Google geht, Amazon bleibt – so sieht es aktuell zumindest aus.

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"Selbstverschuldet", "War abzusehen" und ähnliche wenig charmante Worte begleiteten die offizielle Bestätigung durch Google, den Games-Streaming-Service Stadia nach nur drei Jahren Lebenszeit im kommenden Winter endgültig zu beenden. Tatsächlich war nur selten die Liebe des US-Konzerns in Richtung Gaming zu spüren – und damit ist in diesem wachsenden, aber stark umkämpften Markt weder Blumentopf noch eine ausreichend große Spielercommunity zu gewinnen.

R. I. P. Stadia

Es waren turbulente vier Jahre. Auf der Entwicklerkonferenz GDC 2019 angekündigt, präsentierte Branchen-Urgestein Phil Harrison die ambitionierten Pläne. Stadia sollte Games auf alle verfügbaren Geräte streamen können, Spieler sollten die Möglichkeit haben, via Youtube-Video direkt in ein Spiel einzusteigen, und durch die Gründung eigener Studios wollte der US-Konzern exklusive Titel sicherstellen. Aber schon der Start wurde den hohen Erwartungen nicht gerecht.

Zunächst war vielen unklar, was man für die monatlich zu zahlende Abo-Gebühr eigentlich bekommen sollte. Spiele wurden im Stadia-Store nämlich zum Vollpreis angeboten, doch fanden sich dort wenige aktuelle Titel – und schon gar keine Exklusivspiele. Erst sechs Monate später lieferte Google einen kostenlosen Zugang, der allerdings unter anderem nicht die hohe Auflösung der Bezahlvariante ermöglichte.

Auch ein Jahr später, als der Dienst in Österreich und anderen Ländern ausgerollt wurde, blieben viele Probleme – vor allem das geringe Spieleangebot – und machten eine größere Verbreitung unmöglich. Dabei waren die Vorzeichen, so zynisch es klingen mag, mit einer Pandemie, dazugehörigen Lockdowns und der anhaltenden Chipknappheit eigentlich perfekt für einen Service, der allein eine Internetleitung verlangte.

Schade, denn mittlerweile hatte sich eine Zielgruppe gefunden, die sich von der funktionierenden Technik, eine gute Internetleitung vorausgesetzt, begeistert zeigte. In ein Cyberpunk 2077 oder Assassin's Creed: Valhalla ohne Installation spontan einsteigen zu können, und das in einer visuell sehr ansprechenden Art, zeigte, dass die Idee hinter Stadia eine gute wahr. Man hätte sie wohl etwas anders angehen sollen – eventuell sogar mit anderen Verantwortlichen, wie auch der Bloomberg-Journalist Jason Schreier auf Twitter meint. Man könne in dieser Zeit nicht einen Service starten, als wäre es eine Konsole in den 1990er-Jahren, schreibt Schreier sinngemäß.

Die Konkurrenz schlief über die Jahre selbstredend auch nicht. Microsoft setzte rund ein Jahr nach Google ebenfalls stark auf Cloudgaming und konnte mit dem Gamepass einen attraktiven und mit Spielen gefüllten Katalog obendrauf setzen. Auch Geforce Now etablierte sich immer mehr und konnte mit guten Spieledeals mehr Leute anlocken als das ambitioniert gestartete Stadia. Wirklich Schlachten entscheidend ist Spiele-Streaming aber auch 2022 noch nicht. Noch immer gibt es zu viele Regionen, die keine ausreichend starke Bandbreite bieten, um aufwendige Spiele – die eine stärkere Internetleitung benötigen als beispielsweise TV-Serien – in ausreichender Qualität anbieten zu können.

Langsam merkte Google wohl, dass der Einstieg in die Games-Branche hart und umkämpft war und ein schneller Sieg in weite Ferne rückte. Der Rückenwind im Konzern, sollte er je da gewesen sein, nahm ab. Im Februar 2021 musste Stadia-Chef Phil Harrison die Schließung der eigenen Studios bekanntgeben, ohne auch nur ein Spiel jemals öffentlich präsentiert zu haben.

