In Polen wurde Botschafter Sergej Andrejew ins Außenamt zitiert.

Foto: EPA / Piotr Nowak

Stand am Wochenende noch die erfolgreiche Rückeroberung der ostukrainischen Kleinstadt Lyman im Fokus des Kriegsgeschehens, war es am Montag bereits der neuerliche Kampf um die südukrainische Region Cherson, der für Aufsehen unter Ukraine-Beobachtern sorgte. Denn die ukrainische Armee dürfte dort die russische Frontlinie durchbrochen und weitere Geländegewinne verbucht haben.

Während sich Kiew zunächst bedeckt hielt, beschrieben russische Militärblogger, wie ukrainische Panzerverbände entlang des Westufers des Dnipro vorstießen und russische Truppen zurückdrängten. Regierungsberater Anton Geraschtschenko veröffentlichte ein Video, auf dem Soldaten die Ukraine-Flagge in Solota Balka hissten. Eine offizielle Bestätigung stand vorerst noch aus.

Die Ortschaft liegt zwischen den Städten Cherson und Saporischschja, deren Regionen Russlands Parlament und Präsident Wladimir Putin für annektiert erklärt haben. Sollten sich die Berichte bestätigen, dürfte es sich um den bisher wichtigsten Durchbruch der ukrainischen Gegenoffensive im Süden des Landes handeln. Ziel der Ukrainer dürfte es sein, russische Soldaten westlich des Dnipro einzukesseln.

Chef des AKW Saporischschja wieder freigelassen

Bezüglich der Region Saporischschja kamen am Montagabend zudem Nachrichten aus der in Wien ansässigen Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Demnach ist der Chef des dortigen Kernkraftwerks, Ihor Muraschow, wieder frei. IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi begrüßte die Freilassung via Twitter. Muraschow sei sicher zu seiner Familie zurückgekehrt, so Grossi. Nach ukrainischen Angaben war Muraschow am Freitag von einer russischen Patrouille festgenommen worden.

Muraschow ist nach Angaben des staatlichen ukrainischen Atomkraftwerkbetreibers Energoatom auf seinem Posten für die nukleare Sicherheit der Anlage in Saporischschja verantwortlich.

Das größte Atomkraftwerk Europas ist seit März von russischen Truppen besetzt. Die Anlage geriet in den vergangenen Wochen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine immer wieder unter Beschuss, für den sich Moskau und Kiew gegenseitig verantwortlich machten. Der Beschuss sowie Kämpfe in der Nähe des Atomkraftwerks schüren die Angst vor einer Atomkatastrophe.

Konzertierte Aktion

Indes dringen an der Ostfront, in der Oblast Donezk, ukrainische Truppen nach dem Fall Lymans weiter vor – in Richtung der Provinz Luhansk, die von Russland kontrolliert wird. Moskau erklärte auch diese beiden Regionen inmitten der jüngsten Rückschläge für annektiert – obwohl es noch keine Grenzen für seinen Landraub vorgelegt hat. Wie viele Länder Europas hat am Montag auch Österreich den russischen Botschafter vorgeladen, um die Annexion als illegal zurückzuweisen und Russlands Abzug zu fordern. Nach Ansicht des Instituts für Kriegsstudien (ISW) hat der Verlust Lymans, des "Nordtors des Donbass", für beispiellosen Unmut in russischen Militärkreisen gesorgt. Während sich in Russland die Teilmobilmachung von 300.000 Soldaten als schwierig erweist, wird Kritik laut, dass es an Nachschub für die Truppen im Donbass mangelt.

So hat sich neben Ramsan Kadyrow, dem Machthaber der russischen Teilrepublik Tschetschenien, mit dem Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, nun ein weiterer Vertrauter Putins kritisch über die Militärführung geäußert. Dies ist laut ISW dramatisch für den Kreml, der sonst den heimischen Diskurs fest im Griff hat. Nachdem Kadyrow auch einen Atomwaffeneinsatz gefordert hatte, sprach sich der Kreml nun für einen "ausgewogenen Ansatz" aus. (fmo, 3.10.2022)