Dortmunds Marco Reus verletzt am Boden. Bilder wie diese häufen sich.

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Frankfurt/Main – Das zunehmend lauter werdende Wehklagen über die ungesund hohe Belastung der Fußballprofis ist offensichtlich ein Lamento mit Hintergrund: Neue Zahlen belegen, dass die Anzahl der Verletzungen in den fünf großen europäischen Fußballligen immens in die Höhe geschnellt ist. Laut der Studie des britischen Versicherungsmaklers Howden lag die Summe der Blessuren in der vergangenen Saison um 20 Prozent höher als in der Spielzeit zuvor.

Neben dem sportlichen Aspekt lohnt sich dabei vor allem ein Blick auf die Finanzen. Howden beziffert die Kosten für die Erstligisten aus Deutschland, England, Spanien, Italien und Frankreich aufgrund der Verletzungen auf 610 Millionen Euro. Angesichts dieses Rekordwertes relativiert sich der vorherrschende Kommerz-Ansatz des Profifußballs, der höhere Gewinne durch mehr Spiele vorsieht.

Die Klubs der englischen Premier League (1.231 Verletzungen, 938 in der Vorsaison) wiesen mit 219 Millionen Euro die höchsten Kosten auf. Die deutschen Bundesligisten (1.205 Verletzungen, 902 in der Vorsaison) zahlten 82,77 Millionen Euro. 44 Prozent dieser Ausgaben entfielen laut der Studie auf Meister Bayern München und Borussia Dortmund. Der Rechnung liegen die Ausgaben pro Tag für einen Spieler zugrunde, die mit der Anzahl der Ausfalltage multipliziert wurden.

Die Zahlen sind Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Sie befürchten vor allem angesichts der Winter-WM in Katar (20. November bis 18. Dezember) und dem daraus resultierenden Dauereinsatz der Spitzenspieler einen weiteren Anstieg an Verletzungen.

Klopp: "Gegen die Wand"

Jürgen Klopp bereitet die stetig wachsende Zahl an Ausfällen Sorgen. "Es gibt nur eine Richtung, wohin das führt – und das ist gegen die Wand", sagte der Teammanager des FC Liverpool zuletzt im "Kicker". Nach Ansicht Klopps gibt es "zu viele unterschiedliche Interessenvertreter", von denen "keiner an die Spieler denkt". Doch der Fußball sei "nur richtig schön", wenn die "Besten auf dem Feld sind".

Dass dies mit Blick auf die kommenden Monate nur ein frommer Wunsch sein wird, scheint fast sicher. Der Blick auf den übervollen Terminkalender lässt jedenfalls nichts Gutes vermuten. Viele Nationalspieler werden mit weit über 20 Partien auf dem Buckel und ohne echte Vorbereitung, geschweige denn einer Regeneration, in die WM gehen.

Kurze Verschnaufpausen

Nach Ansicht der Spielergewerkschaft FIFPro ist das ein Unding. Sie fordert die Schaffung von Strukturen, um die Belastung der Profis zu begrenzen. Aber das ist bestenfalls Zukunftsmusik. Schließlich liegt zwischen dem vorerst letzten Ligaspiel und dem WM-Beginn lediglich eine Woche. Nach der Endrunde wird es für die meisten Profis in Europa nicht besser. So steht in der Premier League am zweiten Weihnachtsfeiertag der traditionelle Boxing Day auf dem Programm, mit dem die Saison fortgesetzt wird.

In Frankreich geht es am 28. Dezember weiter, in Spanien rund um Silvester, in Italien am 4. Jänner. Der große Profiteur dieser Terminhatz könnte am Ende die deutsche Bundesliga sein. Da die deutsche Eliteklasse erst am 24. Jänner wieder den Betrieb aufnimmt, könnte die längere Erholungsphase für die im Europacup verbliebenen Mannschaften ein Vorteil sein.

Auch bei diesem Aspekt wird der Kommerz-Ansatz übrigens ad absurdum geführt: Schließlich kann sich die Liga die längere Pause nur deshalb leisten, weil sie im Vergleich zwei Mannschaften weniger aufweist – und sich damit vier Spieltage spart. (sid, red, 29.9.2022)