Frisch wie 1952: Alle sind wir älter geworden, nur das Rondell am Cobenzl ist hübscher als am ersten Tag.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Am Abend schaut das Publikum im neuen Lokal von Bernd Schlacher sicher anders aus, tagsüber aber tut sich am Cobenzl echt Beachtliches: Die neue Adresse vom immer schon heißesten Großgastronomen der Stadt ist, wie es sich gehört, dichtbesetzt. Das Publikum aber schraubt den Altersdurchschnitt durchaus untypisch in die hohen Sechziger – da ist der junge und blendend disponierte Service sogar mit eingerechnet. Eigentlich logisch: Unter der Woche können nur Leute mit Tagesfreizeit hier herauf, außerdem scheint das einst mythische Ausflugslokal bei der Aufbaugeneration immer noch mit sehr lebendigen Erinnerungen aufgeladen zu sein.

Ein Herr im Glencheck-Sakko ist mit seiner Pflegerin da, beim Lehnstuhl (Schnitzel mit Frucade) lehnt ein Gehstock, am Nebentisch prostet sich ein silbriges Paar zu: "Hierher war unser erster Spaziergang, hier haben wir 1963 Verlobung gefeiert." Die Stimmung ist gelöst, man tauscht Erinnerungen mit dem Nebentisch aus, kommentiert die Güte des Apfelstrudels – "Na ja, sag ma Schwiegertochterqualität. Und zum Glück nicht aus dem Eiskasten!" – wie auch jene des Publikums: "Mir scheint, die waren in die 50er auch schon alle da." "Eh, da hams aber auch schon alt ausgeschaut."

Zeitgemäße Vorspeisen als Kontrast zur innenarchitektonischen Nostalgienummer.

Der Schmäh rennt, der Sekt sprudelt, irgendwo unten rollt sich die Stadt im Herbstlicht bis weit ins Pannonische aus. Und das Rondell-Café, ein mythisches Lokal der Wirtschaftswunderjahre, erstrahlt nach Abriss und Wiedererrichtung in gnadenlosem, bis in die Messingfußerln der Blumentische, nostalgischem Glanz. Einzig die großformatigen Fotoarbeiten von Weronika Gęsicka verfremden das hochlackierte Idyll und spielen mit Witz und sanfter Ironie mit den Heile-Welt-Klischees der Aufbaujahre. Alles sehr gepflegt und in prima Qualität, von den Vintagesofas über die dänischen Holzsessel bis zu Gummibäumen und sonstigem Grünzeug in den weitläufigen Tonkugelbeeten.

Die kollektive Liebe für die Formensprache der 1950er und 1960er ist längst eine unendliche Geschichte, ganz egal wie streng sie schon seit Jahren nach Reaktion riecht. Das Versprechen der Aufbaujahre, wonach es allen immer besser gehen würde und das Glück unschuldigen Wachstums niemals aufhören würde, packt uns halt genau dort, wo es richtig angenehm wehtut. Ist ja wahr: Geiler als im Wirtschaftswunder hat die Welt sich niemals wieder gedreht, das Werden der Zukunft sich nie besser angefühlt. Wenn die Endzeit jetzt immer bedrohlicher heraufdräut, soll es wenigstens im Eigenheim noch nach schrankenlosem Optimismus duften – und im Aussichtscafé schon überhaupt.

Gutbürgerlich

Der Cobenzl ist natürlich der beste Ort, um diese Art von bittersüßer Optimismus-Nostalgie minutiös zu bedienen. Das Essen spielt perfekt mit: Zur Haupt- und Nachspeise gibt es explizit gutbürgerliche Wiener Küche, ein echt herausragendes Schnitzel mit mild gezwiebeltem Erdäpfelsalat etwa, pikant abgeschmecktes Szegediner Gulasch oder mürbe Fleischlaberln mit exzellentem Gurkenrahmsalat, Erdäpfelpüree und – natürlich hausgemachten – Knusperzwiebeln. Vorneweg darf es ein bisserl neumodischer sein: Herbstsalat ist eine köstliche Kombination aus Radicchio, geschmorten Rüben und Schwarzkohl mit richtig gutem Kräuterpesto. Gebratene Blunze wird iberophil mit Kreuzkümmel abgeschmeckt und mit eingelegtem Zeller serviert – sehr gut. Der Wienerwald ist vor der Tür, also gibt es, Stichwort Ort und Zeit, auch gebackene Steinpilze. Dazu ordert man Wiener Wein und Sekt, Champagner oder Ottakringer, um sich für die Mehlspeisen zu wappnen: Zwetschkenknödel sind Pflicht, der Blechkuchen mit Feigen kann es aber auch. Und dann? Spaziergang zum Parkplatz vis-à-vis, Servus, Bussi und bis bald!
(Severin Corti, 7.10.2022)

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