Grund zur Freude hatte am Sonntag der amtierende lettische Premierminister Arturs Krišjānis Kariņš.

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Riga – Die Menschen in Lettland haben vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs und von Sorgen über steigende Energiepreise die Partei von Regierungschef Arturs Krišjānis Kariņš am Samstag zur stärksten Kraft gewählt. Nach einem schlechten Abschneiden der drei bisherigen Bündnispartner blieb allerdings noch offen, wie die künftige Regierung aussehen könnte. Lettland grenzt an Russland und sieht dessen Invasion in die Ukraine als direkte Gefahr für seine Sicherheit.

Gemeinsam mit den baltischen Partnern Estland und Litauen forderte die Regierung in Riga zuletzt immer wieder ein härteres Vorgehen des Westens gegen Russland. So stehen die baltischen Regierungen beispielsweise einer schnellen Aufnahme der Ukraine in die Nato und die EU offen gegenüber. Eine Aufnahme von fliehenden russischen Reservisten lehnen sie ab.

Sicherheit als überzeugendes Argument

Die Partei von Kariņš, Jaunā Vienotība, erhielt nach Angaben der Wahlkommission 18,9 Prozent der Stimmen. Im Europäischen Parlament gehört sie zur EVP-Fraktion. Im Wahlkampf hatte sie den Wählern versprochen, die Sicherheit des Ostseestaats zu stärken und das Wohlergehen der Bevölkerung zu erhöhen.

Zweitstärkste Kraft wurde das oppositionelle Bündnis der Bauern und Grünen (12,7 Prozent) vor dem neugebildeten Wahlbündnis Vereinigte Liste (11,0 Prozent). Von Kariņš' bisherigen drei Koalitionspartnern schaffte nur eine sicher den Sprung ins Parlament.

Diese Frau gab ihre Stimme schon Samstagfrüh in der lettischen Hauptstadt ab.
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Großer Verlierer: Partei Harmonie

Größter Verlierer des Votums ist die bisher stärkste politische Kraft in Lettland: Die Oppositionspartei Harmonie, die bei den vorherigen Wahlen jeweils die meisten Stimmen gewann, wird voraussichtlich nicht mehr im Parlament, der Saeima, vertreten sein. Kernwählerinnen und Kernwähler der Partei kommen vor allem aus der starken russischstämmigen Minderheit, die ein Viertel der lettischen Bevölkerung aus.

Die Partei Harmonie hat sich zum Ukraine-Krieg nur vage positioniert, da Russlands Invasion heikle Fragen in Lettland neu aufgeworfen hat. Dazu zählen etwa der Gebrauch der russischen Sprache, die Loyalität ethnischer Russen in Lettland und unterschiedliche Interpretationen der Geschichte.

Acht Parteien im Parlament

Zur Wahl angetreten waren 19 Parteien, acht schafften den Einzug ins Parlament. Die Wahlbeteiligung lag bei 59 Prozent.

Kariņš, der als erster lettischer Regierungschef eine volle Amtszeit von vier Jahren überstand, zeigte sich nach der Stimmabgabe bereit, auch die kommende Regierung anzuführen. Für einen Verbleib im Amt ist der in den USA geborene frühere EU-Abgeordnete auf neue Bündnispartner angewiesen. Dazu äußerte er sich in der Wahlnacht zunächst zurückhaltend.

"Nichtbürger" durften nicht wählen

Expertinnen und Experten rechneten in Wahlsendungen im lettischen Fernsehen mit schwierigen Koalitionsverhandlungen. Staatschef Egils Levits, der den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen muss, will am Montag mit den Vertreterinnen und Vertretern der ins Parlament gewählten Parteien zu Gesprächen zusammentreffen.

Rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung Lettlands sind sogenannte "Nichtbürger", zwei Drittel davon wiederum ethnische Russinnen und Russen. Nichtbürgerinnen und -bürger wurden nach Ende der Sowjetunion all jene Menschen, die vor der sowjetischen Besetzung 1940 keine lettische Staatsbürgerschaft hatten und auch keine Nachkommen von solchen Personen waren. Sie verfügen weder über ein aktives noch ein passives Wahlrecht. In Lettland geborene Kinder von Nichtbürgerinnen oder Nichtbürgern erhalten aber mittlerweile automatisch die lettische Staatsbürgerschaft. (APA, red, lew, 2.10.2022)