In neuen Wohnhausanlagen sollte der Einbau von Wohnraumlüftungen vorgeschrieben werden, findet Günther Nussbaum.

Foto: Putschögl

STANDARD: Herr Nussbaum, Sie sind an vorderster Front, wenn es um die Qualität des Bauens in Österreich geht. Wie ist die Lage, wurde es besser, auch durch Ihre ATV-Sendung, die derzeit in der 18. Staffel läuft? Oder hat die Qualität in der Zeit des Baubooms der vergangenen Jahre sogar eher gelitten?

Nussbaum: Die hat ganz klar gelitten. In den letzten zwei Jahren war es offensichtlich, dass auch bei guten Firmen gepfuscht wurde. Das gab es vorher fast nicht. Es gab ganze Baustellen, wo nur Leiharbeiter eingesetzt wurden oder wo der Bauleiter für 15 andere Baustellen gleichzeitig zuständig war. Wenn sich das nun abkühlt, wenn die Glücksritter unter den Baufirmen wieder aus dem Markt verschwinden, sollte es also mit der Bauqualität auch wieder bergauf gehen.

Die Frage ist halt: Wo kommen die ganzen Leute hin? Es werden einige kleinere Baufirmen zusperren müssen. Die großen werden es überstehen, mit reduziertem Auftragsbestand, aber es werden Leute freigesetzt werden.

STANDARD: Sie haben sehr viel mit Baufirmen zu tun. Wie ist die Auftragslage ganz konkret?

Nussbaum: Die Baukonjunktur legt gerade eine Vollbremsung hin. Der Bereich der Einfamilienhäuser bricht komplett ein, und auch im Bereich der Mehrfamilienhäuser werden viele Anbieter wohl wieder verschwinden. Fast überall ist die Auftragslage katastrophal – sogar bei Pool-Herstellern, die in den letzten zwei Jahren eine absolute Hochphase erlebten. Dort hat man mir erzählt, es gab noch vor zwei Monaten zwischen 14 und 30 Anfragen am Tag. Jetzt liegen dieselben Firmen bei zwei bis drei Anfragen pro Woche. Also da schaut es ganz düster aus.

Derzeit werden auch bei den Baufirmen noch Aufträge abgearbeitet, da kommen viele noch bis Mitte nächsten Jahres durch. Aber manche Firmen haben auch noch gar keinen Auftrag für nächstes Jahr. Manche satteln jetzt um auf Sanierungen, das wäre ja ohnehin überfällig: schauen, dass wir nicht alles verhütteln, sondern den Altbestand adaptieren.

STANDARD: Anderes Thema, das aber damit zu tun hat: Wir haben eine Energiepreiskrise, die Menschen zögern derzeit das Heizen so lange hinaus wie möglich, es wird in diesem Winter sehr wahrscheinlich viel weniger geheizt werden als zuvor. Sie haben in den sozialen Medien bereits davor gewarnt, dass es zu massiven Schimmelproblemen kommen könnte. Wie schlimm wird es?

Nussbaum: Ja, das wird ein riesiges Problem. Denn viele Leute wissen nicht, dass man nicht nur für die Raumtemperatur heizt, sondern auch dafür, dass die Außenbauteile nicht abkühlen. Sonst kriegt man ein Schimmelproblem.

STANDARD: Inwiefern?

Nussbaum: Wenn die Außenwand kalt ist, dann strahlt quasi die kalte Wand nach innen aus. Jedenfalls bei weniger gut gedämmten Häusern. Da steht dann vielleicht ein Kasten an der Wand, der kühlt unter die Umgebungstemperatur ab. Und wenn es dann zu feucht ist im Raum, fängt die Lederjacke im Kasten zu schimmeln an.

Man darf also nicht nur die Raumtemperatur senken. Das ist nur die halbe Wahrheit. Die ganze ist: Man muss das immer im Zusammenspiel mit der Luftfeuchtigkeit sehen. Die ist in vielen Wohnungen zu hoch.

STANDARD: Woran liegt das, mangelnde Aufklärung der Bewohnerinnen und Bewohner?

Nussbaum: Ja, die Informationen, die Bewohnerinnen und Bewohner von Wohnungen bekommen, sind fast immer ungenügend oder sogar falsch. Bestenfalls kriegt man beim Einzug ein Handbuch, in dem drinsteht: drei- oder viermal am Tag für sieben Minuten lüften.

STANDARD: Ist das nicht korrekt?

Nussbaum: Im Lockdown ging das vielleicht. Aber wie soll das jemand machen, der nicht den ganzen Tag zu Hause ist? Man muss den Leuten vielmehr klarmachen, welches Raumklima in Bezug zum Außenklima sein sollte. Das Wichtigste darüber steht in der Önormen-Reihe 8110, das hat seit Jahrzehnten unverändert Gültigkeit: Es gibt ein Normklima, das besagt, dass bei 22 Grad Raumtemperatur die Luftfeuchtigkeit nicht dauerhaft über 55 Prozent sein soll. Ganz generell wird eine Luftfeuchtigkeit zwischen 30 und 55 Prozent empfohlen. Hat es draußen aber Minusgrade, dann muss der Höchstwert pro Grad unter Minus um ein Prozent reduziert werden. Das heißt, hat es draußen minus zehn Grad, darf die Luftfeuchtigkeit drinnen maximal 45 Prozent haben. Fertig, aus, das war's. Das ist letztlich alles, was man dazu wissen muss. Im Endeffekt geht's also nur darum, dass man den Leuten sagt: Kaufts euch ein Hygrometer, oder am besten zwei, lest euch diese Norm (ÖNORM B8110-2, Beiblatt 4, Anm.) so oft durch, bis ihr sie verinnerlicht habt – und ihr werdet nie wieder Schimmelprobleme bekommen.

