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Wer künftig den ersten Wiener Gemeindebezirk betreten möchte, wird in das Visier von Überwachungskameras geraten. So lautet zumindest der Plan der rot-pinken Stadtregierung. Hintergrund ist das Ziel, den Verkehr in der Innenstadt deutlich zu reduzieren – was allerdings noch der Umsetzung harrt. Dies rief diese Woche die Wiener Grünen auf den Plan, die mehr Tempo forderten. Und auch Datenschützer erhöhen nun den Druck.

Die Grundrechts-NGO Epicenter Works hat die geplante Kameraüberwachung bereits harsch beanstandet – zuvor gemeinsam mit anderen Datenschutz- sowie Umweltorganisationen. Diese Kritik baut sie nun unter Bezugnahme auf ein Papier der Universität für Bodenkultur (Boku) aus dem Jahr 2020 aus.

Demnach führen Experten ein Gutachten ins Treffen, das besagt, dass das Konzept mit Kameraüberwachung weniger effektiv sein dürfte als ein Konzept, das noch unter der Ägide der grünen Verkehrsstadträtin Birgit Hebein vorgestellt wurde – und auf technische Überwachung verzichtet. Und: Dieses Konzept sei von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und der umstrittenen Rechtsabteilung im Rathaus mit fragwürdigen Argumenten abgedreht worden. Argumente, die zudem offenbar genauso für das aktuelle Projekt zutreffen würden.

Worum es geht

Im Kern will die Stadt Wien den Verkehr in der Innenstadt einschränken. Künftig sollen dort nur noch ausgewählte Fahrzeuge – etwa Ortsansässige, Busse, Taxis oder Zulieferer – unterwegs sein dürfen. Wie das konkret umgesetzt werden soll, da gehen die Meinungen je nach politischer Zusammensetzung der Stadtregierung aber auseinander.

Nach dem aktuellen Plan von Rot-Pink soll das Verbot erst nach einer halben Stunde, nachdem man sich in den Bezirk begeben hat, gelten – so lange ist eine Durchfahrt auch für alle anderen gestattet. Die Ausnahmen sollen mit Videokameras kontrolliert werden. Die Bilder würden dann automatisiert mit Datenbanken abgeglichen, um zu ermitteln, ob das jeweilige Fahrzeug zu einem längeren Aufenthalt berechtigt ist. Ist es das nicht, so ist noch offen, wie die Strafen verhängt werden: Ein Papier, das zu Beginn des Sommers publik wurde, stellte etwa die Option in den Raum, der Polizei direkt Zugriff auf die Bilder aus den Kameras zu gestatten. Alternativ dazu könnten Beamtinnen und Beamte der Stadt Wien Unbeteiligte – etwa Passantinnen oder Beifahrer – vorab verpixeln, bevor sie die Aufnahmen an die Exekutive weiterleiten, oder dies geschehe automatisiert, hieß es.

Rechtliche Bedenken

Eine Umsetzung ohne Kameras hatte Stadträtin Hebein vor der Wien-Wahl 2020 geplant. Anders als beim aktuellen Konzept wäre eine Durchfahrt für Fahrzeuge, die nicht in die Ausnahmen fallen, stets verboten. Markierungen auf der Straße und Schilder hätten das Fahrverbot geregelt, kontrolliert worden wäre aber nicht mit Kameras, sondern mit wöchentlichen Planquadraten der Polizei. Gegen diesen Plan legte Bürgermeister Ludwig allerdings ein Veto ein – wegen rechtlicher Bedenken.

Michael Ludwig kündigte das Aus damals an.

Der Rechtsabteilung im Rathaus zufolge – ihre Argumente liegen dem STANDARD im Detail vor – verstoße das Vorhaben gegen mehrere (Grund-)Rechte. Etwa gegen das Sachlichkeitsprinzip: So müsste laut Rechtsgutachten eine Gefahrensituation vorliegen, damit der Verkehr eingeschränkt werden dürfte. Das sei nicht gegeben. Auch sei der Datenschutz in Gefahr: Es brauche Nachweise, dass man in die Innenstadt fahren darf. Da diese Nachweise personenbezogene Daten beinhalten, wäre die Regelung nicht angemessen.

Anwendung würde aktuelle Pläne kippen

Aus Sicht von Epicenter Works sind das vorgeschobene Argumente. "Würde hier fair gespielt, müssten die rechtlichen Bedenken gegen das Konzept von 2020 genauso auf das aktuelle von Stadträtin Sima angewendet werden", sagt Thomas Lohninger zum STANDARD. "Und dann müsste sie es konsequenterweise verhindern."

Zu dem damaligen Konzept hatte auch der Verfassungsrechtler Konrad Lachmayer 2020 eine Prüfung erstellt. Er hatte in seinem Gutachten befunden, dass die Pläne grundrechtlich und auf Basis der Straßenverkehrsordnung rechtskonform sind.

