Im Oktober wird die kalte Progression im Wege der Teuerungs-Entlastungspakete II und III beerdigt. Aber nicht ganz, denn ein Drittel behält sich die Regierung vor.

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Wien – In absoluten Zahlen ist die Entlastung durch die teilweise Abschaffung der sogenannten kalten Progression eindeutig. Im Jahr 2023, dem ersten Jahr der Abschaffung, profitieren die höheren Einkommensgruppen eindeutig am meisten. Auf das oberste Einkommensfünftel (Quintil) entfallen 30 Prozent des Einkommensteuerentlastungsvolumens, und auf das vierte Quintil entfallen 24 Prozent, rechnet der Budgetdienst des Nationalrats in seiner am Montag vorgelegten Analyse der Regierungsvorlagen vor.

Auf das unterste Einkommensfünftel hingegen entfallen nur neun Prozent des Entlastungsvolumens. Zurückzuführen ist diese ungleiche Aufteilung laut Budgetdienst auf die Anpassung der Tarifstufen, auf die ein Großteil des Entlastungsvolumens entfällt. Denn die Entlastung steigt mit dem Einkommen. Personen mit höheren Einkommen profitieren nicht nur von der Anpassung der unteren Tarifstufen, sondern auch von jener der höheren, in deren Sphären niedrigere Einkommen nie vorstoßen.

Erklärvideo: Was ist die kalte Progression, und was bedeutet ihre Abschaffung?

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Steuersätze sinken, Tarifstufen steigen

Zur Erinnerung: Der Eingangssteuersatz von 20 Prozent wird derzeit ab 11.000 Euro Jahreseinkommen fällig. 2023 steigt der Tarif auf 11.693 Euro und bis 2026 auf 12.827. Die zweite Tarifstufe wird 2023 von 32,5 auf 30 Prozent gesenkt und wird nicht mehr ab 18.000 Euro fällig, sondern ab 19.134 Euro. Die dritte Tarifstufe sinkt bis 2024 schrittweise von 42 auf 40 Prozent und gilt ab 2023 erst ab einem Jahreseinkommen von 32.075 Euro statt bereits ab 31.000 Euro. Die Steuersätze der drei obersten Tarifstufen (ab 60.000 Euro) bleiben unverändert, die Tarifstufen steigen ebenfalls, Darüber hinaus werden die Tarifeckwerte von Verkehrs- und Pensionistenabsetzbeträge angehoben, Alleinverdiener- und Unterhaltsabsetzbeträge sowie die Negativsteuer.

Allerdings profitieren Bruttobezüge in der Größenordnung von 2000 Euro an anderer Stelle: von der Anhebung der Einschleifgrenzen des Zuschlags zum Verkehrsabsetzbetrag beziehungsweise des Pensionistenabsetzbetrags.

Valorisierung der Sozialleistungen

Zusammen mit der gleichzeitig vorgenommenen Valorisierung von Sozialleistungen wie der Erhöhung der Familienbeihilfe profitieren die 20 Prozent Personen mit dem niedrigsten Haushaltseinkommen doch. Denn dies gleiche die Minderentlastung bei der kalten Progression aus, rechnet der Budgetdienst vor. Die relative Entlastung sei so bei 2000 Euro brutto pro Monat am höchsten und mache bis zu 1,8 Prozent des Nettoeinkommens aus.

Teuerung macht Schätzung schwierig

Weit schwieriger abzuschätzen ist die gepriesene Höhe des Entlastungsvolumens in den Jahren 2024 bis 2026. Denn niemand weiß, wie hoch die Inflation in diesen Jahren sein wird. Das geschätzte Entlastungsvolumen pro Prozentpunkt der auszugleichenden Inflation steigt laut Berechnungen des Budgetdienstes von 360 Millionen Euro im Jahr 2023 auf 449 Millionen Euro im Jahr 2026 an. Somit steigt auch die Unsicherheit bezüglich der Höhe des Entlastungsvolumens. Die Schwankungsbreite für die kumulierten Anpassungen bis 2026 beträgt 16,9 bis 26 Prozent. Berechnet wird die auszugleichende Inflationsrate aus dem arithmetischen Mittel der monatlichen Jahresinflationsraten jeweils vom Juli des Vorjahres bis Juni des laufenden Jahres.

Mindereinnahmen steigen

In Euro bedeutet das: 6,53 bis 9,65 Milliarden Euro, wobei das Hauptszenario von 21,3 Prozent oder 8,15 Milliarden Euro ausgeht, was aus derzeitiger Sicht 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Die Mindereinnahmen an Lohn- und Einkommensteuer für den Fiskus betragen somit 1,2 bis 1,9 Prozent des BIP.

Wie groß das Loch im öffentlichen Haushalt tatsächlich wird, darüber sagt diese Zahl nichts aus. Das lässt sich nicht voraussagen, denn hohe Energiepreise und teurere Güter des täglichen Bedarfs treiben die Mehrwert- beziehungsweise Umsatzsteuereinnahmen des Fiskus massiv in die Höhe. Die Gesamtentlastung durch Abschaffung der kalten Progression wurde von der Regierung bis 2026 auf rund 20 Milliarden Euro taxiert (2023: 1,85 Milliarden, 2024: 4,38 Milliarden; 2025: 6,28 Milliarden und 2026: 7,78 Milliarden Euro).

Lohnnebenkostensenkung

Eine Premiere gibt es bei der im Teuerungs-Entlastungspaket II enthaltenen Senkung der Lohnnebenkosten. Wie berichtet, werden die Dienstgeberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds 2023 von 3,9 auf 3,7 Prozent gesenkt. In voller Breite dürfte dies freilich erst 2025 wirksam werden. 2023 und 2024 müssen die Arbeitgeber nämlich auf "überbetriebliche lohngestaltende Maßnahmen" hoffen, etwa durch Kollektivverträge (KV) oder Betriebsvereinbarungen. Was Lohnrunden mit der Abgabenschuld von Dienstgebern zu tun haben? Gar nichts. Mit der Regelung will die Regierung die Möglichkeit schaffen, die Lohnnebenkostensenkung (erspart den Unternehmen pro Jahr geschätzt 350 bis 400 Millionen Euro, bis 2026 kumuliert 1,5 Milliarden Euro) bei KV-Verhandlungen zu berücksichtigen.

Eine Falle?

Neos-Wirtschaftssprecher Gerald Loacker nennt die Bestimmung eine Falle, denn nicht alle KVs werden im Herbst abgeschlossen. Es bekämen deshalb nicht alle Unternehmen automatisch die Senkung. Die Höhe von Abgaben bestimme immer noch der Staat, nicht die Sozialpartner, sagt Loacker. Jeder Betrieb könne die Senkung einfach innerbetrieblich vornehmen, hält die Regierung dagegen.

Verlängert wurden die Fristen für den bei Energieerzeugern einlösbaren Energiekostenausgleich (150 €-Gutschein). Anträge sind bis Ende Oktober 2022 möglich, die Frist zur anschließenden Datenübermittlung soll ebenfalls prolongiert werden, beschlossen ÖVP, Grüne und Neos im Finanzausschuss. (Luise Ungerboeck, 4.10.2022)