Brasilia – Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Brasilien am Sonntag ist es weder Amtsinhaber Jair Bolsonaro noch Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva gelungen, mehr als 50 Prozent der Stimmen zu bekommen. Die Wahl wird nun am 30. Oktober in einer Stichwahl zwischen dem rechtsgerichteten Bolsonaro und dem linksgerichteten Lula entschieden.

Lula konnte den Urnengang vom Sonntag zwar knapp für sich entscheiden: Der Ex-Staatschef kam auf 48,28 Prozent. Für einen direkten Sieg reichte es jedoch nicht. Amtsinhaber Bolsonaro erhielt 43,32 Prozent. Dies war sehr viel knapper als erwartet, da in den Umfragen Lula deutlich vorne lag.

Mehrere Vorwahlumfragen hatten Lula bis zu 15 Prozentpunkte vor Bolsonaro gesehen. Das sehr viel knappere Ergebnis machte die Hoffnungen auf eine schnelle Lösung für das politisch stark gespaltene Land zunichte. Nach Einschätzung von Experten bekannten sich viele Befragten nicht zu ihren tatsächlichen Favoriten oder entschieden sich erst am Wahltag.

Lula: Sieg nur aufgeschoben

Lula, der bereits von von 2003 bis 2010 Präsident war, äußerte sich optimistisch über das Ergebnis und sagte, dass es seinen Sieg nur aufschiebe. Er freue sich darauf, in einer Debatte gegen Bolsonaro anzutreten: "Wir können das Brasilien, das er aufgebaut hat, mit dem vergleichen, das wir aufgebaut haben." Sollte Lula auch in der zweiten Runde gewinnen, wäre er der erste demokratisch gewählte Präsident Brasiliens, der in eine dritte Amtszeit geht.

In den Umfragen lag Lula deutlich vorn – doch er verfehlte nun den direkten Sieg.
Foto: AP/Andre Penner

Bolsonaro äußerte sich ebenfalls zuversichtlich. "Ich habe vor, die richtigen politischen Bündnisse zu schließen, um diese Wahl zu gewinnen", sagte er unter Verweis auf die Zugewinne, die seine Partei bei der Parlamentswahl am Sonntag erzielt habe. Neben dem künftigen Präsidenten wurden am Sonntag auch Abgeordnete, Senatoren und Gouverneure gewählt. Seine rechtsgerichteten Verbündeten gewannen am Sonntag 19 der 27 zu vergebenden Sitze im Senat, und erste Ergebnisse deuten auf ein starkes Abschneiden seiner Basis im Unterhaus hin.

Bolonaro beschuldigte die Meinungsforschungsinstitute, seine Unterstützung nicht richtig eingeschätzt zu haben. Der Präsident hatte zuletzt immer wieder Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen– wie sein Freund in den USA, Ex-Präsident Donald Trump. Brasilien hatte im Mai ein Beobachterteam der EU für die Wahl ausgeladen.

Amtsinhaber Jair Bolsonaro.
Foto: REUTERS/UESLEI MARCELINO

"Goldene Zeiten" vorbei

Die Furcht vor einer Rückkehr des Hungers in der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas ist eines der bestimmenden Themen. Rapide steigende Lebenshaltungskosten und die Folgen der Corona-Pandemie gefährden die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Die Wahl hat die extreme Spaltung im Land offenbart.

Viele Anhänger des 76-jährigen Lula verbinden ihn mit den goldenen Zeiten Brasiliens, als die Wirtschaft aufgrund der hohen Rohstoffpreise boomte und die Regierung mithilfe von Sozialprogrammen Millionen Menschen aus der bittersten Armut holte. Für seine Gegner hingegen ist Lula verantwortlich für Korruption und Vetternwirtschaft.

Bolsonaro nannte seinen Kontrahenten nach dessen Verurteilung wegen Korruption einen Dieb, Lula bezeichnete Bolsonaro wiederum wegen dessen zögerlicher Corona-Politik als Völkermörder.

Zweifel am Wahlsystem

Die Unterstützer von Bolsonaro sehen ihren Staatschef hingegen als Verteidiger traditioneller Familienwerte und wirtschaftlicher Freiheit. Radikale Anhänger des Hauptmanns der Reserve forderten bei Demonstrationen unverhohlen einen Militärputsch.

Vor allem bei indigenen Völkern ist der amtierende Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, unbeliebt. Ein Videobericht.
DER STANDARD

Die Präsidentenwahl in Brasilien hat auch für den Rest der Welt große Bedeutung. Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine wichtige Rolle. Gerade angesichts der angespannten Lage auf dem Energie- und Lebensmittelmarkt wegen des Ukraine-Kriegs ist das Land mit seinen enormen natürlichen Ressourcen und seiner großen Agrarwirtschaft auch ein interessanter Handelspartner. (red, Reuters, APA, 3.10.2022)