Brandrodung zeichnet für einen großen Teil des Flächenverlusts im Amazonas-Regenwald verantwortlich. Dabei werden die gerodeten Flächen oft gar nicht genutzt.
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Die brasilianische Präsidentschaftswahl am vergangenen Sonntag wurde nicht zu Unrecht auf der ganzen Welt mit Spannung verfolgt. Schon in den Neunzigern warnten Naturschutzorganisationen vor den drastischen Ausmaßen des Verlusts von brasilianischem Regenwald durch Abholzung und Rodung. Während der Amtszeit der Regierung Lula ging die Entwaldung dann stark zurück, nur um unter seinen Nachfolgern, insbesondere dem Populisten Jair Bolsonaro, auf neue Rekordwerte zu steigen und 2019 einen neuen Höhepunkt zu erreichen. Allein in diesem Jahr wurde eine Fläche gerodet, die einem Viertel der Schweiz entspricht und eine Steigerung um noch einmal 70 Prozent gegenüber den fünf Vorjahren darstellt.

Nun gehen die beiden Kandidaten in eine Stichwahl, die am 30. Oktober stattfinden wird. Der Ausgang hat Auswirkungen für die ganze Welt: Der brasilianische Regenwald ist ein gewaltiger Kohlenstoffspeicher. Die Umweltpolitikexpertin Rachael Garrett von der Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ) in der Schweiz rechnet vor, dass die Abholzung von Wäldern die weltweit zweitgrößte Quelle von CO2-Emissionen nach der Nutzung fossiler Brennstoffe ist. Der größte Anteil davon geschieht in tropischen Wäldern wie dem Amazonas-Regenwald.

Wie komplex die Situation ist, zeigt sich an einer kürzlich erschienenen Studie, die belegte, dass die Hälfte der gerodeten Regenwaldflächen gar nicht genutzt wird. Manchmal wird einfach auf Verdacht hin Regenwald abgebrannt, um befürchteten Verboten zuvorzukommen oder mit dem Land zu spekulieren.

Unter der Regierung Lula wird sichtbar, dass es auch anders gehen kann: "Zwischen 2004 und 2012 ging die Entwaldung um satte 84 Prozent zurück, was fast ausschließlich auf Verbesserungen bei der Durchsetzung der bestehenden Entwaldungsgesetze im Land, einer Ausweitung des Schutzgebietsnetzes und Investitionen in ein verbessertes Agrarmanagement unter der Regierung Lula zurückzuführen ist", sagt Rachel Garrett. Der knappe Wahlsieg von Lula macht also Hoffnung.

Landnutzungsformen untersucht

Welche Faktoren für Entwaldung maßgeblich sind und welche Maßnahmen eine mögliche Regierung Lula ergreifen könnte, haben nun Forschende vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Leipzig im Rahmen einer Studie im Fachjournal "Nature Communications" untersucht. Dabei stießen sie auf einige Überraschungen.

Betrachtet wurden Landnutzugsformen zwischen den Jahren 1985 und 2018, die unterteilt wurden in öffentliche Flächen mit unklaren Besitz- oder Nutzungsverhältnissen, private Flächen, streng geschützte Flächen, sowie Ländereien von Indigenen oder den Quilombola, bei denen es sich um afro-brasilianische Gemeinschaften handelt.

Ein wichtiges Ergebnis ist die große Bedeutung der Flächen von Indigenen. "Ein Großteil der verbleibenden tropischen Waldflächen liegen auf indigenen Gebieten. Um Synergien zwischen dem Schutz der Biodiversität und den Interessen dieser Bevölkerungen zu erreichen, ist es daher wichtig, dass Gesetzesentwürfe die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen", sagt Andrea Pacheco, die Erstautorin der Studie.

Kaum zu überwachen

Besonderer Handlungsbedarf besteht aber bei Flächen ohne klare Eigentumsverhältnisse oder Nutzungsrechte. Dieser Bereich umfasst 100 Millionen Hektar Land – eine Fläche, fast dreimal so groß wie Deutschland. "In diesen Ländereien sei die Entwaldung aus verschiedenen Gründen teils besonders hoch, sagt Pacheco: "Zum Beispiel hat die Regierung schlichtweg unzureichende Kapazitäten, um die Abholzung in diesen Gebieten zu überwachen. Das wiederum kann dazu führen, dass Spekulanten die Wälder auf diesen Flächen roden, um später Ansprüche auf deren Nutzung zu erheben.

Ebenso fühlen sich arme Siedler ohne eigenen Landbesitz mitunter gezwungen, solche Ländereien illegal für die Landwirtschaft zu nutzen, weil sie die Preise für einen legalen Erwerb schlichtweg nicht zahlen können." Hier müsse der Gesetzgeber handeln, notfalls sogar durch Privatisierung.

Unter Jair Bolsonaro erreichte die Entwaldung Brasiliens einen neuen Höhepunkt. Allein 2019 ging eine Fläche verloren, die einem Viertel der Schweiz entspricht.
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Privatisierung als Möglichkeit

"Eine Privatisierung solcher Ländereien ohne definierte Eigentums- oder Nutzungsrechte kann ein sehr effektives Mittel sein, um die Abholzungsrate zu vermindern", sagt Pachecos Forschungspartner Carsten Meyer, "aber nur unter bestimmten Bedingungen und wenn sie mit strengen Umweltauflagen einhergeht." Andernfalls könne die Entwaldung sogar zunehmen. Als Beispiel für effektive Auflagen nennt er den Forest Code im Amazonas. Dort müssen die Eigentümer auf 80 Prozent ihres Besitzes die einheimische Vegetation erhalten.

Den Amazonas-Regenwald gibt es seit über 50 Millionen Jahren in unterschiedlich großer Ausdehnung. Seine enormen Mengen an Biomasse – die brasilianischen Wälder gelten nach manchen Rechnungen als größter Kohlenstoffspeicher des Planeten – verdankt er neben der Feuchtigkeit, die zu einem Drittel vom Atlantik kommt, außerdem 180 Millionen Tonnen phosphathaltigem Staub, die mit Winden aus der Sahara kommen und den Boden düngen. Inzwischen gibt es Hinweise, dass der Amazonas-Regenwald zu den Systemen gehört, die sich durch die globalen Veränderungen einem Kipppunkt nähern, ab dem eine Regeneration nicht mehr möglich ist und der Wald zur Savanne wird.

Das Schicksal des außergewöhnlichen, global bedeutenden Waldes wird sich in der Stichwahl und den folgenden nationalen Wahlen der nächsten Jahre von der brasilianischen Bevölkerung entscheiden. Die EU, die als größter Importeur von Waren gilt, die im Zusammenhang mit der brasilianischen Entwaldung stehen, hat Mitte September diesen Jahres im Parlament ein Einfuhrverbot von Waren beschlossen, für die im großen Stil Wald abgeholzt wird. Indigene aus Südamerika hatten sich zuvor intensiv dafür eingesetzt. (Reinhard Kleindl, 3.10.2022)