In diesem Gastblog spricht Viktoria Pammer-Schindler mit Stefan Baumgarten und Şebnem Bahadır-Berzig über Digitale Interaktion.

Stefan Baumgarten und Şebnem Bahadır-Berzig haben Professuren am Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaften der Karl-Franzens-Universität Graz. Baumgartens Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Translation und des gesellschaftlichen digitalen Wandels. Bahadır-Berzigs Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Dolmetschen. Dabei konzentriert sie sich vor allem auf Dolmetschhandlungen vor dem Hintergrund von Migration und gesellschaftlicher Integration und Partizipation.

Digitale Technologien verändern die Berufe von Übersetzern und Übersetzerinnen

Der Prozess des schriftlichen Übersetzens ist in der heutigen Zeit zu großen Teilen vom Einsatz digitaler Übersetzungstechnologien abhängig. Grundsätzlich wird dabei mit zwei Hauptarten von Systemen gearbeitet. Auf der einen Seite stehen Maschinenübersetzungssysteme, die auf künstlicher Intelligenz und Sprachdaten basieren, erklärt Baumgarten. Auf der anderen Seite stehen sogenannte "Translation Memory Systeme", welche den menschlichen Übersetzern und Übersetzerinnen passende Übersetzungslösungen aus einer großen Datenbank vorschlagen, die dann jeweils akzeptiert, umgeändert oder abgelehnt werden können. Klassische Übersetzungsprozesse schriftlicher Texte würden mittlerweile fast ausschließlich im literarischen Bereich beibehalten.

Im Bereich des Übersetzens entstehen immer mehr Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine.
Foto: https://www.istockphoto.com/de/portfolio/IlyaLukichev

Die größte Menge an heutzutage übersetzten Texten sind aber sogenannte Funktions- oder Gebrauchstexte, etwa Anleitungen. Diese werden tatsächlich hauptsächlich mithilfe von digitalen Übersetzungstechnologien bearbeitet werden. "Diese Texte werden nun von Menschen noch vor der Maschinenübersetzung prä-editiert, damit die Maschinenübersetzung qualitativ besser ist und der manuelle Post-Edit danach weniger aufwendig ist. Das Berufsbild der Übersetzer und Übersetzerinnen hat sich also substanziell geändert", so Baumgarten.

"Das Prä-Editieren und Post-Editieren sind wichtige Aufgabenbereiche für die zukünftigen Übersetzer und Übersetzerinnen", ergänzt Bahadır-Berzig. So gesehen könne man die Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine beinahe als Kooperation zwischen 'Kollegen' und 'Kolleginnen' betrachten. Dabei stehe das Maschinenübersetzungssystem natürlich nicht auf Augenhöhe mit menschlichen Übersetzern und Übersetzerinnen. Welchem menschlichen Kollegen unter Übersetzern und Übersetzerinnen würde man schon vorab extra einen Text vereinfachen?

In der mündlichen Übersetzung haben vor allem digitale Kommunikationstechnologien Einzug gehalten: "Die Pandemie hat uns dazu gezwungen, dass in allen Bereichen des Dolmetschens die Technologie nun zwischen den kommunizierenden Personen steht. Bisher war das Dolmetschen von gesprochener Sprache größtenteils eine physische, körperliche Interaktion, bei der die Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen zum Beispiel an einem Tisch sitzen", erklärt Bahadır-Berzig. "Der Dolmetscher oder die Dolmetscherin ist als Mittler bereits ein gewisser Störfaktor und übt einen verfremdenden Effekt aus. Und nun wird auch noch eine Technologie zwischengeschaltet, wie zum Beispiel Zoom." Dieser Umstand wirke sich auf die Kommunikationsdynamik aus, so Bahadır-Berzig und Baumgarten.

Übersetzen in gewissen Situationen nur durch Technologie möglich

"Es gibt allerdings Situationen, wo Technologie, und auch die vollautomatisierte Maschinenübersetzung mit all diesen Schwächen ihre absolute Berechtigung hat", betont Bahadır-Berzig. Sie nennt dazu zwei Beispiele: "In migrantischen und Flüchtlingskontexten kann es passieren, dass Dolmetscher und Dolmetscherinnen manches aus den Aussagen der Flüchtlinge glattbügeln oder weglassen. Entweder weil sie sich als verlängerten Arm der Institutionen definieren (oder eben mit einem solchen Auftrag eingesetzt werden) oder vielleicht auch, weil sie denken: Das passt jetzt nicht, das wird zu Konflikten führen. Zusätzlich gibt es Situationen für Flüchtlinge, in denen menschliche Dolmetscher und Dolmetscherinnen nicht zur Verfügung stehen. Hier können Maschinenübersetzungssysteme eine Alternative bieten."

