Die Pasterze am Großglockner schmilzt besonders schnell. Ein Abbrechen des unteren Teils wird demnächst erwartet.
Foto: APA/ZAMG

Dass die Alpengletscher in Rekordtempo abschmelzen, hat sich in den letzten Jahren bereits abgezeichnet. Doch neue Daten übertreffen sogar noch die Erwartungen: Die Herbstmessungen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) haben ergeben, dass die großen Gletscher in Österreich zumindest doppelt so schnell abgeschmolzen sind wie im langjährigen Durchschnitt. Der größte Gletscher, die Pasterze, wies eine bis zu viermal so hohe Schmelzrate auf, berichtet ZAMG-Expertin Marion Greilinger. Durchgängig hätten sich "die größten Eisdickenverluste innerhalb eines Jahres mit im Schnitt um die vier Meter gezeigt".

Im Rahmen des Gletscherbeobachtungsprogramms der ZAMG werden in Zusammenarbeit mit der Universität für Bodenkultur Wien jedes Jahr im Frühling und im Herbst die Gletscher am Hohen Sonnblick – das Goldbergkees und das Kleinfleißkees – und am Großglockner vermessen und die Massenbilanzen berechnet. "Die ersten Ergebnisse der Herbstmessung zeigen, dass es ein extremes Jahr war", sagte Greilinger, Leiterin der Abteilung für Klimamonitoring und Kryosphäre an der ZAMG. "Aus den einzelnen Punktmessungen werden derzeit die Massenbilanzen für die gesamte Gletscherfläche berechnet, aber schon jetzt lässt sich sagen, dass gemittelt über alle Messpunkte das Gletschereis der Pasterze und der Sonnblick-Gletscher ungefähr doppelt so stark geschmolzen sind wie im Durchschnitt der letzten Jahre, stellenweise sogar viermal so stark."

Worst-Case-Szenario

Auf der Pasterze nahm die Eisdicke heuer selbst im oberen Bereich, der auf über 3.000 Meter Seehöhe liegt, über alle Messpegel gemittelt um 3,7 Meter ab. Zum Vergleich: Im Durchschnitt der vergangenen Jahre lag hier die Schmelzrate bei 1,6 Meter Eisdicke pro Jahr.

Am Kleinfleißkees in der Sonnblick-Region nahm die Eisdicke heuer über alle Messpegel gemittelt um 4,2 Meter ab. Im Durchschnitt der vergangenen Jahre waren es hier 1,8 Meter pro Jahr. "Es war heuer ein Worst-Case-Szenario für die Gletscher", sagte Greilinger.

Überall habe man einen sehr frühen Beginn der Ausaperung feststellen können: "Die Gletscher haben schon im Juni angefangen, das blanke Eis zu zeigen, und das hat dazu geführt, dass schon Ende August der Großteil der Gletscher komplett ausgeapert war", so die Expertin am Donnerstag bei einer Pressekonferenz im Rahmen des Extremwetterkongresses in Hamburg.

Als Gründe dafür nannte sie einen relativ schneearmen Winter und Frühjahr, gefolgt von einem heißen Sommer. Niederschlag fiel im Sommer fast immer als Regen, daher konnte selbst im Hochgebirge keine Schneedecke entstehen, die die Sonnenstrahlen reflektiert und die Gletscher vor dem Schmelzen schützt. Außerdem gab es im März ein sehr starkes Saharastaub-Ereignis. Diese dunkle Schicht beschleunigte das Schmelzen zusätzlich. Bisher blieben immer ein paar Schneereste des Vorwinters übrig.

Wo früher die Gletscherzunge verlief, befindet sich nun ein See.
Foto: Stefanie Ruep

Nebeneffekt des starken Abschmelzens sei etwa die Entstehung von Felsinseln und damit der Zerfall von Gletscherflächen. Zudem würden Hohlräume unter Gletschern entstehen oder vergrößert, weil mehr Schmelzwasser seitlich einfließen kann, aber auch glaziale Abflüsse unter dem Gletscher würden sich verstärken. Dadurch kann es zu massiven Einbrüchen des Eises kommen.

Toteis

Wie das Verschwinden der Gletscher im Detail aussehen wird, unterscheidet sich von Fall zu Fall. Für den Dachsteingletscher wurde kürzlich eine Teilung des Schladminger und des Hallstätter Gletschers beobachtet. Auch für die Pasterze lassen die starken Schmelzraten laut ZAMG eine baldige Trennung zwischen oberem und unterem Teil wahrscheinlich werden. "Wir erwarten dieses Abreißen schon in den nächsten Jahren", sagt Greilinger. Wenn der obere Teil der Pasterze nicht mehr für Nachschub sorgen kann, verändert sich die Dynamik des Gletschers. Der untere Teil gilt dann als "Toteis".

In Deutschland ist kürzlich der erste Gletscher verschwunden – die Reste von Eis des früheren Südlichen Schneeferners fließen nicht mehr und haben damit ihren Status als Gletscher verloren. (red, APA, 30.9.2022)