Rund zehn Prozent Inflation. Extrem hohe Treibstoffpreise. Rationierung von Energie. Konsumentinnen und Konsumenten, die ob der Preissteigerungen verunsichert sind, und dementsprechend geforderte Politiker. Höchst ungemütliche Zustände, in die Österreich als Folge des Ukraine-Kriegs und der Turbulenzen durch die Corona-Pandemie geworfen wurde. Neu sind solche Verwerfungen in der Zweiten Republik allerdings nicht. Vor rund 50 Jahren, in den 1970ern, steckte das Land schon einmal in einer Inflationskrise. Sogar die Auslöser waren ähnliche.

1973 und 2022 mündet ein Energieschock in eine stark steigende Inflation. Links: Menschen warten damals in Wien auf Heizöl. Rechts: Spritpreise ziehen an.
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Am 6. Oktober 1973 greifen Syrien, Ägypten und andere arabische Länder Israel am jüdischen Feiertag Jom Kippur an. Um die Unterstützung des Westens für Israel zu schwächen, wollen arabische Länder Druck aufbauen. Sie drosseln über das Opec-Kartell die Erdölförderungen und verhängen einen Lieferboykott gegen den Westen. Der Ölpreis vervierfacht sich auf zwölf Dollar pro Fass. Als Folge der teuer importierten Energie steigt die Inflation in Österreich und erreicht im Jahr 1974 ihren Höchststand mit 9,52 Prozent.

Wie ist Österreich damals durch die Krise gekommen? Könnte sich die schwarz-grüne Koalitionsregierung Nehammer/Kogler an den Reaktionen der damaligen Politik ein Beispiel nehmen? Oder lassen sich angesichts unterschiedlicher Rahmenbedingungen keine sinnvollen Vergleiche ziehen?

DER STANDARD hat über diese Fragen mit einigen der damaligen Entscheidungsträger sowie mit Expertinnen und Experten gesprochen und Berichte der Wirtschaftsforscher aus der damaligen Zeit studiert.

"Die grundsätzliche Problematik ist heute wie damals die gleiche", sagt Hannes Androsch, der von 1970 bis 1981 Finanzminister in der SPÖ-Alleinregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky war, "aber die Reaktionen sind grundverschieden." Wolfgang Petritsch, einst Kreiskys Sekretär und Pressesprecher und zuletzt Spitzendiplomat, ergänzt: "Die Stimmung in den 1970er-Jahren war trotz hoher Inflationsraten weniger angespannt als heute. Die Zusammenarbeit der Sozialpartner war besser und das Gefühl, dass man im selben Boot sitze, ausgeprägter."

Österreich in den 1970ern. Zwei Jahrzehnte des fortlaufenden Wachstums, das vielgerühmte Wirtschaftswunder, haben das Leben der Menschen nachhaltig zum Guten verändert. Es herrscht nahezu Vollbeschäftigung mit Arbeitslosenraten um die zwei Prozent.

Österreichs Währung, der Schilling, ist bis 1971 an den US-Dollar und damit an den Goldwert gebunden. Als dieses Bretton-Woods-Währungssystem kollabiert, setzt Österreich die Hartwährungspolitik fort: Der Schillingkurs wird zunächst an ein Bündel von anderen Währungen und dann an die D-Mark gebunden. Dazwischen wird die Währung mehrmals aufgewertet. Die Industrie drängt hingegen auf einen weichen Schilling, denn Abwertungen würden die Exporte erleichtern, weil dann in Österreich produzierte Waren im Ausland billiger würden.

