Trainer Manfred Schmid hat im Fußball viel erlebt. Er war beim SV Großweikersdorf und bei Borussia Dortmund. Seine große Liebe blieb immer die Wiener Austria.

Foto: APA/EXPA/JOHANN GRODER

Der Terminkalender der Austria ist dicht. Am Sonntag (17 Uhr) gastiert Sturm Graz in der Generali-Arena. Danach geht es Schlag auf Schlag; Villarreal, Rapid, Villarreal, Salzburg. Es ist eine Feuerprobe.

STANDARD: Können Sie sich noch an Ihr erstes Spiel in der Bundesliga erinnern?

Schmid: Das war gegen Sturm Graz. Im Finish wurde ich von Erich Hof für Andi Ogris eingewechselt. So einen Moment vergisst man nicht. Bei mir hatte sich immer alles um die Austria gedreht. Ich saß mit dem Trikot in der Schule, ich stand mit meinem Vater im Stadion, ich habe Herbert Prohaska bewundert.

STANDARD: Ihre Premiere fand am 17. März 1990 statt. Die Austria gewann als Titelkandidat 3:0 und spielte vor 2200 Zusehern. Am Sonntag geht es wieder gegen Sturm, das Stadion ist ausverkauft. Was hat sich verändert?

Schmid: Damals war die Fankultur nicht so gewachsen, das Stadion nicht so schön wie heute. Wenn wir vor vollem Haus spielen, ist das für mich die schönste Auszeichnung. Das zeigt, dass wir mit der Art und Weise, wie wir Fußball spielen, die Fans mitnehmen. Auch wenn wir nicht um den Titel mitreden.

STANDARD: Sie hatten als Spieler den Spitznamen "Terrier". Der wird unter anderem als starrsinnig bezeichnet.

Schmid: Auf dem Platz war ich ein anderer Mensch. Ich konnte nicht verlieren, ich war verbissen und jähzornig. Ich denke nicht, dass ich als Trainer starrsinnig bin. Aber ich bin von meinen Ideen überzeugt. Und ich liebe es, Entscheidungen zu treffen.

STANDARD: Hätte der Spieler Schmid beim Trainer Schmid ein Leiberl gehabt?

Schmid: Auf jeden Fall. Wahrscheinlich hat es Bessere gegeben. Aber von der Einstellung, von der Leidenschaft her war ich zu hundert Prozent beim Fußball. Mir war der Erfolg der Mannschaft wichtiger als der eigene.

STANDARD: Sie haben unter vielen Trainern gespielt. Wer hat Sie am meisten geprägt?

Schmid: Zweifellos Prohaska. Er hat im Training oft mitgespielt, das war unangenehm. Wenn du ihm den Ball nicht auf den Fuß gespielt hast, gab es Ärger. Er hatte diesen unglaublichen Leistungswillen. Dieser Ehrgeiz hat abgefärbt. Er hat uns gezeigt, was es heißt, für Austria Wien zu spielen.

STANDARD: Wie ging der Trainer Prohaska mit den Spielern um?

Schmid: Seine Menschenführung war perfekt. Er hat beobachtet, analysiert und gut reagiert. Prohaska hat gesehen, wenn einer nicht gut geschlafen hat. Oder wenn einer mit privaten Problemen beschäftigt war. Er hatte das richtige Gespür für jede Situation.

STANDARD: Haben Sie die soziale Kompetenz übernommen?

Schmid: Ich will mit jedem Spieler offen und ehrlich kommunizieren. Ich möchte wissen, wie er sich fühlt. Wenn du diese Hintergrundinformationen hast, kannst du besser beurteilen, warum er in gewissen Situationen emotional auf den Trainer reagiert. Der Spieler ist in erster Linie Mensch.

STANDARD: Muss der Trainer mitunter die Samthandschuhe ausziehen?

Schmid: Man muss in der Akademie schon lernen, was es bedeutet, Profi zu sein. Ist ein Spieler körperlich nicht fit, kann er auch in Österreich nicht auf höchstem Niveau spielen. Dann muss man ihm seine Schwächen aufzeigen, sonst wird das nichts.