Das Spieleangebot von Stadia blieb über die Jahre überschaubar attraktiv.
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Falsche Erwartungen

Spätestens ab diesem Zeitpunkt glaubte niemand mehr in der Branche, dass Stadia eine Zukunft in der bestehenden Form beschieden war. Annäherungen an Entwickler wie Bungie oder Publisher wie Ubisoft wirkten wie das angestrengte Festhalten an einem untergehenden Schiff. Die Gründe, warum der riesige Konzern offenbar nie richtig hinter dem Projekt stand, werden wohl nie oder erst in vielen Jahren an die Öffentlichkeit kommen. Zu glauben, man könne innerhalb so kurzer Zeit der Games-Branche seinen Stempel aufdrücken und die bestehenden Größen zur Seite schieben, scheint nicht nur aus heutiger Perspektive naiv.

Bleibt die Frage, warum man sich nicht eher einen etablierten Branchenvertreter einverleiben konnte oder wollte, mit dem man zumindest an der Exklusivfront hätte stärkere Geschütze auffahren können. Electronic Arts hat schon mehrfach wenig subtil kommuniziert, dass es einer Akquisition gegenüber aufgeschlossen wäre. Auch das strauchelnde Ubisoft wäre ein Kandidat gewesen, aber auch hier wurde kein grüner Zweig gefunden, auf dem man sich hätte gemeinsam bewegen können. So fehlte es am Ende sowohl an einer überlegten Strategie als auch am Durchhaltevermögen, Stadia letztlich zu einem Erfolg werden zu lassen.

Die zuvor schon bei Ubisoft und EA tätige Jade Raymond wurde für das hauseigene Studio angeheuert. Um tatsächlich ein Spiel fertig zu produzieren, fehlte allerdings die Zeit.
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Amazon: Zwischen EA und Luna

Abseits der etablierten Größen in der Games-Branche, allen voran Microsoft, Sony oder auch Nintendo, scheint ein anderer großer US-Konzern einen längeren Atem als Google zu beweisen: Amazon. Seit bereits zehn Jahren gibt es die Amazon Game Studios, die zuletzt mit Lost Ark zumindest einen Achtungserfolg erzielen konnten und davor mit New World gezeigt haben, dass es zumindest nicht an ambitionierten Zielen mangelt.

Dann gibt es natürlich noch Prime Gaming, einen Teil von Amazon Prime, der Abonnenten diverse Bonusgegenstände in Games liefert und ältere Games kostenlos zum Download bereitstellt, sowie den Video-Streaming-Dienst Twitch, der 2014 für 970 Millionen Dollar von Amazon gekauft wurde. Zu guter Letzt findet sich auch ein Cloud-Gaming-Service à la Stadia bei Amazon im Angebot: Amazon Luna. Aktuell nur in den USA aktiv, können auch hier Videospiele ohne starke Hardware auf TV oder Tablet gestreamt werden.

Amazon Luna

Als Prime-Kunde bekommt man hier einige Spiele kostenlos, die allerdings aus dem Angebot wieder herausfallen können. Für rund zehn Dollar im Monat erhält man Luna+, das mit einer größeren Auswahl aufwartet. Ähnlich wie bei Stadia allerdings ohne die ganz großen, aktuellen Namen – und ganz genau wie bei Stadia selbstverständlich ebenfalls von einer guten Internetleitung abhängig.

Zukunftssicher

Streaming wird in seiner Relevanz mit Sicherheit noch wachsen. Firmen wie Microsoft zeigen, dass das dahinter- und rundherumstehende Ökosystem inklusive starker Games aktuell noch weit wichtiger ist. Die Basis für eine erfolgreiche Zukunft in der Branche hat Amazon gelegt, und offenbar hat man hier ausreichend Rückenwind, um die eigenen Studios auch zehn Jahre ohne großen Hit nicht gleich dichtzumachen. Würde man sich, wie Bloomberg im September 2022 vermutete, einen großen Spieleproduzenten wie etwa Electronic Arts (Fifa, Madden, Apex Legends und so weiter) ins Boot holen, man könnte plötzlich auch viel mehr Eigenproduktionen ins Rennen werfen.

Vielleicht wäre dann sogar eine erneute Verhandlungsrunde mit der Fifa möglich, die sich zuletzt nicht mehr mit dem Spieleproduzenten auf das gleichnamige Spiel einigen konnten. Unter der Amazon-Fahne könnte man sich ohne Gesichtsverlust vielleicht einigen und eine der erfolgreichsten Franchises der Games-Branche in gewohnter Weise fortsetzen. Und wenn Streaming dann in vielleicht fünf Jahren so weit ist, eine größere Rolle zu spielen, dann wäre Amazon wohl ganz vorne mit dabei. Anders als der gescheiterte Service Stadia, der sich aus diesem heißen Rennen wohl endgültig verabschiedet hat. (Alexander Amon, 1.10.2022)