Effektiver …

Dabei wäre Expertinnen und Experten zufolge der alte Plan effektiver gewesen als die Variante mit Kameraüberwachung: So solle einem Gutachten der Boku zufolge bei der Umsetzung der damals geplanten Maßnahmen der Verkehr in der Innenstadt langfristig um rund 25 Prozent gesenkt werden, im Extremfall sogar um bis zu 90 Prozent. Zum Vergleich: Die aktuellen Maßnahmen würden laut einer Schätzung der Boku vom Juni den Verkehr um rund 14 Prozent senken.

Paul Pfaffenbichler, einer der Autoren des Boku-Gutachtens, sagt zum STANDARD: "Aus Sicht der Verkehrsplanung hätte nichts dagegen gesprochen, die Pläne umzusetzen. Man hätte ja auch die Wirkung des Projekts überwachen und im Fall der Fälle nachträglich technisch aufrüsten können." International gebe es für beide Varianten Beispiele – in Österreich sei der Einsatz von Videoüberwachung in dieser Form aber eher unüblich.

… und billiger?

Zudem dürften die alten Pläne günstiger gewesen sein: So werden die Kosten für das aktuelle Konzept mit Kameras zunächst auf 18,6 Millionen Euro geschätzt, zusätzlich erwartet man laufende Kosten von 2,4 Millionen Euro jährlich. Für das Projekt ohne Videoüberwachung gibt es zwar keine verlässlichen Zahlen – Schätzungen zufolge dürften die Kosten für die Beschaffung von Schildern und Straßenmarkierungen jedenfalls unter einer halben Million liegen.

In beiden Fällen sind die Kosten für Polizeikontrollen allerdings nicht miteinbezogen. Auf Anfrage erklärt die Wiener Polizei, dass ihr noch kein Konzept vorläge, weswegen derzeit keine Kostenabschätzung durchgeführt werden könne.

Rechtsgutachten in der Kritik

Ein Rechtsgutachten des Universitätsprofessors Nikolaus Forgó und Žiga Škorjanc von der Datenschutz-Beratungsfirma lexICT GmbH im Auftrag von Städtebund und Klimaschutzministerium bescheinigte der Idee, den Verkehr in Innenstädten mittels Videoüberwachung zu kontrollieren, datenschutzkonform zu sein. Vorausgesetzt, es erfolge eine Änderung in der Straßenverkehrsordnung.

Epicenter Works kritisiert jedoch, dass das Gutachten nicht ausreichend in die Tiefe geht: Es seien keine ausführliche Grundrechtsabwägungen getroffen, sondern nur sehr spezifische Fragen beantwortet worden. Jeder Grundrechtseingriff muss dadurch begründet sein, dass er verhältnismäßig ist. Das sei bei der Kameralösung nicht der Fall, findet der Datenschützer Thomas Lohninger von Epicenter Works. Er verweist darauf, dass gerade im ersten Bezirk Veranstaltungen wie Demonstrationen stattfinden, bei denen ein Zugriff auf Videomaterial problematisch sei.

Forgó selbst entgegnet, dass evident sei, dass ein Verkehrsschild billiger ist als eine Kamera. Das würde das Argument, "dass deswegen das Konzept ohne Kamera besser und billiger ist", allerdings nicht stützen. "Ich möchte nicht in einer Stadt leben, in der täglich ein Überwachungsplanquadrat stattfindet, in dem ja dann gerade doch unterschiedslos alle kontrolliert werden. Oder, dass Verkehrsschilder noch mehr ignoriert werden als schon bisher."

Frage blieb unbeantwortet

Das Büro von Stadträtin Ulli Sima teilt zu all dem mit, dass eine verkehrsberuhigte Innenstadt ohne kamerabasierte Überwachung "nicht effektiv umsetzbar" sei. Die Polizei sehe sich außer Stande, ohne Kameras zu kontrollieren, wer einfahren dürfe und wer nicht. "Dass dieses Kontrollsystem mit dem Datenschutz vereinbar ist, hat bekanntlich auch eine Studie von Städtebund und Klimaschutzministerium bestätigt. Es fehlt nun noch die Änderung in der StvO durch den Bund", heißt es weiter.

Die Frage, warum die rechtlichen Bedenken, aufgrund derer das Konzept von 2020 gekippt wurde, nicht für die Videoüberwachungsvariante angewandt wurden, blieb unbeantwortet. Noch einmal spannend dürfte es in der Sache dieses Jahr werden: Laut Simas Büro sollen noch heuer "die weiteren Schritte vonseiten der Stadt" präsentiert werden. (Muzayen Al-Youssef, Stefanie Rachbauer, 29.9.2022)