Der Staat fordert Verzicht

Kanzler Kreisky, der "Sonnenkönig", ist zwar mit Vertretern der Industrie gut, winkt aber ab, um damit den bestehenden Preisauftrieb nicht weiter anzuheizen und um es sich nicht mit den Gewerkschaftern, allen voran ÖGB-Chef Anton Benya, zu verderben.Denn schon seit Ende der 1960er-Jahre steigt die Inflation weltweit an, Österreich bildet da keine Ausnahme. Für den Preisauftrieb sorgen die zusätzlichen Ausgaben der USA für den Vietnamkrieg und hohe Lohnabschlüsse. Ein weicher Schilling hätte Importe aus dem Ausland verteuert und so die Inflation erst recht weiter angefacht.

So weit die Ausgangslage.

Dann kommt die Ölblockade – mit den genannten Auswirkungen auf die Inflation. Interessant ist, was der Staat damals nicht tut. Er schnürt keine Hilfspakete für die Haushalte, "es gab noch nicht einmal die Forderung nach staatlicher Alimentierung", wie sich Petritsch erinnert.

Welch Unterschied zu heute. Die türkis-grüne Koalition hat eine Stromkostenbremse fixiert, einen Klima- und Antiteuerungsbonus eingeführt, Steuerfreibeträge angehoben und, und, und. Auf mehr als 30 Milliarden Euro summieren sich allein die Entlastungen für Haushalte bis 2026. Ein großer Teil der Maßnahmen dient dazu, den Konsum zu stützen.

Damals in den 1970ern wurde dagegen versucht, den Konsum einzuschränken, wie sich Ewald Nowotny, der damalige Ökonomieprofessor und SPÖ-Mandatar sowie spätere Notenbankchef, erinnert. Eingeführt wurde ein autofreier Tag pro Woche, der per Pickerl auf der Windschutzscheibe sichtbar gemacht wurde. Was dem dafür zuständigen Handelsminister Josef Staribacher den Spitznamen "Pickerl-Pepi" eintrug. Auf allen Straßen wurde 100 km/h als Höchstgeschwindigkeit eingeführt, Tankstellen wurden vorübergehend an Sonntagen geschlossen. Im Jahr 1974 wurden die Energieferien eingeführt – die Leute sollten frei haben und weniger Energie verbrauchen und das Pendeln so vorübergehend einstellen. In öffentlichen Gebäuden wurde die Raumtemperatur gedrosselt.

Heutzutage wird von alledem nur geredet. Verpflichtende Energiesparvorgaben gibt es – noch – nicht. Der Einsatz von Heizschwammerln und Heizstrahlern soll jetzt immerhin für Unternehmen, die Förderungen beantragen, begrenzt werden. Nachtskifahren bei Flutlicht bleibt erlaubt.

Fiel den Leuten der Verzicht in der Krise vor 50 Jahren leichter als heute? Schwer zu sagen. Natürlich gab es auch damals Kritik und Unzufriedenheit. Aber viele konnten sich noch an die bei weitem schlechteren Zeiten vor dem Wirtschaftswunder erinnern. Auch deshalb ließen sich die Maßnahmen aus psychologischer Sicht leichter umsetzen als heute, meint der WU-Wirtschaftshistoriker Andreas Resch, die Entwicklungen seien angenommen worden. Auch deshalb, weil damals der Ausbau des Sozialstaates vorangeschritten sei.

Keine "hysterische" Inflationsangst

Es habe damals eben keine "hysterische Angst vor der Inflation" gegeben, weil auch die Pensions- und Arbeitseinkommen der Unselbstständigen gestiegen seien, und zwar um durchschnittlich 9,1 Prozent, erklärt Ferdinand Lacina, damals Leiter der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer Wien und späterer Kabinettschef Kreiskys, Staatssekretär für Wirtschaftsfragen im Kanzleramt, Verkehrs- und bis 1995 Finanzminister. "Man wusste, dass die Preissteigerungen durch die Lohnverhandlungen wieder eingeholt werden", sagt er. Die Eingriffe des Staates seien mit den Energiesparauflagen "erheblich" gewesen, aber die habe die Bevölkerung auch mit Humor genommen. Ebenso wie Kreiskys legendär gewordene Empfehlung während der Energiekrise, man solle sich eben nass statt elektrisch rasieren.

