Das ICLN beruft sich auf den Katechismus der katholischen Kirche, seine Veranstaltungen werden von ÖVP-Abgeordneten besucht. Im Bild: Devotionalien aus Mariazell.

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Begleitet von dramatischer Musik blickt der Herr im Anzug direkt in die Kamera. Ein geschichtsträchtiger Ort sei das hier, erzählt er in dem knapp viereinhalb Minuten langen Video. Denn da, zu seiner Rechten, sei der Kahlenberg, wo 1683 der König von Polen das "westliche Christentum" vor der türkischen Armee "gerettet" habe. Auch jetzt gebe es wieder Krieg, und zwar "einen Kampf von innen". Der Mann spricht von der "säkularen militanten Ideologie", die zu "Wahnsinn" führe. Unsere Gesellschaft brauche also eine "neue Generation christlicher Politiker", die "die Welt verändern müssen". Es ist ein "Aufruf zur heldenhaften christlichen Führung in öffentlichen Ämtern", die der Mann da tätigt.

Sein Name ist Christiaan Alting von Geusau, und er ist eine der wichtigsten Figuren des politischen Katholizismus in Österreich. Der 51-jährige Niederländer ist Rektor zweier katholischer Bildungseinrichtungen und Präsident des Internationalen Netzwerks Katholischer Parlamentarier (ICLN), das er 2010 in Wien gemeinsam mit Bernhard Bonelli gegründet hat. Und dieses ICLN sei "genau dafür da, neue Führungskräfte zu formen", die das Christentum in die Welt tragen. Bonelli wurde später bekanntermaßen einer der wichtigsten Berater von Sebastian Kurz, im Kanzleramt arbeitete er als dessen Kabinettschef.

ICLN International Catholic Legislators Network

Scheidung "Verstoß gegen das Naturgesetz"

Auch Abgeordnete sind im ICLN aktiv. Erst vor wenigen Wochen reiste eine Delegation aus ÖVP-Politikern gemeinsam mit Kardinal Christoph Schönborn nach Rom, um eine Privataudienz beim Papst zu besuchen – Schönborn ist einer der "Ehrenpatrone" des Netzwerks. Mit dabei ist auch Norbert Sieber, der als Familiensprecher der Volkspartei fungiert. Die familienpolitischen Vorstellungen des ICLN weichen scharf von der politischen Realität in Österreich ab.

So beruft sich das ICLN auf den Katechismus der katholischen Kirche, also eine Art päpstliches "Handbuch" zur Auslegung des Glaubens. Während die politischen Konflikte rund um die Fristenlösung und LBGTQI-Rechte bekannt sind, geht das ICLN viel weiter. Auf seiner Homepage bezeichnet es Scheidungen als "schwerwiegenden Verstoß gegen das Naturgesetz"; Verhütungsmittel seien "an sich böse". Pornografie solle am besten verboten werden. Sind das die Grundsätze, an denen sich der Familiensprecher der Kanzlerpartei orientiert?

Sieber sagt dazu, er sei nicht "Mitglied" des ICLN – es handle sich dabei um eine "kirchliche Initiative, zu der Politiker eingeladen werden". Verhütung sei "Privatsache mit vielen verschiedenen Möglichkeiten", das Scheidungsrecht werde "immer weiterentwickelt" und von ihm "nicht infrage gestellt". Erwachsene Menschen "können Pornografie, die im Überfluss angeboten wird, konsumieren", Kinder müssten aber "bestmöglich vor diesen und anderen schädlichen Einflüssen geschützt werden".

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Ehrung für Abgeordnete, die Todesstrafe für LGBTQI wollte

Wie weit der Einfluss des politischen Katholizismus in die ÖVP reicht, lässt sich schwer festmachen. Im ICLN sind mehrere Abgeordnete aktiv, neben Sieber zum Beispiel Gudrun Kugler, eine weitere Schlüsselfigur des politischen Christentums in Österreich. Sie erhielt 2018 den Thomas More Award for Religious Freedom, den das ICLN verleiht.

