Susanne Bisovsky empfindet ihr Vorzimmer als vielfrequentierten Lebensraum.
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Modedesignerin Susanne Bisovsky: "Schuhe ausziehen zu müssen ist eine Erniedrigung"

"In unserer Wohnung herrscht ein fließender Übergang von Vorraum und Küche. Abgegrenzte Räume sind das Unsere nicht. Auch die Türen stehen in der Regel offen. Wir schauen sogar fern in unserem, ich sag mal ‚Vorbereich‘. Überhaupt halten wir uns hier sehr viel auf. Ein Schlafzimmer ist ein klassischer Nutzraum und dient nur einem Zweck. Der Vorbereich mehreren. Er ist Lebensraum. Eine Wohnung ist für mich wie eine dritte Haut. Die erste ist die Haut des Körpers, die zweite besteht aus unserer Kleidung und die dritte aus den Räumen, in denen wir leben. Das gilt auch für das Vorzimmer.

Interessant ist, dass Makler gern vom Vorzimmerbereich sprechen, als würde dieser mit dem Zusatz ‚Bereich‘ größer werden. Ich meine, niemand spricht vom Klobereich, oder? Mein Lebensgefährte und Partner Joseph Gerger meint, das Vorzimmer sei ein Bollwerk gegen die Zeugen Jehovas und die GIS. Apropos Bollwerk, Joseph meint auch, dass ein Bürger gegenüber dem Landmann den Nachteil habe, dass er den Feind nicht von weitem kommen sieht. Dem Bürger bietet der Vorraum also Schutz.

Mehr als eine Visitenkarte

Ich gehe nicht so weit, den Vorraum mit einer Visitenkarte einer Wohnung zu vergleichen, wie andere dies tun. Aber er vermittelt einen ersten Eindruck. Wenn ich jemandem auf die Schuhe schaue, weiß ich sofort, wie der- oder diejenige tickt. Das Gleiche gilt für Vorräume, die ich bei anderen Menschen betrete.

Meistens ist der Vorraum der am wenigsten aufgeräumte Ort, weil man seine Sachen einfach schnell wohin pfeffert. Mich macht so eine Verwüstung fertig. Mir hilft es, wenn ich Dinge symmetrisch in den Raum lege. Ich gestalte kleine Schwerpunkthäppchen, die mir das Gefühl geben, dass es passt. Außerdem tendiere ich dazu, Gegenstände in Schubladen verschwinden zu lassen. Manche mögen das als Widerspruch zu all den Dingen empfinden, die an unseren Wänden hängen. Aber es ist kein Widerspruch. Diese Sammlungen haben eine gewisse Ordnung und ihren Platz.

Das gilt allerdings nicht für all die Sachen des Alltags, die neu von außen in den Vorbereich kommen. Die empfinde ich erst einmal als Eindringlinge, für die ein Platz gefunden werden muss. Vielleicht bräuchte man eine Art Alltagstrog dafür. Der ist dann allerdings wahrscheinlich innerhalb einer Woche bis nach oben hin voll.

Ordnung durch System

Ich finde es toll, wie in den 60er-Jahren mit textilen Raumtrennungen gearbeitet wurde. Deshalb wird auch bald unsere vollgehängte Garderobe hinter einem großen Vorhang verschwinden. Die Stange für diesen gibt es bereits.

Wie soll ich sagen, ich brauch schon Materie um mich herum, aber das System darf nicht kollabieren. Ich glaube, im Alter steht man der Reduktion positiver gegenüber. Wie es in 30 Jahren bei uns aussehen wird? Keine Ahnung, vielleicht wohnen wir dann in einer der vielen Dosen.

Für mich ist es übrigens ein Albtraum, wenn man im Vorraum die Schuhe ausziehen muss. Außer man hat Kleinkinder, die frisch aus dem Gatsch nach Hause kommen. Ich empfinde es als Erniedrigung."

Susanne Bisovsky studierte bei J.-C. Castelbajac, Vivienne Westwood und Helmut Lang. Sie wohnt und arbeitet mit ihrem Lebensgefährten Joseph Gerger im 7. Wiener Bezirk und kreiert internationale Mode. Susanne Bisovskys Kollaborationen reichen von den Salzburger Festspielen und dem Teatro alla Scala bis zu externen Designaufträgen. Im Frühjahr erschien ihr Buch "Wiener Chic". Weitere Infos finden Sie unter www.bisovsky.com.