Während in den 1970ern der Konsum vom Staat nicht gestützt wurde, wurde auf Investitionen gesetzt, erinnert sich der einstige Finanzminister und Vizekanzler Androsch. Nicht nur der Staat gab zusätzliches Geld aus, er kurbelte über Steuererleichterungen auch die Investitionen Privater an. Das habe den Strukturwandel und damit Österreichs Wettbewerbsfähigkeit massiv befördert.

Und wie kamen die Leute über die Runden? Die Einkommen stiegen mit der Inflation mit, allerdings nicht überschießend. Nachdem eine Lohnrunde in der Industrie mit einem Plus von rund 18 Prozent im Jahr 1973 "aus dem Ruder gelaufen war", wie Androsch es nennt, und sich auch daraus Inflation entwickelt hatte, taten sich Sozialpartner, Nationalbank und Finanzministerium in einer "konzertierten Aktion" zusammen und schnürten ein Maßnahmenpaket. Dazu gehörte eine Politik der Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften, analysiert WU-Professor Resch. Ziel war es, die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale zu verhindern.

Damals war Österreichs Industrie freilich zu einem großen Teil verstaatlicht, und die Gewerkschaft unter Benya konnte darauf bauen, dass die Arbeitsplätze in der Verstaatlichten sicher waren. Auch dafür nahm der Staat viel Geld in die Hand und begann Staatsbetriebe wie die Vöest zu subventionieren.

Ein fixer Bestandteil der Antwort auf den Ölpreisschock waren Preiskontrollen. Es gab die paritätische Kommission aus Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Vertretern der Regierung, die regelmäßig zusammentrat und gezielt in den Markt eingriff. So waren die Preise für Maschinensemmeln und bestimmte Brotsorten ebenso festgelegt wie für bestimmtes Bier. Das sollte für alle leistbar bleiben, so Lacina. Preisobergrenzen oder Ähnliches gibt es heute noch nicht: Die Koalition bezuschusst allerdings den Stromverbrauch mit der Energiekostenbremse bald massiv.

Bleibt schließlich noch die Rolle der Oesterreichischen Nationalbank zu diskutieren. Diese fokussierte vor allem auf die beschriebene Hartwährungspolitik. Der Leitzins, der Diskontzinssatz, stand zu Beginn der 1970er-Jahre schon bei recht hohen 4,75 Prozent und sollte in der Inflationskrise auch nicht auf mehr als 6,5 Prozent steigen.

Wie sah das Ergebnis der Anti-Inflations-Politik in den 1970er-Jahren aus? Die Inflation wurde gedämpft und sank bis zum Jahr 1978 auf 3,6 Prozent, ehe ein zweiter Ölpreisschock, ausgelöst durch den Sturz der Monarchie im Iran, noch einmal zu einer Preisspitze führte.

Österreich war besser davongekommen als die meisten anderen europäischen Länder. Die Wirtschaft selbst brach nicht ein, 1975 schrumpfte die Wirtschaftsleistung um gerade 0,4 Prozent. Das war freilich der erste Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg – und mehr sollte es damals auch nicht mehr werden. Allerdings: Der Staat hat sich als Folge der zusätzlichen Ausgaben schwer verschuldet, die Schuldenquote hat sich in den 1970er-Jahren auf etwa 40 Prozent des BIPs verdoppelt. Die Arbeitslosigkeit war nur leicht gestiegen.

Was hilft gegen die hohe Inflation? In der Krise in den 1970er-Jahren mussten diese Frage Bundeskanzler Bruno Kreisky und sein Finanzminister sowie späterer Vizekanzler Hannes Androsch (beide SPÖ) beantworten. Heute sind Karl Nehammer (ÖVP) und Werner Kogler (Grüne) am Ruder.
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Keine Konsumförderung, sondern eher Investitionsausbau und Zuschüsse für Betriebe der Verstaatlichten. Lohnzurückhaltung. Hartwährungspolitik. Festgesetzte Preise für bestimmte im Inland produzierte Lebensmittel. Und Verzicht. Das waren also die Zutaten für die Krisenbekämpfung nach dem ersten Ölpreisschock, die auch unter dem Namen "Austro-Keynesianismus" bekannt wurden.

