Lega kann nicht im Interesse Melonis sein: Ohne Salvinis Partei hätte die Rechtskoalition aus Fratelli d’Italia, Silvio Berlusconis Forza Italia und der Lega im Parlament keine Mehrheit mehr. Als gesichtswahrenden Ausweg für Salvini könnte man dem angeschlagenen Lega-Chef das Amt des Vizepremiers anbieten, heißt es deshalb bei Melonis Fratelli d’Italia.

Mit Bedacht will Meloni bei der Besetzung der Schlüsselressorts vorgehen. Das sind in der heutigen geopolitischen und konjunkturellen Situation mit Ukraine-Krieg, Energieknappheit, Inflation und steigenden Zinsen das Außen-, das Finanz- und das Wirtschaftsministerium. Für Äußeres ist Antonio Tajani (Forza Italia) im Gespräch, der als ehemaliger Präsident des Europaparlaments in Brüssel gut vernetzt ist. Bezüglich der Unterstützung der Ukraine ist Tajanis Partei zwar wenig verlässlich, aber Meloni hat in einer Twitter-Botschaft an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bereits versichert, dass sich an der von Mario Draghi formulierten Politik – Unterstützung der Sanktionen gegen Moskau, Lieferung auch schwerer Waffen an Kiew – nichts ändern werde.

Auch in der Finanzpolitik will Meloni erst einmal nicht von dem von Draghi eingeschlagenen Weg der Zurückhaltung und Verlässlichkeit abrücken. Sie hat mit ihrem Vorgänger bereits Kontakt aufgenommen im Hinblick auf die Ausarbeitung des Budgets für 2023. Die Gesprächsbereitschaft liegt auch am Terminplan: Einen ersten Entwurf des Budgets muss Italien bereits Ende Oktober nach Brüssel schicken – und da wird die neue Regierung, wenn überhaupt, ihre Arbeit erst seit wenigen Tagen aufgenommen haben. Die scheidende Regierung wird den Entwurf nun in permanenter Absprache mit der Wahlsiegerin ausarbeiten.

Hilfe beim Budget

Meloni hat mehrfach geäußert, dass eine Erhöhung des Defizits nur als Ultima Ratio infrage komme; sie will nicht gleich mit dem ersten wichtigen Geschäft auf Konfrontationskurs mit der EU-Kommission gehen. Als mögliche Nachfolger von Finanzminister Franco sind Fabio Panetta und Domenico Siniscalco im Gespräch – ausgewiesene Fachleute: Panetta ist Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB), Siniscalco führte 2004/2005 schon einmal das italienische Finanzministerium.

Mit ihrem Pochen auf Budgetdisziplin steht Meloni in starkem Kontrast zu ihren Koalitionspartnern Salvini und Berlusconi, die im Wahlkampf Wohltaten versprochen haben, die den Staatshaushalt um mehr als 100 Milliarden belasten würden. Salvini hat schon klargemacht, dass für ihn eine Erhöhung der Neuverschuldung keineswegs ein Drama wäre. (Dominik Straub aus Rom, 29.9.2022)