STANDARD: Diese ÖNORM muss man halt leider kaufen, wenn man sie haben will.

Nussbaum: Ja, leider. Ich habe sie schon vor Jahren "kommentiert", also mit Kommentar versehen und neu herausgebracht, und diese Version kann ich nun auch weitergeben, was ich unterstützend sehr häufig mache.

STANDARD: Ist also meistens der Bewohner, die Bewohnerin schuld, wenn es zu Schimmel kommt?

Nussbaum: Meistens ja – zu 85 Prozent, würde ich sagen. Der kleinere Rest sind bauschädliche Wärmebrücken und Baumängel.

STANDARD: Lüften also. Aber wie?

Nussbaum: Stoßlüften ist in vielen Fällen auch gar nicht wirklich zielführend. Denn in der Regel ist die meiste Feuchtigkeit in den Wohnungsoberflächen. Wenn man stoßlüftet, entfeuchtet man die Luft zwar sehr rasch, da ist man in fünf Minuten von 70 auf 35 Prozent herunten. Aber das sind nur die 35 Prozent an Wasser, die in der Luft gebunden sind. Wenn man das Fenster zumacht, kommt sofort wieder die Feuchtigkeit aus den Oberflächen, das gleicht sich immer aus, und man ist sofort wieder auf 60 Prozent. Man sollte vielmehr ständig für einen hygienischen Grundluftwechsel sorgen. Da reduziert man dann den Wassergehalt in der gesamten Wohnung.

STANDARD: Also doch Dauerkippen?

Nussbaum: Ich halte es jedenfalls für einen Fehler, dass ständig betont wird, man dürfe im Winter nicht ständig die Fenster gekippt lassen. Klar, die Leute denken dann, sie heizen quasi beim Fenster raus, und in gewisser Weise stimmt das ja auch. Die Heizkosten steigen, wenn ich die Luftwechselzahl im Wohnraum erhöhe, das ist so. Aber man sollte eigentlich alle zwei Stunden die Raumluft einmal komplett mit der Außenluft austauschen. In Wohneinheiten mit Wohnraumbelüftung – also etwa in Passivhäusern – passiert das automatisch. Wohnraumlüftungen sind also absolut zu empfehlen, und ich wäre auch dafür, dass man sie verpflichtend – zumindest in Wohnhausanlagen – in den österreichischen Bauordnungen vorschreibt, so wie das in Deutschland indirekt schon der Fall ist. In Österreich wehren sich aber die Bauträger dagegen, weil die Baukosten dann nur weiter steigen. Spricht man aber mit Hausverwaltungen, hätte man wohl eine sehr klare Mehrheit dafür.

STANDARD: Bei uns sind also die neu gebauten Häuser extrem dicht, aber es werden ja sogar Passivhäuser ohne Wohnraumlüftung gebaut. Kann das gutgehen?

Nussbaum: Wer in einem modernen, gut abgedichteten Gebäude wohnt und keine Wohnraumlüftung hat, kommt jedenfalls am guten Lüften nicht vorbei. Sehr effektiv ist da die sogenannte Spaltlüftung, die moderne Fenster ermöglichen. Da stellt man den Hebel auf eine Position zwischen Öffnen und Kippen, dann ist nur ein ganz kleiner Spalt offen.

STANDARD: Okay – das wissen aber viele nicht, oder?

Nussbaum: Probieren Sie's aus! Diese Spaltlüftung ersetzt jegliches Stoßlüften. Früher war es ja auch üblich, dass man in Fenstern einen Lüftungsspalt eingebaut hat. Heute bauen wir aber extrem dichte Fenster, und dann bohren wir erst recht wieder Löcher in die Fassade für die Belüftung. Völliger Schwachsinn!

STANDARD: Gibt es noch andere Möglichkeiten, die Luftfeuchtigkeit zu reduzieren, außer zu lüften?

Nussbaum: Man kann einen Kondensationstrockner aufstellen, aber da hat man dann wieder hohe Stromkosten. Pflanzen können auch regulierend wirken. Da ist aber Hydrokultur besser. Verwendet man Topfpflanzen mit Erde, dann besteht auch dadurch wieder die Gefahr von Schimmel. Man sollte eigentlich die Erde im Topf einmal im Jahr austauschen – aber wer macht das schon? Da gibt es oft Schimmel auf der Erde, und wenn man vorbeigeht, fliegen die Sporen durch die Luft.

Feuchtepuffernd wirkt ansonsten etwa auch ein mineralischer Innenputz, zum Beispiel der klassische Kalk-Zement-Putz. Noch besser ist Ton-Lehm-Putz oder eine Innendämmung mit Kalziumsilikatplatten. Und natürlich wirken sich auch Möbel auf die Luftfeuchtigkeit aus. Mit Naturholz puffert man das Raumklima.

Allerdings sei hier noch gesagt, dass auch eine zu geringe Luftfeuchtigkeit schlecht ist. Insbesondere auch für die menschlichen Schleimhäute, die dann austrocknen können, wodurch es Keime leichter in den Körper schaffen. (Martin Putschögl, 5.10.2022)