Preisträger waren in diesem Jahr auch der US-Abgeordnete Dan Lipinski, der mit der Parteilinie der Demokraten brach und gegen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und gegen die Fristenlösung agitierte. Noch weiter rechts: die ugandische Politikerin Lucy Akello, die ebenfalls geehrt wurde. Sie forderte in den 2000er-Jahren die Todesstrafe für Homosexuelle, mittlerweile will sie lebenslange Haft für gleichgeschlechtlichen Sex.

"Über eine derartige Aussage von Frau Akello waren wir damals nicht informiert, und sie wurde von ihr auch zurückgenommen. Sie wissen auch, dass die katholische Kirche, auf deren Lehre das ICLN sich stützt, keine Befürworterin von Todesstrafe oder lebenslanger Haft für homosexuelle Menschen ist", sagt ICLN-Präsident Alting von Geusau auf Anfrage des STANDARD. Akello sei "als unermüdliche Kämpferin für Frauen- und Kinderrechte in Uganda" geehrt worden, die vielen Opfern des Terrors der Rebellenbewegung von Kriegsverbrecher Joseph Kony geholfen habe. Akello selbst reagierte auf eine Anfrage nicht.

Wenig Transparenz

Aber wer hat sie überhaupt ausgewählt? Das will von Geusau nicht beantworten, so wie sich das ICLN insgesamt recht intransparent gibt. Es gebe keine Mitglieder, "nur Teilnehmer an Konferenzen und andere Bildungsveranstaltungen". Dort seien Politiker "als Privatpersonen", deshalb gebe es dazu keine Informationen. Eine Liste der Preisträger des "Thomas More Awards" gibt es nicht. "Das ICLN veröffentlich darüber keine Informationen", sagt von Geusau. Man finanziere sich "über Teilnahmegebühren und Spenden von ausschließlich nicht politisch tätigen und nicht politisch exponierten Privatpersonen ohne Verbindungen zu politischen Parteien, Regierungen oder NGOs".

Die Schlagrichtung ist aber eindeutig: Im "Steering Committee" des ICLN saßen etwa fast nur Politikerinnen und Politiker, die sich gegen Abtreibungs- und LGBTQI-Rechte engagiert haben. Und der EU-Abgeordnete Lukas Mandl (ÖVP), der sich wortstark gegen "LGBTQI-freie Zonen" in Polen oder das ungarische Gesetz gegen "Werbung für Homosexualität" eingesetzt hatte.

"Keine katholische Position"

Wie geht das zusammen? Mandl sagt auf Anfrage, er sei "einfacher Teilnehmer" bei Veranstaltungen des ICLN, für das Steering Committee habe er sich nie beworben: "Es gab meines Wissens jahrelang keine Sitzungen. Ich habe diesen Sommer nebenbei erfahren, dass es dieses Committee nicht mehr gibt." Das ICLN habe ihm die Vernetzung mit anderen Politikern ermöglicht, die ähnliche Themen wie er bearbeiten: "Nahostpolitik, der interreligiöse Dialog, der Einsatz für Religionsfreiheit und der Kampf gegen den politischen Missbrauch von Religion". Und die Preisverleihung an Akello? "Widerspricht krass dem christlichen Menschenbild", sagt Mandl.

"Menschen für ihre sexuelle Orientierung oder Identität bestrafen zu wollen ist jedenfalls keine katholische Position", sagt auch Michael Prüller, Sprecher von Kardinal Schönborn. Das ICLN sei jedenfalls "keine Einrichtung der Erzdiözese Wien" und wohl inspiriert durch einen Vortrag Schönborns im Jahr 2008 gegründet worden. Er hatte angeregt, dass sich katholische Politiker weltweit "intensiver austauschen".

Oder, wie Gudrun Kugler in einem Interview mit ICLN sagt: "Die Welt wird hauptsächlich von Netzwerken verändert, und zwar von Netzwerken in der Elite." (Fabian Schmid, 4.10.2022)