ORF-Chef Roland Weißmann will die ORF-Radioflotte erneuern. Kritikerinnen und Kritiker befürchten, dass FM4 und Ö1 ordentlich Federn lassen müssen und umgebaut werden.

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Wien – Ein von zahlreichen Größen der Kunst- und Kulturszene unterzeichneter offener Brief an ORF-Generaldirektor Roland Weißmann und ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher fordert – wie berichtet – ein klares Bekenntnis zum Fortbestand von FM4 und Ö1 als Kunst- und Kultursender dieses Landes. In dem offenen Brief werden Thurnhers Aussagen so interpretiert: FM4 solle eine Art Ö3 für Junge werden und der Kultursender Ö1 ein "CNN Radio für Arme". Tatsächlich sprach Thurnher im STANDARD-Interview von mehr Wortinhalten auf Ö1 auf Kosten von Musik insbesondere in der Früh.

ORF-Chef Weißmann versuchte mit einem Statement, das er der APA und dem STANDARD zukommen ließ, die Kritikerinnen und Kritiker zu beruhigen: "Ö1 und FM4 werden auch weiterhin die breite Plattform für österreichische Kunst und Kultur sein."

Thurnher über FM4 und Ö1

Im STANDARD-Interview wurde Thurnher danach gefragt, ob FM4 ein junges Ö3 werden könnte: "Vielleicht wird es das. Das weiß man nicht." Die FM4-Community wolle man nicht verlieren. Aber die Frage sei nur: "Brauchen die ein 24/7-Angebot oder hören die nur abends FM4? Kann der Sender nicht verschiedene Zielgruppen zu unterschiedlichen Zeiten bedienen?", so Thurnher. In Hinblick auf Ö1 sagte sie: "Natürlich hat Ö1 als Info- und Kultursender auch eine Aufgabe als Kulturproduzent. Das ist eine wirkliche Funktion von Ö1, die wir nicht aufgeben dürfen. Aber vielleicht geht nicht mehr alles, was bisher gegangen ist."

Nun will Thurnher die Ergebnisse einer Audiomarkt-Studie abwarten. Sie soll Aufschluss darüber geben, "mit welchen Zielgruppen wir wo hineingehen". Erst dann könne man Entscheidungen treffen, mit welchen Angeboten man wo vertreten sei. Ö1 ist – wie berichtet – mit Sparvorgaben von rund 900.000 Euro konfrontiert. Zur Disposition stehen Sendungen wie die "Jazznacht", das "Kunstradio", "Passagen", "Kinderuni", "Heimspiel", "Philosophie am Feiertag". Auf der Sparliste soll zudem "Zeit-Ton" für moderne, auch experimentelle Musik im Nachtprogramm von Ö1 stehen, was die IG Autorinnen Autoren zu einem offenen Brief veranlasste.

Weißmann: Verkürzte, polemische Darstellung

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hält in einem Statement fest: "Selbstverständlich nehmen wir die Kritik der namhaften Kunstschaffenden, die den Offenen Brief gezeichnet haben, und auch die ihrer Unterstützenden sehr ernst, zumal sie mit ihren Werken und Darbietungen nicht nur verlässliche Partner des ORF, sondern wichtiger Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags sind. Und ich stelle zwei Dinge unmissverständlich klar, die im Zuge sehr verkürzter, polemischer Darstellung bzw. freier Interpretation falsch wiedergegeben wurden: weder soll aus FM4 ein ‚junges Ö3‘ noch aus Ö1 ein ‚CNN für Arme‘ werden."

"Zeichen der großen Relevanz"

Es sei der Auftrag und Anspruch, des ORF der heimischen Kreativszene als Auftraggeber, Plattform und Multiplikator zu dienen. Weißmann: "Ich werte die schnelle Reaktion auf das Interview der Hörfunkdirektorin auch als Zeichen der großen Relevanz, die die ORF-Radioangebote bei den österreichischen Künstlerinnen und Künstlern genießen. Den Unterstützerinnen und Unterstützern sei versichert: Der öffentlich-rechtliche Auftrag und der Umfang der ORF-Radioangebote stehen in keinster Weise zur Disposition. Er ist und bleibt unverrückbar und die DNA der Angebote von Ö1, Ö3, FM4 und der Regionalradios."

Eine aus den Aussagen "falsch abgeleitete Kommerzialisierung der ORF-Radioflotte" entbehre jeder Grundlage, so Weißmann. Im Gegenteil: "Trotz wirtschaftlich extrem verschärfter Rahmenbedingungen versuchen wir, die ORF-Radioangebote auszubauen und weiterzuentwickeln und – und das ist unser Auftrag und Basis der Gebührenlegitimation: ein Angebot für alle anzubieten. Es gilt für das Radio der gleiche Grundsatz wie für TV und Online: wir sparen fürs Programm und nicht im Programm."

Behutsame Erneuerung

Ziel der Bemühungen sei, "die Radioflotte des ORF, die in Angebot und Erfolg europaweit einzigartig ist, in die digitale Welt zu transformieren, sie in Einklang mit den sich ändernden Hör-Möglichkeiten und -Gewohnheiten unserer Hörerinnen und Hörer zu optimieren". Die Hörfunkdirektorin und die Senderteams werde dies "behutsam und in breiter Abstimmung mit unserem Publikum, das sehr genau weiß, was es von seinen ORF-Radios will, angehen".

Kommerzielle Überlegungen stünden nicht im Fokus

Und Weißmann weiter: "Deshalb möchte ich die Unterzeichnenden einladen, dafür notwendige Schritte nicht in verkürzter Form zu kritisieren, sondern sich an den Überlegungen aktiv und konstruktiv und ohne Polemik zu beteiligen. Um es ganz klar zu sagen und alle diesbezüglichen Bedenken zu zerstreuen: Ö1 und FM4 werden auch weiterhin die breite Plattform für österreichische Kunst und Kultur sein, die sie heute sind. Es geht uns drum, unsere Radioflotte zu stärken und weiterzuentwickeln, damit sie auch in Zukunft ihre wichtige Funktion als Partner der heimischen Kulturschaffenden wahrnehmen kann. Kommerzielle Überlegungen stehen dabei nicht im Fokus, das würde auch nicht dem ORF-Gesetz entsprechen. Eine wirtschaftliche und sparsame Gebarung ist allerdings auch und gerade für den ORF als überwiegend öffentlich finanzierte Institution eine Notwendigkeit." (red, 2.10.2022)