Die Juristen Richard Soyer und Phillip Marsch sehen in ihrem Gastkommentar die Gewaltenteilung als gefährdet an, da der Innenminister ohne Rechtsgrundlage die Justiz mit einem Federstrich ausschalten könne

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat kürzlich die Sicherstellung von Beweismitteln im Bundeskanzleramt angeordnet. Viel ist bereits über die seitens des Bundeskanzleramts erfolgte Verweigerung von Herausgabe beziehungsweise Kooperation geschrieben worden. Um diese Diskussion soll es hier nicht gehen. Es ist eine vermeintlich en passant erfolgte Bemerkung des Präsidenten der Finanzprokuratur, die in der Aufregung beinahe untergegangen wäre, um die es hier gehen soll: Ebenjener Präsident – offenbar vom Bundeskanzleramt als anwaltlicher Berater beigezogen – orakelte gegenüber der WKStA: "Wäre er noch Innenminister, hätte er das BAK (Bundesamt für Korruptionsbekämpfung, Anm.) angewiesen, den Vollzug (der Anordnung, Anm.) zu verweigern."

Wie funktioniert die Zusammenarbeit der Justiz mit der Polizei? Braucht es für heikle Fälle eine der Justiz unmittelbar unterstehende Gerichtspolizei?
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Man darf beim so Zitierten davon ausgehen, dass er seine Worte sorgfältig wählt. Demnach wird in der Sphäre des Bundeskanzleramts zumindest damit kokettiert, sich einer (Soll-)Bruchstelle der Gewaltenteilung zu bedienen, um die WKStA in Hinkunft "anrennen" zu lassen. Und das geht so:

Es wird nun kurz technisch. Gerichtliche Strafverfahren sind Sache der Justiz. Die Staatsanwaltschaften (StA, WKStA) leiten das Ermittlungsverfahren. Für den Rechtsschutz der Betroffenen sorgen die unabhängigen Gerichte. Eine Prüfkompetenz des Innenministers ist gesetzlich nicht vorgesehen. Denn die dem Innenminister unterstehende Kriminalpolizei wird zwar als wichtiges, aber doch bloßes Hilfsorgan der Justiz tätig, deren Anordnungen sie vollzieht. Soll heißen: Im gesetzlichen (und faktischen) Regelfall führen Staatsanwaltschaften und Kriminalpolizei Ermittlungen einvernehmlich im Rahmen eines Kooperationsmodells.

Anordnungen befolgen

Wenn kein Einvernehmen erzielt werden kann, entscheidet die StA. Die Kriminalpolizei hat deren Anordnungen zu befolgen, auch wenn sie die Rechtslage anders sehen sollte. Eine Ausnahme von dieser gesetzlich verankerten Handlungsverpflichtung gäbe es nur in Extremfällen, etwa bei der Anordnung einer Straftat, wenn etwa die Staatsanwaltschaft der Kriminalpolizei die Anwendung von Folter anordnen würde. Hier kann, ja muss die Kriminalpolizei Nein sagen. Ein derartiger Fall steht hier nicht einmal ansatzweise im Raum.

So weit, so gut. Die Kriminalpolizei hat also unterstützende Aufgaben im Rahmen der Strafrechtspflege. Sie gehört organisatorisch und dienstrechtlich aber nicht zum Justizressort, sondern zum Innenministerium. Was heißt das, und warum ist das relevant? Wenn die Kriminalpolizei den Vollzug einer Anordnung verweigert, kann die StA nicht viel tun. Sie kann sich bei den Vorgesetzten der Kriminalbeamten, letztlich beim Innenminister, beschweren. Am anderen Ende des Eskalationsspektrums könnte sie den Verdacht eines Amtsmissbrauchs durch Unterlassen anzeigen.

Bei der Umsetzung von justiziellen Anordnungen besteht also eine große faktische Abhängigkeit der Justiz von der dem Innenminister unterstehenden Kriminalpolizei. Genau hier setzt die medial kolportierte Fantasie des Präsidenten der Finanzprokuratur, immerhin des Anwalts der Republik, an: Die Justiz ordnet etwas an, die Kriminalpolizei spielt über Weisung des Innenministers nicht mit.

Die Problematik beziehungsweise Möglichkeit einer (Soll-)Bruchstelle der Gewaltenteilung ließ sich bereits erahnen. Die WKStA forderte vor einiger Zeit neben straf- und dienstrechtlichen Konsequenzen eine sichtbare rigorose Aufarbeitung, da sie sich durch hochrangige Justizbeamte im Zusammenwirken mit karrierebewussten Kriminalisten in ihrer Arbeit torpediert sah.

Nerv getroffen

Damit wurde offenbar ein Nerv getroffen, denn sogleich zogen höchste Vertreter der Justiz und des Innenministeriums aus, um die "enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Justiz- und Sicherheitsbehörden" zu bezeugen. Diese sei "ein wesentlicher Grundpfeiler unserer Demokratie und somit des demokratischen Rechtsstaats. Dies stellt eine Selbstverständlichkeit dar, und beide Ressorts wissen um ihre Verantwortung und werden diese bestmöglich und umfassend erfüllen". An diesem Grundpfeiler wird – zumindest in Gedanken und in Worten – gesägt. Es bleibt zu hoffen, dass keine Taten folgen. Bei aller Kritik: Das Kooperationsmodell zwischen Justiz und Kriminalpolizei funktioniert im Regelfall reibungslos. Der aktuelle Konfliktfall lässt sich recht einfach klären – die von der Anordnung Betroffenen können Einspruch erheben und die Sache damit vor ein unabhängiges Gericht bringen.

Grundsätzlich ist für Ermittlungen in Richtung Regierungskriminalität zu überdenken, ob den politischen Akteuren mit dem geltenden Kooperationsmodell zwischen Justiz und Kriminalpolizei nicht zu viel Integrität abverlangt wird. Im Ergebnis sollen sie Ermittlungen gegen ihre Sphäre unbeeinflusst geschehen lassen. Wie man derzeit sehen kann, bringt dies unauflösliche Interessenkonflikte mit sich. Diese ließen sich beispielsweise mit der Einrichtung einer der Justiz unmittelbar unterstehenden Gerichtspolizei für Verdachtslagen in Richtung Regierungskriminalität und in Angelegenheiten des Staatsschutzes entschärfen. Würde ein amtierender Innenminister die Fantasie des Präsidenten der Finanzprokuratur in die Tat umsetzen, wäre die Justiz mit einem Federstrich dieses Innenministers für den Anlassfall ausgeschaltet. Ganz ohne Rechtsgrundlage, ja im diametralen Widerspruch zum geltenden Recht. Aber faktisch äußerst wirksam. Ein Federstrich, und der Weg unserer Republik geht in Richtung Polizeistaat. (Philip Marsch, Richard Soyer, 3.10.2022)