Wann immer bei Veganista ein neuer Schwung Ice-Cream-Sandwiches – zwei eisgefüllte Kekse – produziert wird, kommt früh um fünf der Rabbi vorbei. Warum? Er schaltet den Ofen ein – und sorgt so dafür, dass die Kekse koscher sind.

"Als Veganerin war ich immer Außenseiterin", erzählt Cecilia Havmöller, die Veganista mit ihrer Schwester gegründet hat. "Wir wollten Eis für alle machen. Eis, das niemanden diskriminiert." Auch nicht die rund 8000 in Wien lebenden Jüdinnen und Juden. Weshalb all ihre Eissalons koscher zertifiziert sind.

Die Eis-Snacks von Veganista sind streng koscher hergestellt – bis zur Zertifizierung dauerte es zwei Jahre.
Foto: Verena Carola Mayer

Die Speisegesetze, Kaschrut genannt, sind ein Grundpfeiler des jüdischen Glaubens. Sie beschreiben, welche Lebensmittel "erlaubt, tauglich" sind – nichts anderes bedeutet koscher. Die Regeln leiten sich aus der Tora ab und umfassen grob gesagt drei Aspekte: Nur Fleisch von wiederkäuenden Paarhufern und Meerestiere mit Schuppen sind koscher. Ein zweiter Punkt betrifft Herkunft und Produktion der Lebensmittel: Tiere müssen artgerecht gehalten und rituell geschlachtet werden. Bei der Zubereitung schließlich geht es vor allem um die strikte Trennung von milchig und fleischig. Das Mischen ist verboten.

Jahre bis zum Koscher-Zertifikat

Pflanzliche Lebensmittel wie Obst und Gemüse gelten als neutral. Wer sich vegan ernährt, hat es von Haus aus leichter. Auch weil zwischen dem Konsum von Fleisch und Milch – je nach Tradition – drei bis sechs Stunden Pause liegen müssen. Das macht das vegane Eis von Veganista attraktiv: Es eignet sich auch als schnelles Dessert nach dem fleischigen Mittagsmahl.

Obwohl Veganista lediglich neutrale, pflanzliche Lebensmittel verarbeitet, ist der Prozess der Koscher-Zertifizierung komplex und mitunter lang. Knapp zwei Jahre dauerte es bei ihnen. Jede Zutat musste überprüft, Produzenten kontaktiert werden: Ist die Hafermilch, der Agavendicksaft koscher? Eine weitere Voraussetzung: Kein unkoscheres Produkt darf sich in den Produktionsräumen befinden, auch die mitgebrachte Jause der Mitarbeiter muss den Speisegesetzen entsprechen.

"Das hört sich streng an", sagt Havmöller. "Aber für uns ist es mittlerweile normal." Die Freude der Kunden sei es wert. Pünktlich zur Eröffnung des Standorts im Karmeliterviertel – Zentrum der jüdischen Gemeinde – kam das ersehnte Zertifikat. "Wir haben mittags aufgesperrt, und um Punkt zwölf kam der Rabbi." Ihre Augen strahlen. "Die Kinder haben sich so gefreut!" Havmöller, die seit der frühen Jugend vegan lebt, kennt das Gefühl, aufgrund von Essgewohnheiten ausgegrenzt zu werden.

Mit dem Rabbi stehen sie in engem Austausch. Manchmal bekomme dieser Hinweise aus der jüdischen Gemeinde, erzählt Havmöller. "Wir posten neue Sorten oft auf Instagram." Da kommt es schon mal vor, dass der Rabbi um Mitternacht eine SMS schickt und fragt, ob die neue Kreation auch wirklich koscher ist.

Eine Frage von Milch und Ei

Die Kontrolle liege in Verantwortung der zertifizierenden Rabbiner, sagt Schlomo Hofmeister. Er ist Gemeinderabbiner von Wien – und der Mann, der frühmorgens zu Veganista radelt, um den Ofen anzumachen. Neben ihm gibt es in Wien vier weitere, die Zertifizierungen durchführen. Jeder haftet mit seinem Namen, der – für alle sichtbar – auf der Bescheinigung neben der Eingangstür steht.

"Koscher bedeutet nicht nur zu schauen: Was ist drinnen? Sondern auch: Wo gab es möglicherweise Kreuzkontaminationen im Verarbeitungsprozess?" Werden auf einer Maschine oder einer Fläche nicht koschere Substanzen verarbeitet, müssen die Flächen gemäß dem jüdische Recht aufwendig gereinigt werden. "Bestimmte Kunststoffe und Porzellan können gar nicht koscher gemacht werden", erklärt Hofmeister.

Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister stellt mit vier weiteren die Koscher-Zertifizierung in Wien aus.
Foto: Christian Fischer

Bei den jüdischen Speisevorschriften geht es um Hygiene, aber auch um Ethik, um die Achtung vor der Schöpfung. "Du sollst das Zicklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen", heißt es in Exodus 23,19. Nicht für alles gibt es eine Erklärung. Und manches ist selbst unter jüdischen Gelehrten umstritten. Darf man Milch und Eier heute – Stichwort Massentierhaltung – überhaupt noch konsumieren? "Da man nicht alles untersuchen kann, gilt: Mehr als 50 Prozent nullifiziert den Rest." Heißt: Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der Tiere "gesund", also "koscher" ist. Es sei diskussionswürdig, sagt Hofmeister, ob diese altüberlieferten Annahmen angesichts der heutigen kommerziellen Massentierhaltung noch gültig seien.

Mindestens die Hälfte der in Wien lebenden Juden, schätzt er, ernähre sich koscher. Der spontane Snack in der Mittagspause, die süße Pause beim Bäcker – in dem Fall nicht so einfach. Die Zahl der jüdischen Lokale ist überschaubar. Wie viele es gibt? Hofmeister greift zu einem blauen Büchlein: "Acht Restaurants. Neun Bäckereien, Konditoreien und Kaffeehäuser. Zwölf Eissalons, davon elf Veganistas. Drei Fleischereien, ein halbes Dutzend Cateringbetriebe und einige koschere Küchen in sozialen Einrichtung und Schulen."

Vertrauen gut, Kontrolle besser

Um die Einhaltung der Richtlinien zu garantieren, müssen die Zertifikate regelmäßig erneuert werden. Und: Die zuständigen Rabbiner kommen zu unangekündigten Stipp visiten vorbei. "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist gut", sagt Izhak Faiziev und lacht. Im zweiten Bezirk betreibt er das koschere Lokal Mea Shearim. Die Spezialität auf der Speisekarte: Sushi und Asiatisches. "Für die jüdische Gemeinde gab es das vorher nicht." Ihre Küche sehe aus wie jede andere, nur dass sämtliche verwendete Produkte garantiert koscher seien. Manches ist mit einem K gekennzeichnet. Bei vielen verarbeiteten Produkten ist der Koscher-Status auf den ersten Blick jedoch nicht ersichtlich, weshalb die zuständigen Rabbiner Listen erstellen.

Auch Milchprodukte sind in der Küche des Mea Shearim, wo Steak und Lachs zubereitet werden, verboten. Da beides strikt getrennt werden muss, spezialisieren sich die meisten Restaurants auf milchig oder fleischig. Zwei Küchen, zwei Besteck- und Geschirrsets, getrennte Tabletts und Servietten können sich nur wenige Lokale leisten.

Im Mea Shearim von Izhak Faiziev wird Asiatisches koscher zubereitet – ein Novum für die Gemeinde.
Foto: Robert Newald

Anders als Produktionsstätten, zu denen auch Veganista zählt, brauchen Restaurants einen ständigen Aufseher, der die Einhaltung der Speisegesetze kontrolliert. Dieser Maschgiach überwacht die Reinigung von Salat, Gemüse und Kräutern, die mehrfach gewaschen werden müssen, damit ja kein Tierchen auf dem Teller landet, untersucht Eier auf Blutspuren und stellt sicher, dass kein Fisch in der Fleischfritteuse landet.

Der Maschgiach muss religiöser Jude – oder Jüdin – sein. Außerdem unabhängig – sprich, es darf nicht der Besitzer sein – und, ganz wichtig: vertrauenswürdig. "Warum kommen die Gäste? Weil sie mich als Besitzer persönlich kennen oder den Maschgiach, dem sie vertrauen", sagt Faiziev. Der Aufseher kontrolliert nicht nur die Abläufe, er muss auch einen "unbedingt notwendigen Schritt" im Koch- und Backprozess übernehmen. Der Grund: Nach dem Erhitzen ist schwer ersichtlich, welche Ausgangszutaten verwendet wurden. Also lässt der Maschgiach im Mea Shearim das Schnitzel in die Fritteuse, macht den Herd an, stellt den Topf auf die Kochplatte.

Bei Veganista ist die permanente Präsenz nicht nötig. Nur wenn Kekse gebacken werden, muss Schlomo Hofmeister vorbeikommen. "Der Rabbi könnte auch die Kekse in den Ofen schieben", sagt er und schmunzelt. "Aber Anschalten ist einfacher, weshalb es heute weltweit Standard ist." (Verena Carola Mayer, 3.10.2022)