Außergerichtliche Vergleiche, die Schuldnerinnen und Schuldnern einen schnellen Neustart ermöglichen, scheitern oft an den Sozialversicherungen.

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Die Preise steigen bei gleichbleibenden Gehältern, und das wird zunehmend zum Problem. Besonders betroffen sind Haushalte, die sich schon vor der Krise schwergetan hatten, alle ihre Rechnungen zu bezahlen. Die Teuerungswelle wird diese aber nicht sofort in die Insolvenz stürzen, denn die Pleite kommt schleichend. Wenn es dann aber so weit ist, sind die betroffenen Personen gesetzlich verpflichtet, unverzüglich einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen. Ein Szenario, das viele Betroffene möglichst vermeiden wollen. Der Ausweg kann in diesem Fall der außergerichtliche Ausgleich sein, oft wird das aber von Sozialversicherungen verhindert.

Der außergerichtliche Ausgleich ist eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern. Aus zivilrechtlicher Perspektive handelt es sich um einen Vergleich. Im Grunde spricht man hierbei von einem ganzen Vertragsbündel, welches Stundungen, Ratenzahlungen oder Schulderlässe umfassen kann. Ziel ist immer die nachhaltige Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit. Wenn der Versuch eines realistischen und aussichtsreichen außergerichtlichen Ausgleiches unternommen wird, ist die Pflicht, innerhalb von 60 Tagen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen, nicht schuldhaft verletzt. Mithilfe des außergerichtlichen Ausgleichs lässt sich also nicht nur ein gerichtliches Insolvenzverfahren, sondern auch eine mögliche Haftung wegen Insolvenzverschleppung vermeiden.

Chancen und Risiken

Der außergerichtliche Ausgleich hat gegenüber dem gerichtlichen Schuldenregulierungsverfahren wesentliche Vorteile. Gerade seine Diskretion und Flexibilität werden in der Praxis geschätzt. Weder gesetzliche Mindestquoten noch Zahlungsfristen sind einzuhalten. Daneben können Kosten gespart werden (keine Konkursverfahrenskosten). Auch das Tempo spielt eine Rolle, denn die Sanierung kann hierdurch beschleunigt werden. Ein wesentlicher Unterschied zum Insolvenzverfahren und vor allem ein Grund für die enorme Flexibilität ist, dass nicht alle Gläubiger gleichbehandelt werden müssen.

Eine Andersbehandlung ist allerdings nur gestattet sofern diese gegenüber den anderen Gläubigern offengelegt wurde. Hierbei handelt es sich auch um ein nicht unerhebliches Risiko, denn das ist strafrechtlich abgesichert (§§ 156, 158 StGB). Im schlimmsten Fall drohen ein bis zehn Jahre Haft. Ein weiteres Risiko ist das Wegfallen der gerichtlichen Kontrolle. Das kann gerade für unvertretene Schuldner gefährlich sein. Ohne Rechtsbeistand (beispielweise kostenlos durch eine Schuldnerberatung) sollte kein außergerichtlicher Ausgleich ausgehandelt werden. Ferner ist die fehlende Prozess- bzw. Exekutionssperre zu berücksichtigen. Keine Sonderbehandlung bedeutet in diesem Fall eben auch, dass Gläubiger bei Säumnis Exekution führen können.

Die "richtigen" Rahmenbedingungen

Ein außergerichtlicher Ausgleich ist meist nur dann erfolgversprechend, wenn der Schuldner wenige Gläubiger hat. Da es sich im Grunde "nur" um privatrechtliche Verträge handelt, müssen alle zustimmen ("Einstimmigkeitsprinzip"). Gerade Großgläubiger wie Sozialversicherungsträger haben einen enormen Einfluss darauf, ob ein außergerichtlicher Ausgleich zustande kommt oder nicht. Diese Hürde betrifft vor allem gescheiterte Selbstständige, da diese oft Rückstände gegenüber den Sozialversicherungsanstalten haben. Diese Institutionen unterstützen die außergerichtliche Sanierung allerdings nicht, meist stimmen sie sogar gegen eine Sanierung im Wege des Insolvenzverfahrens.

Gelegentlich wird behauptet, dass sie einem außergerichtlichen Ausgleich überhaupt nicht zustimmen dürfen. Die Grundlage dieser Argumentation findet sich (mittelbar) im ASVG. Diese Bestimmungen sehen einen Verzicht lediglich für Ordnungsbeiträge und Verzugszinsen, nicht aber für Sozialversicherungsbeiträge vor. Ein fast vierzig Jahre alter Erlass (1984) des Sozialministeriums "verwehrt" den Sozialversicherungsträgern die Zustimmung zum außergerichtlichen Ausgleich, da eine gesetzliche Grundlage fehle. Auch der VwGH stützt sich auf die besagten Bestimmungen des ASVG und macht die Sozialversicherungen damit – höchstgerichtlich legitimiert – zu "Ausgleichsstörern".

Stimmen in der Literatur stemmen sich gegen diese Ansicht, da es ebene keine "Verbotsnorm" gebe, welche die Zustimmung versage, sondern lediglich eine Norm die einen Verzicht in bestimmten Fällen erlaubt. Ein Eingreifen des Gesetzgebers scheint erforderlich, um die Rechtslage klar zu regeln. Hierbei wäre ein Zustimmungsrecht – also keine Pflicht – empfehlenswert. Es liegt dann in der Hand des Sozialversicherungsträgers, den außergerichtlichen Ausgleich im Einzelfall zu ermöglichen oder eben auch nicht.

Die Praxis macht den gesetzgeberischen Handlungsbedarf deutlich, denn derzeit werden Sozialversicherungsträger beim außergerichtlichen Ausgleich überhaupt nicht eingebunden. Gegenwärtig muss folgender Umweg gegangen werden: Alle anderen Gläubiger stimmen dem Ausgleich zu und geben gleichzeitig ihr Einverständnis, dass der Sozialversicherungsträger vollständig befriedigt wird. Das zerschlägt viele Ausgleichsversuche.

Auf den Punkt gebracht

Gerichtliche Insolvenzverfahren können grundsätzlich durch außergerichtliche Ausgleiche vermieden und so Zeit und Kosten gespart werden. Bei der Aushandlung dieser Vereinbarungen ist jedoch einiges zu beachten. Ohne rechtliche Beratung in die Verhandlung zu gehen ist daher riskant. Leider verlaufen viele Ausgleichsversuche – trotz Rechtsbeistand – im Sand. Das liegt auch an der derzeit unklaren Rechtslage. Gefordert ist deshalb der Gesetzgeber. Den Sozialversicherungsträgern sollte ein Zustimmungsrecht zum außergerichtlichen Ausgleich eingeräumt werden. So könnte auch gescheiterten Selbstständigen der Weg zum außergerichtlichen Ausgleich und damit zu schnellem und kostengünstigem Neustart geebnet werden. (Lukas Berghuber, Thomas Berghuber, 4.10.2022)