Die Nobelmedaille ist die wichtigste Auszeichnung, die Forscherinnen und Forscher gewinnen können. Das Rätselraten um die diesjährigen Preisträger hat demnächst ein Ende.

Ab Montag ist es wieder so weit. In der erster Oktoberwoche werden in Stockholm traditionell die Gewinnerinnen und Gewinner der diesjährigen Nobelpreise bekanntgegeben: jene für Medizin oder Physiologie am Montag, am Dienstag für Physik und am Mittwoch für Chemie. Nach diesen wichtigsten wissenschaftlichen Auszeichnungen, die seit 1901 vergeben werden, folgen am Donnerstag der Literaturnobelpreis und am Freitag der in Oslo verkündete Friedensnobelpreis. Nächste Woche schließt dann der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften – vulgo Wirtschaftsnobelpreis – den Auszeichnungsreigen ab.

Jeder Preis ist mit zehn Millionen schwedischen Kronen (etwa 981.000 Euro) dotiert. Das Preisgeld stammt aus dem Vermögen des schwedischen Erfinders und Industriellen Alfred Nobel, an dessen Todestag (10. Dezember) die Auszeichnungen verliehen werden. Während für die Gewinner des Literatur- und Friedensnobelpreises auch Wetten entgegengenommen werden (in der Literatur stehen die Chancen für Michel Houellebecq und Salman Rushdie am besten), halten sich die Wettbüros bei den wissenschaftlichen Nobelpreisen zurück.

Zwei Hauptanwärter: Karikó und Weissman

Gleichwohl gibt es auch hier mehr oder weniger eindeutige Favoritinnen und Favoriten. Am klarsten ist die Ausgangslage wohl am Montag, an dem die Entscheidung der Nobelversammlung des Karolinska-Instituts ab 11.30 Uhr am verkündet wird. Hier stehen die Chancen für jene Forschenden eindeutig am besten, die wesentliche Beiträge zur Entwicklung der mRNA-Impfungen geliefert haben. Denn die Impfungen gegen Covid-19 retteten laut neuesten Berechnungen im Fachblatt "The Lancet" seit Ende 2020 rund 14,4 Millionen Menschen das Leben. Und die ersten und die meisten der verabreichten Vakzine waren jene von Biontech und Moderna, die auf der mRNA-Technologie basieren.

Gesetzt wären in diesem Fall die aus Ungarn stammende Biochemikerin Katalin Karikó und ihr US-Kollege Drew Weissman. Die beiden haben bereits vor knapp 20 Jahren die wichtigsten Vorarbeiten geleistet, um mRNA-Impfungen auf den Weg zu bringen. Die beiden wurden auch mit den wichtigsten Auszeichnungen bedacht, die in der Regel als "Anzeiger" für die Nobelpreise gelten, nämlich Ende 2021 mit dem Lasker~DeBakey Clinical Medical Research Award und 2022 mit dem Canada Gairdner International Award.

Zwei offene Fragen

Bleiben in diesem Fall zwei Fragen: ob noch eine dritte Person dazukommt und ob der Preis nicht womöglich doch erst für Chemie am Mittwoch zuerkannt wird. Als dritter Preisträger würde sich der Kanadier Pieter Cullis anbieten, der wesentliche Beiträge zur Verpackung der mRNA in Lipidkügelchen leistete – eine Vorbedingung für das Funktionieren der Impfung. Ebenfalls im Zusammenhang mit den mRNA-Vakzinen werden noch Derrick Rossi (ein Mitgründer von Moderna), Nahum Sonenberg und Noubar Afeyan genannt.

Für den renommierten austro-amerikanischen Virologen Peter Palese wären sogar zwei Nobelpreise für die Impfungen am Montag und am Mittwoch gerechtfertigt, wie er letzte Woche in einem Hintergrundgespräch an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sagte. Auch er hält Karikó und Weissman für die Favoriten. Insgesamt hätten aber rund 60 Forschende wichtige Vorarbeiten zuerst für die DNA- und dann für die mRNA-Impfungen geleistet.

