Am Wiener Ballhausplatz zählten die Veranstalterinnen und Veranstalter 4.000 Demonstrierende.

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Wien – In weiten Teilen des Landes sind heute Menschen auf die Straße gegangen, um für die Rechte von Menschen mit Behinderung zu demonstrieren. Kritisiert werden Mängel in dem Anfang Juli beschlossenen Nationalen Aktionsplan Behinderung (NAP) und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Außer in Graz fanden in allen Landeshauptstädten Demonstrationen und Mahnwachen statt. Insgesamt nahmen an den Protesten über 4.000 Menschen teil, der Großteil davon in Wien.

Vor dem Kanzleramt am Wiener Ballhausplatz zählten die Veranstalter rund 4.000 Teilnehmende. Die Wiener Landespolizeidirektion gab dazu keine Auskunft. In den Landeshauptstädten waren es deutlich weniger. 250-300 Personen nahmen an der Aktion in Innsbruck teil. Je 80 Personen in Klagenfurt und St. Pölten, 70 vor dem Linzer Landhaus und 40 am Salzburger Mozartplatz. In Eisenstadt waren es lediglich acht. Die Vorarlberger Lebenshilfe, die die dortige Demonstration organisierte, zählte ebenfalls über 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Kritik an Aktionsplan und UN-Konvention

Kritisiert wird, dass Österreich zwar bereits 2008 die entsprechende UN-Konvention unterzeichnet hat, Kinder und Jugendliche mit Behinderungen aber noch immer nicht den gleichen Zugang zu Bildung haben wie jene ohne Behinderungen. Barrierefreiheit sei weiter die Ausnahme und nicht die Regel. Auch könnten viele Menschen mit Behinderungen nicht selbstbestimmt leben, weil sie keinen Zugang zu Persönlicher Assistenz haben.

Dieses Fehlen von Persönlicher Assistenz führe in vielen Fällen zu unvermeidbaren Notsituationen. "Teilweise wurden die Stundensätze für soziale Dienstleistungen und auch Persönliche Assistenz Jahre lang nicht an die Inflation angepasst. Behinderten Menschen droht nicht nur die Armutsfalle, sie geraten in persönliche Notsituationen. Dann ist z.B. Schlafen im Rollstuhl oder wenig Trinken, um nicht auf die Toilette zu müssen, der einzige Ausweg", schildert Christoph Dirnbacher, geschäftsführender Vorstand der WAG Assistenzgenossenschaft im Vorfeld der Demonstrationen in einer Aussendung.

Forderungen in den Bereichen Bildung, Arbeit und Infrastruktur

Neben der Assistenz bemängeln Vereine und NGOs zur Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderung vor allem das Fehlen eines inklusiven Bildungssystems, barrierefreier Gebäude, Kommunikation und Online-Anwendungen und existenzsichernder Arbeit nach dem Motto "Lohn statt Taschengeld". Brigitte Heller vom Verein Lichterkette forderte außerdem ein Schulfach zur Förderung der psychischen Gesundheit. Diese Forderungen riefen die Demonstrierenden in Richtung Kanzleramt, in dem gerade der Ministerrat tagte.

"Das ist kein 'nationaler' Aktionsplan. Das ist ein Stückwerk aus mehr oder weniger fortschrittlichen Maßnahmen. Hier ist weder ein nationaler Schulterschluss aller Länder zu erkennen noch ist eine Gesamtstrategie aller Ministerien sichtbar. Eine nationale behindertenpolitische Gesamtstrategie fehlt nach wie vor", sagt Markus Neuherz, Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich.

Am Ende mit der Geduld

Ähnlich unzufrieden mit dem Aktionsplan Behinderung ist auch Martin Ladstätter, Obmann BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben: "Dieser NAP ist über weite Strecken eine Dokumentation des Scheiterns. Er wird unseren Alltag nicht verbessern. Handelt endlich und setzt Punkte aus dem Regierungsprogramm wie 'Lohn statt Taschengeld' oder 'Persönliche Assistenz österreichweit um! Unsere Geduld im am Ende".

Unterstützung für die Demonstration kommt auch aus der Opposition. "Auslöser für die Demonstration sind die massiven Versäumnisse der Bundesregierung", sagt NEOS-Behindertensprecherin Fiona Fiedler. "Daher ist es gut und notwendig, dass die Menschen dafür heute auf die Straße gehen. Es muss sich endlich etwas tun." Die Kritik an der Bundesregierung teilt auch die FPÖ: "Unsere tiefste Überzeugung ist es, dass Menschen in diesem Land an Arbeit, Bildung und Gesellschaft teilhaben müssen und dabei nicht von einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung gebremst werden. Es ist absolut unerheblich, inwieweit der Nationale Aktionsplan umgesetzt wird, denn rauskommen wird dabei nichts, wie wir es bisher gesehen haben", so der freiheitliche Behindertensprecher Christian Ragger. (APA, 28.9.2022)