Das Sideboard unter dem Foto von Christy Turlington ist für Dinge reserviert, die Daniel Jelitzka am Morgen vor der Arbeit nicht vergessen darf. Er versteht es als analogen Notizblock.
Foto: Nathan Murrell

"Nach Hause kommen ist wie eine Landung", findet Immobilienentwickler Daniel Jelitzka

"Für mich erfüllt der Vorraum zwei Funktionen. Die eine lautet ‚coming home‘, die zweite steht für ‚Ich darf oder muss‘ wieder raus. Beim ‚coming home‘ geht es um ein Gefühl des Ankommens. Ich ziehe die Schuhe aus, schlüpfe in meine Jeans und rutsche über die Startrampe Vorraum von der beruflichen Alltagsbühne auf die Private. Wenn ich nach Hause komme, sehe ich sofort, wer zu Hause ist. Ich stolpere über die Schuhe von meinem jüngsten Sohn, über den Rucksack von meinem Zweitjüngsten oder über einen Basketball von meinem dritten Sohn. Auch wenn ich es generell lieber aufgeräumt habe, empfinde ich diese Fundstücke definitiv als Vorfreude aufs Daheimsein. Was noch auftaucht, wenn ich die Tür aufsperre, sind die beiden Katzen. Fällt die Tür hinter mir zu, bin ich in derselben Sekunde in einer anderen Welt. Ich schalte sogar mein Telefon aus. Konsequent. Nach Hause kommen ist wie eine Landung. Ich erlebe den Vorraum auch immer wieder als Kommunikationszone, zum Beispiel wenn Besuch die Wohnung verlässt. Aber auch beim Ankommen. Ich sehe ihn als Teil der Wohnung und niemals ausgeblendet.

Merkhilfe und Spielwiese

Verlasse ich die Wohnung, erfüllt der Vorraum für mich unter anderem die Funktion eines analogen Notizblocks. Dinge, die ich am Morgen nicht vergessen darf, lege ich auf ein schmales Sideboard im Vorraum. Das gehört nur mir. Für andere ist es tabu. Über der Ablage hängt eine Fotografie aus meiner Sammlung. Sie stammt von Patrick Demarchelier, auf der Christy Turlington zu sehen ist. Sie begrüßt mich sozusagen, wenn ich nach Hause komme. Sagt aber ebenso ‚Ciao‘. Auch ein Kontrollblick in den Spiegel ist Teil des morgendlichen Rituals. Ich schaue mich dann ja den ganzen Tag nicht mehr an. Bis ich wieder heimkomme.

Auch in meiner Eigenschaft als Immobilienentwickler erachte ich den Vorraum als äußerst wichtigen Ort. Natürlich hängt es vom Segment ab, in dem man unterwegs ist. In Altbauwohnungen sind Vorzimmer oft viel mehr als ein Vorzimmer, mitunter werden sie zur Spielwiese für Kinder. Wir versuchen, von diesem Raum aus Sichtachsen nach außen und in weitere Wohnbereiche zu schaffen. Diese sollen einen weiterlotsen und dennoch dem Vorraum die Präsenz geben, die er verdient. Im Bereich von Neubauten arbeiten wir diesbezüglich zum Beispiel gern mit verglasten Türen.

Ankommen ist das Wichtigste

Es stimmt schon, unterm Strich ist das Vorzimmer neben dem WC leider noch immer der am meisten vernachlässigte Wohnraum. Viele Menschen sehen ihn einfach zu sehr als Durchzugsort, den sie schnell überwinden wollen.

Doch selbst wenn man nur ganz wenig Platz zur Verfügung hat, muss der Vorraum meiner Meinung nach dieses angesprochene Ankommen möglich machen. Man muss ablegen können und eine Möglichkeit finden, sich irgendwo hinzusetzen. Und wenn es nur eine Nische ist. Darauf lege ich bei allen Projekten großen Wert. Selbst in einem Hotelzimmer möchte ich bereits im Eintrittsbereich das Gefühl von Ankommen erleben."