STANDARD: Wie läuft so ein Gespräch ab?

Schmid: Man kann körperliche Werte heranziehen. Das ist ein internationaler Spieler, und das bist du. Und du bist Welten entfernt. Willst du dahin, dann musst du das, das und das machen. Aber das geht nur mit viel Zeit und Disziplin. Und mit Kritikfähigkeit.

STANDARD: Sie legen auch Wert auf einen guten Umgang.

Schmid: Jeder im Verein hat denselben Wert. Egal ob Spieler, Reinigungskraft oder Präsident. Das ist mir wichtig. Es gibt viele Menschen, denen es nicht gutgeht. Darauf muss man achten. Man muss schauen, wie man helfen kann. Dafür möchte ich sensibilisieren.

STANDARD: Der Fußball ist ein brutales Geschäft. Und bei Niederlagen wird es noch brutaler, gerade in den sozialen Medien. Muss man die Spieler vor diesen Einflüssen schützen?

Schmid: Man muss sie vorbereiten. Und man muss ihnen dabei helfen, die Dinge einzuordnen. Nur weil jemand hässliche Dinge im Internet behauptet, entspricht das nicht der allgemeinen Meinung. Man sollte in der Mitte bleiben, also bei Siegen nicht abheben und bei Niederlagen nicht zu Tode betrübt sein.

STANDARD: Es wirkt, als würden Sie diese Einstellung vorleben.

Schmid: Ich bin auch mal enttäuscht oder freue mich. Ich weiß aber trotzdem, dass es im Fußball nicht um Leben und Tod geht. Ich habe viele Tiefschläge erfahren. Meine Eltern wurden 44 und 46 Jahre alt. Mein Sohn sitzt im Rollstuhl. Ich hätte im Leben oft zerbrechen können. Als Mensch oder als Trainer.

STANDARD: Warum sind Sie nie zerbrochen?

Schmid: Weil ich nie aufgegeben habe. Und wenn ich im Fußball mein Bestes gebe, mache ich mir keine Vorwürfe, wenn ich gewisse Dinge nicht erreiche. Dann hat es vielleicht einen Besseren gegeben, oder es hat gerade nicht gepasst. Das kann passieren.

STANDARD: Sie haben alle Positionen durchlaufen. Spieler, Scout, Co-Trainer, Cheftrainer. Macht Sie das zu einem besseren Coach?

Schmid: Ich habe einige Erfahrungen im Profigeschäft gesammelt, ich konnte mit Topstars und Topmanagern arbeiten. Da nimmt man viel mit. In meiner Zeit beim 1. FC Köln bin ich in jedes Stadion in der Umgebung gefahren. Und ich habe alle Toptrainer beobachtet, egal ob Tuchel oder Guardiola.

STANDARD: Gegen Guardiola haben Sie noch gespielt. Die Austria verlor 1993 vor 90.000 Zusehern 0:3 in Barcelona.

Schmid: Guardiola, Romario, Laudrup, Stoichkov, Koeman. Das war eine tolle Truppe. Ich konnte kaum glauben, wie schnell ein Hristo Stoichkov war. Die technischen Unterschiede waren ernüchternd. Aber immerhin hat Ogris im Rückspiel ein Tor mit der Ferse gemacht.

STANDARD: Steht die Austria kommenden Donnerstag bei Villarreal vor einer ähnlich schwierigen Aufgabe?

Schmid: Das ist eine Riesenherausforderung. Wir werden alles probieren, um zu bestehen. Die Leistungen in den internationalen Partien waren bisher in Ordnung. Der Europacup ist die Belohnung für vergangenes Jahr, die Liga ist unser tägliches Brot. Zuerst wollen wir am Sonntag Sturm schlagen. (Philip Bauer, 1.10.2022)

Manfred Schmid (51) aus Wien absolvierte im defensiven Mittelfeld 224 Spiele für die Austria. Er war Co-Trainer von Peter Stöger beim Meistertitel 2013, ehe er mit Stöger zum 1. FC Köln und zu Borussia Dortmund ging. Seit 2021 ist er Austria-Trainer.