Favoriten nach Zitationen

Nobelpreisfavoriten benennt alljährlich auch der Datenkonzern Clarivate Analytics, der aus dem Kreis der besonders häufig zitierten Forschenden jährlich die rund 20 meistzitieren in seine "Citation Laureates" aufnimmt. Seit 2001 hat Clarivate knapp 400 solcher Nobelpreisanwärter ausgewählt, 64 davon haben tatsächlich den Nobelpreis erhalten. In den vergangenen Jahren wurden unter anderem auch drei aus Österreich stammende Wissenschafter in dieser Liste genannt: der Mediziner Gero Miesenböck sowie die Physiker Peter Zoller und Anton Zeilinger.

Öftestzitiert in Medizin

Von den 20 neuen Favoriten sind 14 in den USA tätig, drei in Japan, zwei in Großbritannien und einer in Deutschland. Österreicher ist diesmal keiner dabei. Zu den Favoriten für den Nobelpreis in Physiologie oder Medizin zählt Clarivate Analytics Mary-Claire King von der University of Washington (USA) für den Nachweis einer vererbten Veranlagung für Brust- und Eierstockkrebs und der Rolle von Mutationen des BRCA1-Gens.

Masato Hasegawa vom Tokyo Metropolitan Institute of Medical Science (Japan) und Virginia Man-Yee Lee von der University of Pennsylvania (USA) kamen auf die Liste, weil sie die Rolle des Proteins TDP-43 bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) und der frontotemporalen Lobärdegeneration (FTLD) identifiziert haben. Für seine Forschung an den genetischen Grundlagen von Blutkrankheiten und der Weiterentwicklung der Gentherapie bei Sichelzellenanämie und Beta-Thalassämie wurde Stuart H. Orkin von der Harvard Medical School (USA) in die "Nobel-Klasse" aufgenommen.

Neue Favoriten in Physik

In der Physik hat Clarivate Immanuel Bloch vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching (Deutschland) zu einem Nobelpreis-Favoriten gekürt, und zwar für seine Forschungen an Quanten-Vielteilchensystemen mit ultrakalten atomaren und molekularen Gasen, die den Weg für die Quantensimulation von "künstlichen Festkörpern" ebnen.

Für seine Beiträge zur Physik von Strömungsphänomenen auf der Nanoliter-Skala wurde Stephen R. Quake von der Stanford University (USA) in die "Nobel-Klasse" gewählt. Takashi Taniguchi und Kenji Watanabe vom National Institute for Materials Science (Japan) wurde diese Ehre für die Herstellung hochwertiger hexagonaler Bornitridkristalle zuteil, die die Erforschung des elektronischen Verhaltens zweidimensionaler Materialien revolutionierte.

Gute Chancen in Chemie ...

In der Chemie zählt Zhenan Bao von der Stanford University zu den Favoriten. Sie hat neuartige biomimetische Anwendungen organischer polymerer elektronischer Materialien entwickelt, etwa eine flexible "elektronische Haut". Wie Bakterien ihre Gene mittels eines "Quorum Sensing" genannten chemischen Kommunikationssystems exprimieren, haben Bonnie L. Bassler von der Princeton University und Peter Greenberg von der University of Washington (beide USA) erforscht und wurden dafür in die "Nobel-Klasse" aufgenommen. Das gilt auch für Daniel G. Nocera von der Harvard University, und zwar für seine Beiträge zum protonengekoppelten Elektronentransfer und dessen Anwendung in der Energieforschung und der Biologie.

... und den Wirtschaftswissenschaften

Als Favoriten für den Alfred-Nobel-Gedenkpreis für Wirtschaftswissenschaften werden von Clarivate Daron Acemoglu und Simon Johnson vom Massachusetts Institute of Technology (USA) mit ihrer Analyse der Rolle politischer und wirtschaftlicher Institutionen bei der Gestaltung der nationalen Entwicklung genannt. Weiters in dieser "Nobel-Klasse" finden sich Samuel Bowles und Herbert Gintis vom Santa Fe Institute und der University of Massachusetts (USA). Sie haben das Verständnis von wirtschaftlichem Verhalten dahingehend erweitern, dass nicht nur das Eigeninteresse, sondern auch Gegenseitigkeit, Altruismus und andere Formen der sozialen Zusammenarbeit berücksichtigt werden.

Schließlich finden sich Richard A. Easterlin von der University of Southern California (USA), Richard Layard von der London School of Economics und Andrew J. Oswald von der University of Warwick (beide Großbritannien) für ihre Beiträge zur Ökonomie von Glück und subjektivem Wohlbefinden auf der Liste. (tasch, APA, 3.10.2022)