Wer sich eine Corona-Auffrischungsimpfung holt, sollte vorangegangene Infektionen mitberücksichtigen. Für alle gilt: Vor dem nächsten Stich sollte eine Infektion oder eine Impfung vier bis sechs Monate zurückliegen.

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Wie von vielen Fachleuten vorhergesagt, beginnen die Zahlen der Corona-Infektionen wieder zu steigen. Viele fragen sich, wann der richtige Zeitpunkt für eine Auffrischungsimpfung sei. Anhaltspunkte in der mittlerweile für viele Menschen unübersichtlichen Situation könne eine "Checkliste" geben. Laut dem Genetiker Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wäre es sinnvoll, den Menschen "ein Werkzeug für die eigene Entscheidung in die Hand zu geben".

Das sagte er bei einem von der Akademie der Wissenschaften organisierten "Science Update" im Vorfeld des bis Freitag laufenden "Clemens von Pirquet Symposiums: Covid-19 Pandemie und das Impfwesen einst und heute" in Wien. Verwirrung habe etwa das Nationale Impfgremium, kurz NIG, mit der für viele überraschenden allgemeinen Empfehlung zum vierten Stich am Ende des Sommers gestiftet – inklusive der Ansage, dass eine eben durchgemachte Infektion nicht unbedingt als "Booster" anzusehen wäre.

Steigende Infektionszahlen

Die Immunologin Sylvia Knapp von der Medizinischen Universität Wien hielt fest: "Es ist wissenschaftlich belegt, dass eine Auffrischung nicht früher als vier bis sechs Monate nach dem letzten 'Event' stattfinden sollte." Eine Infektion sei jedenfalls als ein solches "Event" anzusehen. Für Elling gilt es jetzt daher, die Argumente auf den Tisch zu legen und Menschen dabei zu helfen, ihr individuelles Risiko bewerten zu können und dann entsprechend zur Impfung zu gehen. Das ohne externe Hilfe für sich einzuschätzen sei mittlerweile alles andere als einfach, wenn man sich etwa vor Augen führt, dass viele Menschen bereits mehrere Impfungen und mitunter auch Erkrankungen durchgemacht haben, räumten die Experten ein.

Derzeit baue sich in Österreich eine neue BA.5-Welle auf. Auch andere Omikron- Untervarianten wie etwa BA.2.75.2 oder BJ.1 würde es ebenfalls bereits in Österreich geben – wenn auch nur in sehr geringer Anzahl. Da es sich bei allen Varianten immer noch um Omikron-Subvarianten handelt, sieht Elling kaum eine Gefahr darin, dass die Kapazitäten der Normal- und Intensivstationen in Österreich gesprengt würden. Man sehe aber in Wien schon teilweise, dass die Personalsituation in den Spitälern angespannter wird. So könne auch heuer der Herbst und Winter bis zu einem gewissen Grad "leider business as usual" werden, sagte Elling.

Auf die Frage hin, ob und wann man die Pandemie für beendet bezeichnen könnte, hielt die Immunologin Sylvia Knapp von der Med-Uni Wien fest, dass es "nicht das Klügste sei, die Pandemie für beendet zu erklären". Viel eher sollte betont werden, dass durch durchgemachte Infektionen und Impfungen eine für derartige Erkrankungen "normale Immunantwort" aufgebaut wird, die langfristig nicht vor Ansteckung, aber eben vor schweren Verläufen schützt.

Weitere Pandemie nicht ausschließbar

Das mittelfristige Ziel müsse sein, kommende Covid-19-Wellen, auch in Verbindung mit den üblichen Influenzawellen im Frühjahr, möglichst kontrolliert ablaufen zu lassen, so die Experten. Weiter gedacht, sei es aber keine Frage, dass eine neue Pandemie – wahrscheinlich mit einem Coronavirus – auf die Menschheit zukommt. Daher brauche es Investitionen in "eine solide medizinische Versorgung" und "in fundierte Wissenschaft", betonte der österreichische Virologe Peter Palese von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York.

In Zukunft könne man weder eine weitere Pandemie noch gefährlichere Corona-Mutationen ausschließen, waren sich die Experten einig. So könnten etwa Elling zufolge neue Varianten durch lange Krankheitsverläufe entstehen oder durch Kontakte zwischen Mensch und Tier überspringen. Dennoch sei es "gar keine Frage", dass man für zukünftige Pandemien besser gerüstet sei, sagte Palese. Sowohl die Erkennung von Krankheiten als auch die Entwicklung von Impfstoffen ginge mittlerweile deutlich schneller vonstatten.

Auch wenn fast alle Hygienemaßnahmen der letzten zwei Jahre aufgehoben sind, plädierten die Fachleute an den menschlichen Hausverstand: "Es sollte eine Lehre aus der Pandemie sein, dass es nicht geschickt ist, wenn man infiziert in die Arbeit geht", sagte Knapp. Auch Elling betont ein gesellschaftliches Miteinander: "Wir werden versuchen müssen, einerseits die Immunschwächeren nicht komplett in ihrem Leben zu behindern und zum anderen das System nicht zu sehr herauszufordern." (APA, red, 30.9.2022)