So wünscht es sich doch jeder Vater. Da sitzt der Sohn, der irgendwie ein bisschen schwierig ist, auf dem Sofa und sagt: "Dad, ich verspreche dir, dass ich ab jetzt auf dem richtigen Weg bin." Kein Alkohol mehr (zumindest wochentags), einen neuen Freund gibt es auch.

"Das ist gut, Junge, wirklich gut", antwortet der Vater hörbar gerührt. Doch er irrt. Sein Sohn nämlich ist nicht irgendein junger Mann, sondern einer der berüchtigtsten Serienmörder der USA: Jeffrey Dahmer (1960–1994). Zwischen 1978 und 1991 ermordete er 17 homosexuelle Männer, nahm an ihren Leichen nekrophile Handlungen vor und aß Teile von ihnen.

Immer neue Ausreden

Netflix zeigt jetzt eine zehnteilige Serie über Dahmers Leben und Töten, und man muss dankbar sein, dass es immer noch kein Geruchs-TV gibt. "Jeff, ich habe mich fast übergeben", sagt die Nachbarin nicht nur einmal zu dem jungen Mann. Denn aus seiner Wohnung stinkt es bestialisch. Steaks, Barbecue, Fischfutter – Dahmer hat immer neue Ausreden. In Wirklichkeit liegen dort Schädel und andere Teile seiner Opfer.

Es bleibt einem nicht viel erspart bei dieser Netflix-Serie, und dafür sorgt vor allem Evan Peters, der den homosexuellen Dahmer ebenso exzellent wie verstörend darstellt: grausam und verletzlich zugleich, abgebrüht und hilflos, sadistisch und einsam. Mit seiner Goldbrille und der abgeschleckten Frisur sieht Peters dem realen Serienmörder auch noch erschreckend ähnlich.

Evan Peters als Serienkiller Jeffrey Dahmer auf Netflix.
Foto: Netflix

Der Fokus liegt natürlich auf Dahmer. Nachgezeichnet werden sein Lebensweg und seine Begierden, man sieht, wie er zunächst Tiere seziert und fasziniert ihre Organe betrachtet. Doch die Serie widmet sich auch der Frage, warum Dahmer so lange unentdeckt morden konnte: weil die meisten seiner Opfer schwarz waren. "Ich habe Sie über Monate angerufen. Wisst ihr, was ihr gemacht habt? Gar nichts, gar nichts", schleudert die Nachbarin der Polizei wütend entgegen, als diese endlich, viel zu spät, eingreift. Ein Muster aus "Rassismus und Vernachlässigung" beklagt auch der Reverend. Es bleibt ein Rätsel, wie die vielen Hinweise auf Gestank und Schreie aus Dahmers Appartement keine Alarmglocken schrillen ließen und wie Dahmer sich herausreden konnte.

"Einfach nur Gier"

In den Netflix-Charts steht Dahmer weltweit in vielen Ländern auf Platz eins, so auch in Österreich, Deutschland und den USA. Doch es gibt für die Serie bei weitem nicht nur Lob. Kritik kommt von den (realen) Hinterbliebenen der Opfer. Rita Isbell, deren Bruder Errol Lindsey im Alter von 19 Jahren von Dahmer ermordet worden war, erklärte dem Magazin "Insider", Netflix schlage Kapital aus dem grausamen Geschehen. In der Serie wird gezeigt, wie Isbell im Gerichtssaal emotional auf Dahmer reagiert. "Ich wurde nie wegen der Serie kontaktiert", schreibt sie in einem Essay für "Insider". Und: "Ich finde, dass Netflix uns hätte fragen sollen, ob es uns stört oder wie wir uns dabei fühlen. Aber das haben sie nicht. Sie haben es einfach gemacht."

Sie kritisiert auch, dass Netflix nichts von seinen Einnahmen den Kindern oder Enkeln der Opfer gebe: "Es ist traurig, dass (Netflix) aus dieser Tragödie nur Geld macht. Das ist einfach nur Gier." Isbells Cousin Eric Perry kritisiert die Verfilmung via Twitter ebenfalls: "Ich sage niemandem, was er/sie sich ansehen soll, ich weiß, dass True-Crime-Formate aktuell populär sind, aber wenn ihr euch wirklich um die Opfer schert, meine Familie (die Isbells) ist wütend auf diese Serie. Sie erweckt das Trauma immer wieder, und wofür? Wie viele Filme/Serien/Dokumentationen brauchen wir?"

Netflix

LGBTQ-Hinweis entfernt

Und noch ein Aufschrei richtete sich gegen Netflix. Der Streamingdienst hatte Dahmer auf seiner Website nicht nur mit den Schlagworten "bedrohlich" und "Horror" versehen, sondern auch mit dem Tag "LGBTQ" – wohl weil Dahmer und seine Opfer homosexuell waren. "Jeffrey Dahmer, der schwule Repräsentant, auf den wir alle gewartet haben" und "Stell dir vor, du klickst auf die 'LGBTQ'-Kategorie und bekommst das hier", lauteten die Beschwerden auf Twitter. Hier immerhin hat Netflix reagiert und den Hinweis entfernt.

Förderlich dürfte die Netflix-Serie hingegen für Taylor James sein, der die Website "Cult Collectibles" betreibt. Dort bietet er allerhand Devotionalien aus dem Nachlass Dahmers an. Dazu zählen Briefe, eine Bibel oder eine Postkarte aus Deutschland, die Dahmer seiner Großmutter geschickt hatte. Tiefer in die Tasche greifen muss, wer Dahmers Urne haben möchte. Diese kostet 255.000 Dollar. Nicht auf der Website, aber grundsätzlich im Angebot, ist auch Dahmers markante Brille (für 153.000 Euro). Der echte Dahmer wurde 1994 von einem Mithäftling im Gefängnis erschlagen. (Birgit Baumann, 4.10.2022)