Kehrt von New York nach Chicago zurück: Jeremy Allen White als Meisterkoch Carmen "Carmy" Berzatto in "The Bear: King of the Kitchen".

Foto: Disney+ / FX Networks

Geraten in "The Bear" oft aneinander: Carmen "Carmy" Berzatto (Jeremy Allen White, links) und Richard "Richie" Jerimovich (Ebon Moss-Bachrach, rechts). Mittendrin: Lionel Boyce als Marcus.

Foto: Disney+ / FX Networks

Alles im roten Bereich. Zwar fliegen keine Messer durch die Küche des italienischen Beefsandwich-Lokals in Chicago, aber viel fehlt nicht. Es trägt nicht zur Entspannung bei, dass zwei Männer zugleich den Ton angeben wollen. Während der eine darangeht, alles umzukrempeln, beharrt der andere darauf, so weiterzumachen wie bisher. Ihr Gerangel macht die ohnehin stressige Arbeit für die Angestellten nicht leichter. Alle agieren sie wie in einem Druckkochtopf, der jederzeit hochgehen kann. Das ist so nervenaufreibend wie fesselnd.

Es dauert einige Zeit, bis der Druck in "The Bear: King of the Kitchen" nachlässt, sich der Tonfall entschärft. Bis dahin serviert die achtteilige, in den USA hochgelobte Serie, die am Mittwoch auf Disney+ auch in Österreich startet, nur Bruchstücke der Biografien ihres Personals. Umso klarer zeichnen sich im stressigen Ambiente hingegen die Temperamente und Persönlichkeiten ab.

Im Fokus der von Christopher Storer ("Ramy", "Eighth Grade") kreierten Serie steht Carmen "Carmy" Berzatto, ein prämierter Spitzenkoch, der von New York nach Chicago zurückkehrt, um das abgewirtschaftete Sandwich-Restaurant seines verstorbenen Bruders Michael zu übernehmen. Wenig Freude an Carmys Innovationsdrang zeigt zunächst Richard "Richie" Jerimovich, der beste Freund des Verstorbenen und bisherige De-facto-Geschäftsführer des Lokals. Jeremy Allen White als geknickter Stargastronom zwischen Euphorie und Melancholie und Ebon Moss-Bachrach ("Girls") als Sturschädel geben ideale Sparring-Partner ab.

Kein "Food Porn"

Zwar vermitteln Zwischenschnitte von flinken Handgriffen mit dem Messer einiges von der Faszination des Kochens, und in Zeitlupe auf Fleisch segelnde Gewürze machen garantiert Lust aufs Essen. "The Bear" liefert aber nicht wirklich "Food Porn". Wenn sich Carmy in Rückblenden an seine Tage im New Yorker High-End-Restaurant erinnert, dann wird nicht der Anblick von Essenskreationen gefeiert, sondern ein toxisches Arbeitsverhältnis fühlbar gemacht.

Carmy hat aber offenbar aus seinen albtraumhaften Erfahrungen gelernt. Beim Personal besteht er auf der gegenseitigen Anrede als "Chef", also als vollwertige Köchinnen und Köche. Es ist eine bunte Schar, die er in der Küche versammelt, in einer Blase, die nur selten verlassen wird. Während die junge Sydney (Ayo Edebiri) als Köchin so talentiert wie unerfahren ist, hat auch sie in der sturen Tina (Liza Colón-Zayas) eine Veteranin als Gegenüber, mit der sie sich erst zusammenraufen muss. Inmitten einer Veteranenschar darf sich Marcus (Lionel Boyce), angestachelt von Carmy, vom Brotbäcker zum Konditor entwickeln.

Trailer zu "The Bear: King of the Kitchen".
JoBlo Streaming & TV Trailers

Das ist nicht so harmlos, wie es klingen mag. Denn gekocht wird meist gegen die Uhr und auf ziemlich hohem Adrenalinpegel, Medikamentenmissbrauch inklusive. Ein ererbter Schuldenberg sorgt zusätzlich für Druck. Beim kurzen Verschnaufen vor dem Lokal gibt es ein paar Blicke auf ein alltägliches Chicago. Ansonsten dringt die Außenwelt nur fallweise in die Sphäre der Arbeit ein, etwa mit Carmys Schwester Natalie (Abby Elliott) oder wenn der einstige Starkoch eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Alkoholkranken besucht. Selbst die Lokalgäste spielen kaum eine nennenswerte Rolle.

"The Bear" funktioniert aber als fein gespielte Charakterstudie einer familienähnlichen Leidensgemeinschaft so gut, dass sich das Bedürfnis nach frischer Luft in Grenzen hält. Dass die acht meist halbstündigen Folgen wie geschmiert runtergehen und zum Binge-Watching einladen, mag nicht zuletzt am handverlesenen Soundtrack liegen. Van Morrison hat hier ebenso seinen Platz wie The Flowerpot Men, Radiohead oder die Counting Crows. Am emblematischsten ist aber der Song einer Gruppe, die zu den Aushängeschildern der Stadt gehört: "Via Chicago" von Wilco, zu hören schon in Folge eins. Am Ende der letzten Folge hat sich manche Spannung gelöst, der eine oder andere Charakter an Kontur gewonnen, ein Bedürfnis aber definitiv gesteigert: das nach der nächsten Staffel. (Karl Gedlicka, 5.10.2022)