In La Duchère, einem Viertel in Lyon, ist ein Platz entstanden. Es ist ein zubetonierter Platz mit vereinzelten Bäumen, aber immerhin mit kleinem Café, Sitzbänken, einer Wasserfläche und einem Wartehäuschen für die Busse, die von hier in alle Richtungen abfahren.

Hinten Wohnblock, vorn neue Gebäude: In La Duchère versucht man gerade, Fehler aus der Vergangenheit auszubügeln.
Foto: Zoidl

In La Duchère ist Leben eingezogen – endlich: Hier gab es jahrzehntelang nur riesige, anonyme Wohnblocks, die sich über eine Länge von mehreren Hundert Metern erstreckten. Die sozialen Wohnbauten wurden in den 1960er-Jahren in die Höhe gezogen. Nicht nur auf einen zentralen Platz wurde damals vergessen, auch eine Bespielung der Erdgeschoßflächen und eine Gestaltung von Grünflächen gab es nicht.

Die Folgen: La Duchère wurde zum angeblich schlimmsten Viertel der Stadt. In den 1980er-Jahren brannten hier Autos, und es gab Messerstechereien, erzählt das Projektteam von "La Mission Lyon La Duchère", das ein paar Schritte vom Stadtplatz sein Büro eingerichtet hat. Anfang der 2000er-Jahre beschloss die Stadt, einige Wohnblöcke abzureißen und durch kleinteiligere Häuser zu ersetzen. Ein radikaler Schritt, heißt es heute, denn damit habe man dem Städtebau der 1960er- und 1970er-Jahre eine Absage erteilt. Insgesamt wurden 1700 Wohnungen und vier große Problemriegel abgerissen.

Weite Teile des neuen Viertels sind bereits fertig. An einem schönen Herbsttag hört man aus dem nahen Kindergarten Lachen, Frauen schleppen Einkäufe nach Hause.

Höhere Mieten

Die Erneuerung von acht Hektar Stadt ist aber mit vielen Herausforderungen verbunden: So mussten Mieterinnen und Mieter, die hier gelebt hatten, zum Auszug bewegt und ihnen Wohnalternativen geboten werden. Nicht alle werden zurückkehren können. Für eine bessere Durchmischung wird der Anteil der sozialen Mietwohnungen von bisher 80 auf 60 Prozent reduziert.

Und in den neu entstehenden sozialen Wohnungen wird die Miete teurer: Im Schnitt liegt sie bei zehn Euro pro Quadratmeter und damit doppelt so hoch wie früher.Dafür bauen Bauträger hier mittlerweile auch freifinanzierte Miet- und Eigentumswohnungen mit glatten Fassaden und schönen Balkonen, so wie man sie aus anderen Städten kennt. Um sie in das einstige Problemviertel zu locken, war politische Überzeugungsarbeit notwendig, berichtet man im Projektbüro.

Letztendlich hat man nicht alle Problembauten abgerissen, sondern in einer jüngeren Bauphase auf den Erhalt des klotzigen Bestands gesetzt. Häuser wurden thermisch saniert, mit Balkonen sowie Aufzügen ausgestattet und an die Fernwärme angeschlossen. Manche der Mieterinnen und Mieter leben hier schon ihr ganzes Leben.

Sozialer Sprengstoff

Dass der Wohnalltag hier einst nicht wirklich beschaulich war, kann man sich angesichts von Gemeinschaftsgärten und breiten Gehwegen heute kaum noch vorstellen. Banlieues mit sozialem Sprengstoff kennt man aber auch aus anderen Orten in Frankreich. Wie sich große Wohnblocks auf das soziale Zusammenleben auswirken, interessierte bei einer Exkursion des Vereins für Wohnbauförderung jüngst aber auch Österreicher.

Berühmtestes Beispiel für anonyme Wohnriegel ist das Harter Plateau in Leonding bei Linz. Hier wurden in den 1970er-Jahren zwei Hochhauskolosse mit je 240 Wohnungen in die Höhe gezogen. Auch hier hatte die überdimensionierte Bauweise Auswirkungen auf das Zusammenleben: In endlos langen Gängen und Fluchtstiegenhäusern kam es zu Kriminalität, Lärm und Verschmutzungen.

"Ständig war ein Aufzug kaputt", erinnert sich Alfred Willensdorfer, damaliger Bauleiter beim gemeinnützigen Bauträger Giwog. 1993 trieb ein "Feuerteufel" sein Unwesen. Die Keller mussten daher über Nacht abgesperrt werden, den Brandstifter hat man nie gefunden.

Gelungenes Zusammenleben

So wie in Lyon wichen auch diese beiden Hochhäuser. Denn Anfang der 2000er-Jahre waren sie stark sanierungsbedürftig. Ein Abbruch war günstiger, erinnert sich Willensdorfer. Bei Mieterversammlungen habe man die Bewohnerinnen und Bewohner darüber informiert. "Wir haben ihnen versprochen, dass wir ihre Mieten nicht erhöhen", sagt Willensdorfer. Letztendlich hat sich eine eindeutige Mehrheit von ihnen für die Pläne ausgesprochen.

2003 wurden die beiden Hochhäuser in Leonding gesprengt.
Foto: APA

Sie wurden beim Umzug in die kleinteilige Siedlung nebenan unterstützt, die aufgrund der knalligen Farbgebung bis heute Papageiensiedlung genannt wird. Die Hochhäuser am Harter Plateau wurden vor bald 20 Jahren gesprengt.

Wie das Zusammenleben in großen Wohnanlagen funktioniert, beschäftigt Bauträger nach wie vor. Wichtig sei eine gute Hausbetreuung, die in Kontakt zu den Menschen stehe, sagt Michael Gehbauer, Chef der gemeinnützigen WBV-GPA und Obmann des Vereins für Wohnbauförderung. Auch Reparaturen müssten schnell durchgeführt werden, um schleichenden Verfall zu verhindern.

Eine Beteiligung der Mieter bei bestimmten Entscheidungen helfe ebenfalls, sagt Gehbauer: "Das Allerwichtigste ist aber die Identifikation der Bewohner mit dem Projekt an sich. Die müssen stolz sein, dass sie dort wohnen." Ob in Wien, Leonding – oder Lyon. (Franziska Zoidl, 2.10.2022)