Baustein für die nächste Krise

Lässt sich daraus etwas lernen? In Ansätzen natürlich: Beim Energiesparen muss die Welt nicht (nur) neu erfunden werden. Es gäbe zudem Alternativen zu den teuren Hilfspaketen der türkis-grünen Koalition, bei denen alle Haushalte unabhängig von der Bedürftigkeit mit Geld bedacht werden. Infolge der Corona-Pandemie und der vielen Hilfszahlungen habe sich eine "Helikoptergeld-Mentalität" in Österreich entwickelt, sagt der Ökonom Fritz Breuss, der in den 1970ern am Forschungsinstitut Wifo tätig war. Das habe es früher nicht gegeben.

Und sein Kollege damals am Wifo, der Ökonom Stephan Schulmeister, argumentiert sogar, dass es bei einer durch teuer importierte Energie ausgelösten Inflationskrise hochproblematisch sei, wenn der Staat alle Verluste der Haushalte ersetzen wolle. Wenn Österreich Gas teuer einkaufen müsse, fließe ja Wohlstand aus dem Land ab. Diesen Verlust durch staatliche Mehrausgaben zu ersetzen erhöhe das Risiko für eine Inflationsspirale.

Angesichts völlig neuer Rahmenbedingungen sollten die Vergleiche mit den 1970er-Jahren aber auch nicht überstrapaziert werden. Österreich ist in der EU, die Globalisierung weit vorangeschritten. Mitte der 1970er-Jahre lag der Anteil importierter Güter und Dienstleistungen bei rund 30 Prozent der Wirtschaftsleistung, heute sind es fast 50 Prozent. Der Wert der exportierten Güter verdoppelte sich seit Anfang der 1970er-Jahre von 20 auf 41 Prozent des BIPs. Sprich: Österreichs Unternehmen sind viel stärkerem Wettbewerb ausgesetzt, steigende Energiekosten und Löhne haben also heute potenziell weitreichendere Folgen. Zugleich entscheidet über Preise in viel geringeren Ausmaß das, was in Österreich passiert: Die Entwicklungen in den übrigen Euroländern, aber auch in China und den USA spielen eine größere Rolle.

Dazu kommt, dass die Währungspolitik nicht mehr in Wien, sondern in Frankfurt von der Europäischen Zentralbank gemacht wird.

Trotz Erdölschocks seien die 70er-Jahre das Jahrzehnt der gesellschaftspolitischen und ökonomischen Modernisierung geworden. Letztlich sei der LebensStandard gestiegen, der Sozialstaat entstanden und die Arbeitslosigkeit auf niedrigem Niveau geblieben, sagt der Wirtschaftshistoriker Resch. Die 1980er-Jahre sollten in vielerlei Hinsicht das schwierigere Jahrzehnt werden. Die Verstaatlichtenkrise brach aus, horrende Verluste von Leitbetrieben wie der Vöest-Alpine führten dazu, dass die Strategie der Vollbeschäftigung aufgegeben werden musste.

Diese Gemengelage war durch den Umgang mit der Inflationskrise in den 1970er-Jahren verschärft worden, sagt der Ökonom Fritz Breuss, weil damals mit den hohen Subventionen der verstaatlichten Industrie begonnen wurde. Das hatte den Anstieg der Staatsschulden zur Folge.

Diese Probleme hat die türkis-grüne Koalitionsregierung noch nicht. Sie muss zunächst die jetzige Krise lösen, eine Inflation wie damals. (Renate Graber, András Szigetvari, 1.10.2022)