Als zweites Beispiel nennt sie die Zuschaltung von Dolmetschern und Dolmetscherinnen zum Beispiel in Krisengebieten wie nach einem Erdbeben, wo diese nun mittels digitaler Kommunikationstechnologien einfach aus der Ferne unterstützen können. "Auch rudimentäre Dolmetsch-Apps, so wenig qualitätsvoll sie aus professioneller Sicht sind, können also Leben retten," so Bahadir-Berzig.

Multilingualität ist unser Reichtum

Ein wesentliches Problem in der Translation durch digitale Übersetzungstechnologien liege in der Annahme, dass es für jeden Text eine richtige und neutrale Übersetzung gebe. Texte beinhalten jedoch nicht nur sprachliche, sondern auch stilistische, ästhetische und kulturelle Elemente, und "Dolmetscher und Dolmetscherinnen leisten kreative Arbeit", betont Baumgarten. Von künstlicher Intelligenz gesteuerte Maschinenübersetzungssysteme beinhalten das Risiko, dass ihre maschinelle ‚Interpretation‘ nur auf bereits gespeichertem, nicht kontextualisiertem Sprachwissen beruht.

Dabei sind maschinelle Übersetzungen nicht unbedingt als neutral zu betrachten: "Es ist zu erwarten, dass diese Systeme gängige stereotypische Wahrnehmungen und Kommunikationen unserer Gesellschaft reproduzieren. Um ein Beispiel zu geben: Berufsbezeichnungen aus Sprachen ohne explizite Genderbezeichungen, etwa aus dem Englischen ins Deutsche, erhalten in der Regel eher eine männliche Maschinenübersetzung, somit wird oft aus der geschlechtsneutralen Bezeichnung 'researcher' die männliche Form 'Forscher'", erläutert Baumgarten. Weiters sei zu befürchten, dass durch die stetig vermehrte Maschinenübersetzung global einheitliche Sprachkonventionen umgesetzt werden.

Als ein Beispiel nennt Baumgarten die Übersetzung von Überschriften in Anleitungen: "Im Englischen hatte man in Anleitungen immer schon eher eine dialogische Form, im Deutschen ursprünglich eher eine nominalisierte Form. Im Englischen waren also zum Beispiel die Überschriften eher als Frage formuliert: 'Wie kann ich dieses Medikament verwenden?' Im Deutschen hieße das ursprünglich eher: 'Verwendung des Medikaments'. Durch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Globalisierung – wohlgemerkt nicht ausschließlich durch Maschinenübersetzung – hat sich auch dies geändert, sodass wir jetzt auch im Deutschen seit einigen Jahren diese Überschriften in Frageform haben. Natürlich wird die qualitativ stetig zunehmende Maschinenübersetzung diesen Prozess der Vereinheitlichung – und zwar in allen Sprachen – weiter ankurbeln."

Die Idee von kultur- und sprachübergreifend einheitlichen Sprachkonventionen ist für Baumgarten und Bahadır-Berzig weder realistisch noch wünschenswert. Im Gegenteil, das Aufrechterhalten der sprachlichen und kulturellen Diversität sehen sie als zentrale Aufgabe der Translationswissenschaft, denn kulturelle und sprachliche Diversität sei, so Baumgarten, "neben der ökologischen Vielfalt genau unser Reichtum, den wir zu schützen haben".

Übersetzen ist Interpretieren

Dieser Reichtum durch Vielfalt ermögliche letztendlich unterschiedliche Denk- und Lösungsansätze ganz im Sinne von Wittgensteins berühmter Aussage "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt". Er macht aber Interpretation zu einem notwendigen Teil von Übersetzung.

Sowohl Bahadır-Berzig als auch Baumgarten plädieren daher für einen hybriden Ansatz, in dem menschliche Übersetzer und Übersetzerinnen eingebunden sind und – stärker als dies in den derzeitigen Maschinenübersetzungssystemen möglich ist – mit diesen interagieren können. "Gerade der Moment, in dem Dolmetschen mit einer sehr starken Technologisierung zusammenfällt, macht uns paradoxerweise erst so richtig klar, wie human, flexibel und vielschichtig jeglicher Dolmetsch- oder Übersetzungsaktakt ist und wie unabdingbar die Kooperation zwischen Mensch und Maschine ist", schließt Bahadır-Berzig. (Viktoria Pammer-Schindler, Mia Bangerl, 30.9.2022)