Die Semmeringbahn wurde 1854 als Teilstrecke der Südbahn eröffnet und ist die erste normalspurige Gebirgsbahn Europas. Das Gebiet erfuhr dadurch erstmalig eine enorme Aufwertung.

Foto: Ian Ehm

Wie klingt der Semmering?

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Wie bewegt es sich am Semmering?

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Wie fühlt sich der Semmering an?

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Der Semmering – nicht ganz unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2022. Der Semmering liegt zwischen der Steiermark im Süden und Niederösterreich im Norden, ist eigentlich der Semmering-Pass mit dem Kurort Semmering (514 Einwohnerinnen und Einwohner) und den Gemeinden Edlach und Reichenau. Die Gegend markiert die natürliche Grenze zwischen den beiden Bundesländern und ist mit zwei Skigebieten, dem Hirschenkogel und Stuhleck, vor allem bei Wintersporttagesausflüglern aus dem Flachland (Wien) bekannt und beliebt. Fährt man von Wien nach Graz oder umgekehrt, stellt sich meistens die Frage: "Semmering oder Wechsel?" Dass das Gebiet weit mehr als eine nette Rodelstrecke, ein paar Rutschhänge und eine Autobahnraststätte zu bieten hat, will man jetzt mit dem Projekt DNA Semmering beweisen.

"Wir empfanden den Semmering immer schon als eine extrem spannende Gegend, weil man dort fast nie verweilt, sondern immer durch- oder vorbeifährt. Wir interessieren uns für das Brache und das Potenzial", sagt Matthias Felsner vom Wiener Agenturkollektiv Friendship. Also: Jeder kennt den Semmering, aber fast niemand war schon einmal bewusst dort. Zumindest in der jüngeren Vergangenheit. "Der Semmering ist historisch aufgeladen", sagt Felsner. Das Gebiet wurde schon während der Monarchie vor allem von der jüdischen Gemeinde aus Wien als Rückzugs- und Urlaubsort frequentiert. Arthur Schnitzler, Sigmund Freud und Peter Altenberg urlaubten hier, Stefan Zweigs Novelle Brennendes Geheimnis beginnt mit "Die Lokomotive schrie heiser auf: Der Semmering war erreicht."

2022 nimmt sich das Projekt DNA Semmering einer Gegend an, die in der Öffentlichkeit vielmehr mit dem Semmering-Basistunnel und Hotelverkäufen verbunden wird. Dafür wurden sogenannte Explorerinnen und Explorer aus verschiedenen Disziplinen entsandt. Der Auftrag war simpel und klar: "Schauts es euch einfach einmal an." Keine Vorgaben, pures Entdecken. So hörte sich ein Sounddesigner an, wie der Semmering klingt, das Küchenkollektiv Maison Mayonnaise fand heraus, wie der Semmering schmeckt, Trailrunner und Mountainbikerinnen bewegten sich in den Wäldern und auf Trampelpfaden, eine Tanzgruppe vom Wiener Staatsballett wollte herausfinden, wie sich das Gebiet anfühlt. Präsentiert werden die unterschiedlichen Ergebnisse von 29. September bis 2. Oktober an mehreren Locations – natürlich auf dem Semmering. Unterstützung kommt von der Niederösterreich Werbung.

Ohne Extreme

Ausgangspunkt ist die Hochstraße, an der die verbliebenen Villen ein nostalgisches Bild einer ehemaligen Touristendestination zeichnen. "Uns geht es nicht darum, die Gegend aus ökonomischer Sicht aufzuwerten, sondern vielmehr darum, das Gebiet und die Gegend zu untersuchen", sagt Felsner. Der Semmering sei ein Ort "zum Durchatmen. Im ersten Moment weiß man nicht genau, was man hier jetzt machen soll, aber wenn man einmal rausgeht, mit den Einheimischen spricht, entfaltet sich eine spannende Reise." Der Semmering ist kein Ort der Extreme, es gibt keinen schwierigen Gipfel zu erklimmen, keinen unendlich tiefen See zu betauchen, keine spektakuläre Klippe, auf die man kraxeln kann. Und dennoch ist das Gebiet, durch das sich die Bahnstrecke schlängelt wie eine hungrige Ringelnatter viel mehr als ein verklärt romantischer Blick in eine längst vergangene Zeit. Gegenwart und Zukunft sollen das Vergangene ablösen, ohne es zu missachten.

"Das Projekt ist zeitlich nicht beschränkt. Der Plan wäre, in den nächsten Jahren immer mehr über die Gegend herauszufinden", sagt Felsner. Und das vorerst ohne Rodel oder Liftkarte. (Andreas Hagenauer, 30.9.2022)