Gegen das laut polternde Getreibe der Inszenierung hatten die musikalischen Kräfte schwer anzukommen.

Werner Kmetitsch

Das Stück ist ein Oratorium und zugleich viel mehr – die Fusion einer Messe mit einer Reihe äußerst expressiver Gesänge, ein intensives Gebet und ein Schrei der Versöhnung. Jedenfalls war Benjamin Brittens War Requiem für eine rein musikalische Aufführung gedacht, ursprünglich in sakralem Rahmen.

Nun ist es geradezu ein Paradigma der Theaterpraxis geworden, grundsätzlich alles auf die Bühne bringen zu dürfen – seien es Romane oder Symphonien. Der Erfolg gibt vielen solchen Projekten recht. Und streift nicht Brittens Stil, vor allem bei den Sologesangsnummern, ans Opernhafte an? Ein gewichtiges Gegenargument ist freilich, dass ein so konzentriertes, versunkenes, von Trauer und Hoffnung durchdrungenes Hören, wie es wohl intendiert war, durch Bilder und turbulente szenische Vorgänge deutlich erschwert, wenn nicht verunmöglicht wird.

Publikum mittendrin

Regisseur Lorenzo Fioroni hat am Opernhaus Graz das Stück, seine Botschaft und seinen unverbrüchlichen Glauben mit voller Wucht dekonstruiert, einen szenischen Rahmen erfunden, bei dem zwei Kriegsrückkehrer in eine Trauerfeier platzen, die zur infernalen Party wird.

Die Inszenierung bemüht sich intensiv um die Auflösung der vierten Wand, der imaginären Grenze zwischen Bühne und Zuschauern: Im Foyer sorgt schon beim Betreten ein Sarg für Verwirrung, das Geschehen und auch das Publikum werden gefilmt und auf Videowände projiziert, einige buchbare Sitzplätze sind mitten auf der Bühne, deren Bretter von Sebastian Hannak so konstruiert wurden, dass sie in den Zuschauerraum ragen.

Dort findet auch viel des Treibens statt, oft laut polternd. Wenn es Absicht war, erhabenes Lauschen oft unmöglich zu machen, dann ist das voll und ganz gelungen.

Musizieren mit Hingabe

Währenddessen wird mit aller Hingabe musiziert: Chefdirigent Roland Kluttig findet mit den Grazer Philharmonikern eine wunderbare Einheit der heterogenen Stilebenen, hochdifferenzierten Klang mit aller nötigen Akzentuierung, während Johannes Braun das kleine Kammerorchester ebenso verlässlich und akkurat betreut. Der Chor, dessen Mitglieder szenische Daueraktivität bieten müssen, klingt großartig homogen.

Und auch die Solistin und die zwei Solisten, die im Zentrum des Geschehens stehen, überzeugen voll und ganz: Sopranistin Flurina Stucki gibt mit dramatischer Wucht eine Art von einmal wütender, einmal innig bittender Kriegsbotin, Matthias Koziorowski ist beeindruckend nahe am Typus des Britten-Tenors: mit gemeißelter Diktion, kraftvoll, fokussiert und hell, Bariton Markus Butter vereint markante Kraft mit lyrischer Weichheit. Die beiden Letzteren geben sich mit vollem darstellerischen Einsatz auch wie zwei alte Kumpels Trost und Versöhnung – und verkörpern die Utopie, dass aus Feinden Freunde werden können. (Daniel Ender, 1.10.2022)