Wladimir Putin war immer ein KGBler. Der KGB (Komitet gossudarstwennoi besopasnosti, Komitee für Staatssicherheit) war so ziemlich das Einzige, was in der alten Sowjetunion wirklich funktionierte. Ein riesiger Apparat, der einerseits mit eisernem Griff das System nach innen erhalten, andererseits durch Spionage und sogenannte "aktive Maßnahmen" nach außen die schweren Systemnachteile der kommunistischen UdSSR gegenüber dem Westen ausgleichen sollte.

Westliche Sicherheitsexperten gehen von Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines aus.
Foto: APA/AFP/Airbus DS 2022/HANDOUT

Der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline trägt die Handschrift des KGB. Der heißt jetzt anders und wurde auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aufgeteilt. Aber die Methoden sind dieselben: "Im Systemkampf zwischen Ost und West hatten die sowjetischen Sicherheitsbehörden lange das angewandt, was sie als ‚aktive Maßnahmen‘ bezeichneten, um den Gegner zu erschüttern und zu destabilisieren", schreibt die britische Putin-Kennerin Catherine Belton in ihrem umfangreichen Buch Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste.

Der Punkt ist, dass die neue Führung unter Putin die riesigen Ressourcen des Landes nicht dazu benutzte, um die russische Wirtschaft und Gesellschaft zu modernisieren, sondern einerseits in den Machtapparat, andererseits in massivste Destabilisierungsmaßnahmen gegen den Westen, insbesondere Europa steckte. Es ist, als ob die Putin-Clique zu dem Schluss gekommen wäre, dass Russland im friedlichen Wettbewerb niemals gegen den Westen bestehen könne; dass sie fürchten musste, ihre "Einflusssphäre", vor allem die Ukraine, an das westliche Modell zu verlieren; und dass sie deshalb mit allerlei Methoden – ganze Trollarmeen in den westlichen sozialen Medien, massive finanzielle Unterstützung für europäische rechtsextreme Parteien, direkte Wahlbeeinflussung im Westen – diesen fundamentalen Nachteil ausgleichen wollte. Es steht fest, dass mit russischer Hilfe sowohl der Wahlkampf von Hillary Clinton wie das Brexit-Referendum in Großbritannien beeinflusst wurde.

Aggressive Maßnahme

Der Anschlag auf Nord Stream trägt alle Anzeichen einer "aktiven Maßnahme" nach dem Muster des KGB. Selbstverständlich gibt es Verschwörungsschwurbler, die die CIA dahinter sehen wollen. Selbst wenn man das für Unsinn hält – warum setzt Putin wirklich eine so aggressive und im Grunde verzweifelte Maßnahme wie die Sprengung seiner eigenen Gasleitung nach Europa? Weil er verzweifelt ist, könnte die Antwort lauten. Der Krieg gegen die Ukraine geht nicht gut, die Europäer unterstützen die Ukraine mit Geld und Waffen, die Sanktionen gegen Russland tun weh. Er will daher Panik erzeugen: Seht her, ich kann euch endgültig vom Gas abschneiden, aber ich muss nicht offen aktiv werden, indem ich die Lieferungen ganz einstelle. Ich schiebe das einfach auf "internationalen Terrorismus". Davon abgesehen, kam ohnehin schon länger kein Gas mehr durch die Pipeline – aber da nach Berichten ein Einzelstrang unbeschädigt blieb, kann man die Lieferungen wieder in kleinerem Umfang aufnehmen, wenn die Europäer "vernünftig" geworden sind.

Der alte KGB unterstützte über osteuropäische Geheimdienste die Terroristen der RAF und die radikalen Palästinenser. Auf Papst Johannes Paul II. , der eine wichtige Rolle beim Sturz des kommunistischen Regimes in seiner polnischen Heimat spielte, wurde ein Attentat verübt. Aber das System war trotzdem nicht lebensfähig. Putin hat daraus die falschen Schlüsse gezogen, nämlich dass man es noch einmal, und noch rücksichtsloser, versuchen muss. (Hans Rauscher, 30.9.2022)