Daniel Jelitzka studierte Rechtswissenschaften, Immobilienökonomie. Er ist Immobilienentwickler und -investor, Bauträger, war Assistent des Vorstands der Immofinanz Immobilien Anlagen AG und gründete 1996 mit seinem Partner Reza Akhavan die JP-Immobilien-Gruppe (www.jpi.at), deren Geschäftsführer er auch ist.

Stefanie Dvorak in ihrem Vorraum samt Fenster in die Küche. Dieser ist für sie unter anderem ein Ort der Rituale, zum Beispiel für Verabschiedungen, die, so die Schauspielerin, ganz schön lange dauern können.
Foto: Nathan Murrell

Burgschauspielerin Stefanie Dvorak: "Der Vorraum steht für eine Knautschzone"

Zum Thema Vorraum fallen mir spontan amerikanische Filme und Serien ein. In diesen ist in vielen Fällen überhaupt kein solcher Raum zu sehen. Ich hab’ ein Faible für True-Crime-Storys, da verhält es sich meistens so, dass die Polizisten von draußen direkt ins Wohnzimmer eintreten. Sogar bei Häusern mit mehr Raum. Ich frag mich, ob die immer schönes Wetter haben. Wo geben die ihr nasses Zeug hin, wenn es regnet? Also ich habe keine Ahnung, wie man ohne Vorraum lebt. Für mich stellt er eine Zwischenstation dar, die man betritt, bevor man in den eigentlichen Lebensraum weitergeht. Er ist eine Vorstufe und ein Ort im Dienste des Willkommenheißens.

Schutz der Privatsphäre

Im Vorraum finden aber auch andere Rituale wie zum Beispiel die Verabschiedung statt. Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir ein, wie oft es bei dieser noch zu Gesprächen kommt, die mitunter viel länger dauern, als man es geplant hatte. Die Party endet also nicht in der Küche, sondern immer wieder auch im Vorraum. Ich verstehe ihn weiters auch als Knautschzone, zum Beispiel, wenn jemand von der Post kommt. Da ist im Vorraum Schluss. Er steht für eine Knautschzone, die noch nicht zum Allerheiligsten, also der Wohnung selbst gehört. Ein bisschen Niemandsland.

Mir ist schon klar, dass es vielen Menschen an Platz mangelt, und in diesem Fall wird der Vorraum gern als Erstes beschnitten, weil man glaubt, er sei nicht so wichtig. Vor kurzem war ich in New York. Dort hat mir jemand erzählt, dass er seine Schuhe im Backrohr abstellt, weil seine Bleibe so wenig Raum bietet. Aber Zeit zum Kochen und Backen hätte er sowieso keine.

Mein Vorraum ist auch keine Eingangshalle, aber ich habe zum Beispiel die Möglichkeit, eine Bank hinzustellen. Irgendwann bin ich vielleicht froh, wenn ich mich beim Schuheanziehen hinsetzen kann. Ich bin in Sachen Schuhe eher der Ausziehtyp. Das hat etwas mit Ankommen zu tun. Zieht man die Schuhe aus, kann man besser ankommen.

Überraschungsmomente für Gäste

Das Fenster in meiner Garderobe, durch das man in die Küche schauen kann, hat sich übrigens zufällig ergeben. In der alten Holzgarderobe, die ich bei einem Bauern in der Steiermark gefunden habe, hatte eine Einlassung gefehlt. Die wurde durch Glas ersetzt und in die Mauer ein passendes Loch gestemmt. Das Fenster gibt es also nur, weil es die Garderobe gibt. Viele Leute glauben, es handelt sich dabei um einen Spiegel. Da gab es schon die lustigsten Situationen, wenn ich durch das Fenster in den Vorraum geschaut habe.

Ich bin sehr happy mit meinem Vorraum. Abends lege ich dort all die Dinge auf eine Ablage, die ich für den nächsten Tag benötige. Er steht also auch für eine Art Startrampe. Ich habe es in Sachen Vorraum überhaupt gut erwischt. Vor meinem Vorraum liegt nämlich noch ein Vorraum, den ich mir mit der Bewohnerin in der Nachbarwohnung teile. Dadurch kann bei mir niemand anklopfen, den ich nicht erwarte."

