Aktuell infizieren sich wieder viele mit Corona. Das war aber zu erwarten, sagen Fachleute.

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Erstmals seit Ende Juli hat die Zahl der Neuinfektionen in den vergangenen Tagen wieder die 10.000er-Marke überschritten. Am Mittwoch wurden rund 15.000 neue laborbestätigte Fälle gemeldet. Muss man sich angesichts der steigenden Zahlen Sorgen machen? Nein, sagen Fachleute. Es trete jetzt lediglich das ein, womit man ohnehin gerechnet habe.

Frage: Wie ist die aktuelle Situation?

Antwort: So wie erwartet. In dem Herbstszenario, das der Simulationsforscher Niki Popper und sein Team im Mai erstellt haben, wurde die Herbstwelle so, wie wir sie aktuell erleben, berechnet: "Nichts an der Dynamik ist überraschend", sagt Popper dementsprechend.

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hält es in Anbetracht der multiplen Krisenlagen nicht für notwendig, "das Niveau des Alarmschlagens so aufrechtzuerhalten". Es gebe die Impfung, Medikamente und die Überwachung der Fallzahlen, sagte Rauch im Rahmen des European Health Forum Gastein.

Letzteres sehen Fachleute anders, sie kritisieren die fehlenden Zahlen zur Pandemie: "Die Mängel des österreichischen Überwachungssystems sind aufgezeigt, aber werden zu langsam behoben", sagt Popper.

Grundsätzlich blicken aber die meisten Fachleute entspannt in den Herbst. Im Umgang mit Corona sei weiter "Achtsamkeit, aber keine Panik" angebracht, findet Dorothee von Laer, Virologin der Med-Uni Innsbruck.

Frage: Wie ist die Lage in den Spitälern?

Antwort: Nicht dramatisch, wie ein STANDARD-Rundruf ergab. Knapp 1.400 Menschen mit einer Corona-Infektion werden aktuell auf den Normalstationen betreut. Damit sind zwar um rund 55 Prozent mehr Betten Corona-bedingt belegt als noch vor zwei Wochen, dennoch sei die Situation "absolut überschaubar", so Elisabeth Bräutigam, ärztliche Direktorin im Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern. Es komme langsam wieder zu vermehrten Personalausfällen, aber auch das sei nicht dramatisch: "Wir werden ohnehin lernen müssen, damit umzugehen."

Corona sei inzwischen im Routinebetrieb angekommen, bestätigt auch Johannes Schwamberger von Tirol Kliniken: "Solange nicht extreme Wellen daherkommen, ist es handlebar."

Frage: Welche Varianten bestimmen aktuell das Infektionsgeschehen?

Antwort: Derzeit noch BA.5 und eine Untervariante davon. Aber es entwickeln sich gerade sehr viele, die wohl Ende des Jahres das Geschehen dominieren. "Wir befinden uns gerade in einer Phase der Veränderung", sagt Molekularbiologe Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Weltweit tauchen immer mehr Tochtervarianten von Omikron BA.2 auf: "Sie sprießen gerade wie Schwammerln aus dem Boden."

Alle Untervarianten wie BA.2.75.2, BJ.1 oder auch die recht neu entdeckte Variante BQ.1.1 haben eines gemeinsam: "Sie sind genau an der Stelle im Spike-Protein verändert, an der unsere bereits aufgebauten Antikörper andocken würden", sagt Elling. Deshalb könnten sie das Immunsystem noch besser umgehen als alle bisherigen Omikron-Varianten.

"Wir beobachten aber keine großen Veränderungssprünge mehr wie von BA.1 auf BA.2, sondern eine sukzessive, langsame Anpassung des Virus an unsere Immunantwort", erklärt Virologin von Laer. Das heißt: Je weiter sich BA.2-Varianten entwickeln, desto besser können sie die Antikörper umgehen. Die Antikörper schützen vor Infektion, der Schutz vor Ansteckung sinkt dementsprechend. Den T-Zellen kann sich das Virus aber nicht entziehen, sie schützen nach wie vor sehr gut vor schweren Verläufen.

Derzeit spiele hierzulande noch keine der vielen Untervarianten eine Rolle, aber diesen Winter werden wir mit mehreren Varianten gleichzeitig leben müssen. "Vermutlich wird sich ab November eine der vielen neuen Varianten durchsetzen. Ich persönlich glaube, dass das BA.2.75.2 sein wird", sagt Molekularbiologe Elling.

Frage: Wird es dann Maßnahmen brauchen?

Antwort: Vielleicht vereinzelt. Lockdowns wird es wohl nicht mehr brauchen, glauben Fachleute. Virologin von Laer könnte sich vorstellen, dass "man in nicht allzu ferner Zukunft wieder eine Maskenpflicht in Innenräumen einführt". Diese habe sich gut bewährt und könnte vor allem aus Rücksicht auf vulnerable Gruppen sinnvoll sein.

Frage: Soll man sich den vierten Stich holen?

Antwort: Ja. Die vierte Impfung wird allen ab zwölf Jahren empfohlen. Zuletzt sorgte das Nationale Impfgremium zwar für Verwirrung, aber tatsächlich sind sich die meisten Expertinnen und Experten bei ihren Empfehlungen einig: Liegt der letzte Viruskontakt – also die dritte Impfung oder eine Durchbruchsinfektion – sechs Monate zurück, sollte man sich den vierten Stich am besten mit einem der an Omikron BA.1 oder an Omikron BA.4/BA.5 angepassten Impfstoffe holen. (Jasmin Altrock, Magdalena Pötsch, 29.9.2022)