Es gibt kein Land in Europa, dessen Wirtschaft derzeit nicht mit Problemen kämpft. Aber dass Großbritannien eine besonders hohe Inflation, einen Währungsabsturz und nun auch eine waschechte Finanzkrise erleidet, ist das Resultat einer Fülle von Fehlentscheidungen durch die Wählerschaft und die politische Führung.

Mit dem Brexit-Votum und dem EU-Austritt hat sich das Land von seinen wichtigsten Handelspartnern abgekapselt und einen dramatischen Mangel an Arbeitskräften erzeugt. Allein das schon heizt die Inflation an und dämpft das Wachstum. Aber nun haben die neue Premierministerin Liz Truss und ihr Finanzminister Kwasi Kwarteng einen Budgetplan vorgelegt, der die Finanzmärkte in Panik versetzt. Wie bei einem politisch instabilen Schwellenland flüchten Investoren aus dem Pfund und aus britischen Staatsanleihen, weil sie kein Vertrauen in diese "schwachsinnige Regierung"– so das Urteil vieler Ökonomen und Banker – haben.

Die Bank of England in London.
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Vor allem die Abschaffung des ohnehin recht niedrigen Spitzensteuersatzes von 45 Prozent sorgt für Entsetzen, weil hier ohne Grund ein riesiges Haushaltsloch aufgerissen wird. Truss und Kwarteng sind vereint im Glauben an die Doktrin der "Reaganomics", wonach Steuersenkungen für die Reichen die Wirtschaft ankurbeln und sich dadurch selbst finanzieren– ein Rezept, das noch nie funktioniert hat. Weil eine solche Fiskalpolitik die Teuerung weiter antreibt, müsste die Bank of England nun die Zinsen kräftig erhöhen, was die ohnehin drohende Rezession verschärfen würde.

Turbulenzen

Doch die Notenbank hat zunächst andere Sorgen: Der Preisverfall bei langfristigen Staatsanleihen gefährdet die Pensionsfonds und damit die Altersvorsorge von Millionen Rentnerinnen und Rentnern. Deshalb kauft die Bank nun diese Papiere auf, was die Inflation fördert statt bremst. Eine massive Zinserhöhung, um den Preisauftrieb zu stoppen, würde wiederum die Masse an Hauseigentümern mit Immobilienkrediten schwer belasten und wäre politisch riskant. Tut sie das nicht, droht das Pfund weiter zu fallen und könnte bald weniger als einen Dollar wert sein. Das wäre nicht nur ein Schlag für den britischen Nationalstolz, sondern würde auch die Inflation weiter befeuern. Truss hat die Bank of England in eine Zwickmühle geführt, aus der es keinen guten Ausweg gibt.

Wohl könnte Truss angesichts der Turbulenzen Einsicht zeigen, den Steuerplan fallenlassen und gleich auch ihren Finanzminister feuern. Doch das widerspricht dem selbst gepflegten Image einer "Iron Lady" im Stile ihres Vorbilds Margaret Thatcher. Die konservativen Abgeordneten, die mehrheitlich ihren Rivalen Rishi Sunak unterstützt haben, könnten sie stürzen und wieder eine neue Führung suchen. Dann käme zur ökonomischen eine politische Krise hinzu. Neuwahlen würde Labour klar gewinnen, was aus Tory-Sicht dagegen spricht.

Irgendwie wird das Land aus der Misere herausfinden, wie schon aus früheren Krisen. Großbritannien hat eine starke Wirtschaft und wird überleben – aber deutlich ärmer als zuvor. (Eric Frey, 29.9.2022)