Gute Regierung. Oder schlechte Regierung. Was sich nach kurzatmiger Kommentarfunktion anhört, hat eine lange philosophische Geschichte. Die Debatte über den guten Regenten und über dessen Gegenteil, den Tyrannen, reicht weit über die Klippe der europäischen Aufklärung hinaus. Johann Gottfried Seume, einer der rebellischeren Autoren der Revolutionsepoche der deutschsprachigen Literaturhistorie um 1800, meinte einmal: "Die Sklaven haben Tyrannen gemacht, der Blödsinn und der Eigennutz haben die Privilegien erschaffen, und Schwachheit und Leidenschaft verewigen beides."

Handschlag in Wladiwostok: Kim Jong-un, der "oberste Führer Nordkoreas", und Wladimir Putin.
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Der gute Regent? Weise, gerecht, milde und gesetzestreu ist er, bedacht auf Vorteile für sein Land und dessen Bürger, nie sich bereichernd. Der Tyrann dagegen? Ein Willkürherrscher, sprunghaft, unberechenbar, habgierig, egozentrisch, grausam, ausbeuterisch, moralisch jenseits jeder Moral.

Einschüchterung und Furcht

Er regiert mittels Einschüchterung und Furcht, durch Angst und unverstellte Gewalt, wie das schon 1748 Charles Baron de Montesquieu, Ahnvater der Politikwissenschaft, in seiner Abhandlung Vom Geist der Gesetze konstatierte. Da ihm niemand Vertrauen entgegenbringt und er seinerseits nicht einer einzigen Seele, umgibt er sich ausschließlich mit devoten und hemmungslos ergebenen Schergen, die partizipieren, ihrerseits aber in Angst vor ihm leben – ein Zirkelschluss, der von stetem Misstrauen durchpulst wird.

Denn der Tyrann lebt seinerseits in Angst vor möglichen Attentätern und wittert allüberall Verschwörungen. Das Psychopathische und das Pathologische, die Eskalation von Wahnsinn zu Größenwahnsinn, sind Charakteristika der Tyrannei.

Wer aber, so Barbara Stollberg-Rilinger, lange Ordinaria für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität in Münster, bekannt geworden für ihre preisgekrönte Maria-Theresia-Biografie und seit 2021 Direktorin des renommierten Wissenschaftskollegs Berlin, und André Krischer, Neuzeithistoriker an der Universität Freiburg im Breisgau, wer bestimmt nun, wer ein Tyrann ist?

Mit ihrem Verdikt, ein solches Urteil schwanke, es oszilliere im Fortlauf der Geschichte, eine solche Einstufung sei durchaus subjektiv, je nachdem, wer gerade wen solcherart rubriziere oder mit dieser Bezeichnung diffamiere, liegen sie richtig.

Ein weiterer richtiger Punkt: Tyrann ist eine recht antiquierte Bezeichnung, im 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart abgelöst von Bezeichnungen wie Autokrat, Populist, Diktator, Faschist. Wie begründet das Herausgeberduo seine Vignetten-Auswahl der Tyrannei von, zeitlich absteigend, Putin, Trump – den der Münchner Amerikanist Michael Hochgeschwender als "unpolitischen Antipolitiker" bezeichnet, dessen ureigentlich fatales Erbe die Aushöhlung demokratischer Institutionen ist – und den drei Nordkorea-Kims über Robert Mugabe, Mao Tse-tung, Idi Amin, Franco, Leopold II. bis zu Richard III. von England, den Shakespeare höchst langlebig in seinem Schauspiel diskreditierte, Kaiser Heinrich IV., Nero und Caligula? Recht eigentlich gar nicht.

André Krischer und Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.),"Tyrannen. Eine Geschichte von Caligula bis Putin". € 30,80 / 352 Seiten. C. H. Beck, München 2022
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Fakt versus Propaganda

Zwanzig Fallstudien versammelt dieser Best-of-Despoten-Band. Bereits im ersten Porträt, dem von Gaius Caesar Germanicus, abfällig Jahrhunderte nach seinem Tod von römischen Historikern mit dem Kindheitsspitznamen "Caligula", Kinderstiefelchen, belegt, macht Aloys Winterling, 2003 Autor einer Caligula-Biografie, darauf aufmerksam, dass die Einordnung als Tyrann eine dissidente sein kann. Weil durch Propaganda bedingt, durch absichtlich einseitige Überlieferung, historiografische Herabsetzung und Verfälschung.

Als Beiträgerinnen und Beiträger konnten Krischer und Stollberg-Rilinger bekannte Namen verpflichten, vom Russland-Kenner Karl Schlögel über den Sinologen Daniel Leese bis zum Afrikanisten Andreas Eckert. Schön, dass auch Jüngere zum Zug kommen, darunter Mona Garloff aus Innsbruck, die Katharina von Medici und deren "gutes" Navigieren in Religionskriegszeiten porträtiert.

Je tiefer in die Historie hinabgestiegen wird, umso ausgeleuchteter ist das Widerspiel von Faktum versus Propaganda, von guter Regierung wider menschenverachtendes Willkürsystem. Umgekehrt gilt: Je näher man der Gegenwart kommt, desto aufregender wird es. So ist denn auch das letzte Mini-Psychobiografikum mit das interessanteste, in dem Schlögel über Putin schreibt, inklusive eines stupend konzisen Vorspanns, verfasst in der vierten Woche des Ukraine-Kriegs. (Alexander Kluy, 1.10.2022)