Ex-Premier Bojko Borissov erhielt mit seiner Partei Gerb zwar die meisten Stimmen, eine Regierungsbildung wird aber schwierig.

Foto: REUTERS/Spasiyana Sergieva

Jener Mann, von dem Fotos publiziert wurden, auf denen er neben einer Pistole, Goldbarren und Packen von 500-Euro-Scheinen quer über dem Bett liegend, schläft, wird wohl wieder Premierminister des ärmsten EU-Staates. Bojko Borissovs konservative Klientel-Partei Gerb gewann die vorgezogenen Neuwahlen am Sonntag. Es waren die vierten Wahlen innerhalb von zwei Jahren, was die instabile innenpolitische Situation veranschaulicht. Viele Beobachter sprechen bereits – wegen der fragmentierten Parteienlandschaft und der kurzen Regierungszeiten – von italienischen Verhältnissen in Bulgarien.

Die Gerb bekam über 25 Prozent der Stimmen, gefolgt von der liberalen Reformpartei "Wir setzen den Wandel fort" mit über 20 Prozent. An dritter Stelle liegt die als korrupt verschriene Partei für Rechte und Freiheiten. Die rechtsextreme Pro-Kreml-Partei Wiedergeburt bekam fast 14 Prozent der Stimmen, auch die andere prorussische Partei Bulgarischer Aufstieg schaffte mit fast fünf Prozent den Einzug ins Parlament. Zu den gemäßigten Kräften zählen die Sozialisten mit etwa zehn Prozent und die Zentrumspartei Demokratisches Bulgarien.

Angst vor Kälte und Not

Die Gerb könnte nun mit der korrupten Partei für Rechte und Freiheiten und der Partei Bulgarischer Aufstieg sowie einigen anderen Abgeordneten eine Koalition bilden. "Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass diese Regierung sehr stabil sein wird. Denn viele können sich in Bulgarien daran erinnern, weshalb sie vor zwei Jahren gegen Borissovs Regierung auf die Straße gingen", erinnert Vessela Tcherneva vom European Council on Foreign Relations in Sofia an die Antikorruptionsproteste. "Die Leute werden auch weniger geduldig sein, weil es ein schwieriger Winter wird", verweist sie auf die gestiegenen Preise und eine Inflation von 17 Prozent.

Viele Bulgarinnen und Bulgaren sind durch die hohen Preise in Armut und Not abgerutscht. Sie fürchten, dass sie sich das Heizmaterial nicht werden leisten können. Von Borissov ist zu erwarten, dass er versuchen wird, wieder Gas von der russischen Gazprom zu bekommen. Moskau hatte der damals prowestlichen Regierung unter dem liberalen Reformer Kiril Petkov im April das Gas abgedreht.

Petkov hatte daraufhin Gas vom griechischen Terminal für Bulgarien gesichert. Doch die technische Übergangsregierung, die nach dem Sturz Petkovs mithilfe des bulgarischen Präsidenten Rumen Radev an die Macht kam, stornierte die Bestellung von Gas aus Griechenland. Ganz offenbar wollte man sich wieder Russland zuwenden.

Präsident als Machthaber

Alternativ zu einer Borissov-Regierung könnte Präsident Radev auch wieder eine Expertenregierung ernennen, denkt Tcherneva. Sie warnt allerdings vor autoritären Folgen: "Radev ernennt diese Expertenregierungen zugunsten der Idee, dass die parlamentarische Demokratie keine guten Regierungen produzieren könne. Er hat sogar angedeutet, dass man die Verfassung ändern könnte, um dem Präsidenten mehr Rechte zu geben."

In den vergangenen Monaten attackierte der Staatschef den liberalen Reformpremier Petkov. Radev, der für seine Kreml-freundlichen Aussagen bekannt ist, war in den vergangenen zwei Jahren als Mastermind der technischen Kabinette der "heimliche Regierungschef".

Der Krieg in der Ukraine hat die bulgarische Bevölkerung zudem gespalten, die Zugewinne für die Pro-Kreml-Parteien haben auch mit der Angst vor dem Preisanstieg zu tun. Viele Bulgarinnen und Bulgaren sind aber auch traditionell prorussisch eingestellt.

Eine reformorientierte Regierung rund um die Partei "Wir setzen den Wandel fort" und die Partei Demokratisches Bulgarien ist hingegen derzeit nicht möglich, weil diese zu wenig Sitze im Parlament haben und zudem nicht mit den als korrupt geltenden Parteien Gerb und der Bewegung für Rechte und Freiheiten zusammenarbeiten werden. Man darf nicht vergessen, dass der wichtigste Oligarch und langjährige Abgeordnete der Bewegung für Rechte und Freiheiten, Delijan Peevski, erst im Mai 2021 durch den Magnitsky Act unter US-Sanktionen gestellt wurde.

Kriminelle Strukturen

Borissovs Gerb ist Teil der mächtigen Europäischen Volkspartei (EVP), er selbst hat langjährige enge Beziehungen zu Peevski. Unter Borrisovs Regierungen seit 2009 wurden korrupte Praktiken und der Einfluss von kriminellen Strukturen immer stärker. Deswegen ist unter seiner Regierung keine Justizreform möglich. Insbesondere die Staatsanwaltschaft gilt in Bulgarien als von politischen und persönlichen Interessen massiv unterlaufen. (Adelheid Wölfl, 3.10.2022)