Die eine sieht keinen Grund zur Aufregung, der andere den Notstand – und das in ein und derselben Partei. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kann keine Flüchtlingskrise erkennen, Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil spricht von einer ganz dramatischen Situation. Die ÖVP ist noch unentschlossen, wie man mit der Asylthematik umgeht: Da gibt es den Flügel, den die zurückgetretene Generalsekretärin Laura Sachslehner repräsentiert. Sie folgt Sebastian Kurz, der mit dem Thema immer gut gefahren ist: Sachslehner sieht das Asylsystem auf der Kippe. Es gibt andere in der Volkspartei, die einen harten Kurs in der Migrationsfrage verfolgen, das Thema aber nicht hochspielen wollen. Parteichef und Bundeskanzler Karl Nehammer versucht den Ball flachzuhalten. Auch um den Koalitionspartner nicht zu provozieren. Die Grünen sagen einmal: nichts.

Innenminister Gerhard Karner hat mehr Kontrollen angeordnet.
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Wovor alle Angst haben: dass sie den Freiheitlichen in die Hände arbeiten und ein Thema aufbereiten, das nur den Rechten nützt. Die FPÖ ist die einzige Partei, die hier eine klare Position hat und sie auch hinaustrompetet: Sie möchte Österreich zur Festung umbauen. Herbert Kickl ist gar für eine Aussetzung des Asylrechts, er würde überhaupt keinen Asylantrag mehr annehmen.

Die Themen Asyl und Migration sind nach wie vor extrem emotional aufgeladen, sie sind angstbesetzt. Damit eignen sie sich bestens dafür, Politik zu machen, und das ist schlecht. Erstens, weil es niemandem hilft, den es betrifft, und zweitens, weil es den Blick auf die Realität verstellt.

Scheuklappen

Tatsache ist aber, dass es ein Problem gibt. Nur: Was ist die Realität? Das ist schwer zu sagen, weil auch Zahlen lügen können und manipulativ eingesetzt werden. Die Zahl der Asylanträge steigt, das ist Fakt. Heuer gab es bis August bereits 55.000 Asylanträge, das ist wesentlich mehr als in den Jahren zuvor. 90.000 Menschen befinden sich in der Grundversorgung, werden also vom Staat versorgt. Darunter sind 27.000 Ukrainer. Was sich nicht in der Statistik abbildet: Etwa 15.000 Menschen, die einen Antrag gestellt haben, haben dies offenbar nur getan, weil sie angehalten wurden. Sie sind mit großer Sicherheit weitergereist.

Die Zahlen sind leicht zu beeinflussen: je mehr Kontrollen, also auch direkt an der Grenze zur Slowakei, wie jetzt von Innenminister Gerhard Karner angeordnet, umso mehr Aufgriffe, umso mehr Asylanträge. Bekannt ist aber auch die Praxis der Sicherheitsbehörden, Migranten herumzuschicken, in der Erwartung, dass sie Österreich wieder verlassen, ohne um Asyl angesucht zu haben.

Dass jetzt so viele Menschen aus Indien oder Tunesien um Asyl ansuchen, obwohl das praktisch chancenlos ist, ist irritierend, hat seine Gründe offenbar in der Visapolitik Serbiens.

Tatsache ist: Es gibt ein Problem, das die Politik angehen muss, das benannt werden muss, für das Lösungsansätze gefunden werden müssen. Den Kopf in den Sand zu stecken, wie das derzeit viele tun, funktioniert nicht. Das hilft nur jenen, die mit Alarmismus ihr Geschäft betreiben, also auch der FPÖ.

Die Migrationsbewegungen gehören offensiv und ohne ideologische Scheuklappen besprochen. Da werden auch die Grünen über ihren Schatten springen müssen. Da muss die SPÖ Farbe bekennen. Da muss die ÖVP ihre manipulativen und populistischen Ansätze zur Seite schieben. Es gibt ein Problem. Reden wir darüber. Es ist kein Drama. (Michael Völker, 29.9.2022)