Stefanie Dvorak studierte in Wien am Max-Reinhardt-Seminar und ist seit 1999 Ensemblemitglied des Burgtheaters. Dvorak war in diversen Fernsehrollen zu sehen. Am Burg- bzw. Akademietheater trat sie unter anderem in "Himmelszelt", "Der Fiskus" oder "Am Ende Licht" auf. Am 8. Oktober feiert sie im Akademietheater bei der Produktion "Mehr als alles auf der Welt" Premiere. Sie wohnt in einer Wohnung im 5. Wiener Bezirk.

Der Vorraum des Architekten: Er steht für ihn für die Öffnung des Hauses, die im Weiteren eine Verteilerfunktion übernimmt.
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Für Architekt Armin Ebner ist "dieser Raum eine Art Visitenkarte"

"Der Vorraum steht für einen Ort, an dem man empfangen und verabschiedet wird. Er ist eine Grundvoraussetzung, jemanden in sein Zuhause zu lassen. Man begrüßt sich im Vorraum, legt ab, plaudert vielleicht ein wenig und begibt sich anschließend in andere Räume. Wenn es sich vom Platz her ausgeht, hat der Vorraum kaum eine andere Funktion, als ein schöner Raum zu sein. Er steht für die Öffnung des Hauses. Klar spielt Platz in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Der lichtdurchflutete Vorraum in unserer Wohnung ist eher ein Gang.

Der Vorraum soll einen Eindruck geben, im Sinne einer Visitenkarte für ein Haus oder eine Wohnung. Deswegen verstehe ich ihn absolut als Wohnraum. Das gilt auch für kleinere Einheiten. Das Vorzimmer gibt Auskunft darüber, was ‚dahinter‘ passiert. Er ist ein Raum der Repräsentation, ein Vertreter nach außen, wobei ich sagen muss, dass er für mich bereits außerhalb der Wohnungstür beginnt. Durch das Entree im Treppenhaus zum Beispiel schreite ich auf die nächste Ebene der Privatheit. Beim Entwurf eines Hauses lässt sich freilich wesentlich leichter mit diesem Innen-außen-Thema spielen als bei einem Altbauhaus. Ich denke sehr gern über solche Räume nach.

Im Falle von Wohnungen, deren Zuschnitte durch die Entwicklungen der vergangenen Jahre immer kleiner wurden, übernimmt der Vorraum in der Regel in erster Linie eine Garderoben- und Verteilerfunktion. Anders gesagt, gewisse Funktionen verschieben sich aufgrund von Raumverhältnissen ineinander. Oft ergibt sich daraus, dass Raum zugunsten einer Garderobe oder dem Zugang zu einer Toilette weichen muss. Im besten Falle sollte der Vorraum aber nicht funktional penetriert werden.

"Mit Licht kann man viel Einladendes und Sympathisches generieren"

Wir versuchen, auch bei kleinen Wohnungszuschnitten dafür Sorge zu tragen, dass es Stauflächen für Dinge gibt, die man aus dem Blickfeld bringen will. Das gilt aber nicht nur für das Blickfeld der Bewohner, sondern auch für jenes der Besucher.

In diesem Zusammenhang sollte man auch nicht auf die Beleuchtungssituation vergessen. Oft ist der Vorraum ein dunkler Raum, mit Licht kann man viel Einladendes und Sympathisches generieren. Gerade bei kleineren Wohnungen geht es auch um den Umgang mit der Eingangstür. Wenn ich im Vorraum dauernd auf ein Balkenschloss, eine volle Garderobe und ein Meer aus Schuhen blicken muss, dann werde ich dort keine Ruhe im Sinne eines Wohnraums finden. Ich empfinde es einfach als sehr wohltuend, wenn man sich in einer kultivierten Weise aufeinander zubewegen und ‚Grüß Gott‘ und ‚Auf Wiedersehen‘ sagen kann, ohne dass man von Hauspatschen und nassen Mänteln eingezwickt wird."

Armin Ebner ist Gründer und Partner des Wiener Architektenbüros BEHF. Er wohnt am Wiener Rudolfsplatz im 1. Bezirk. Seine Partner sind Stephan Ferenczy und Susi Hasenauer. BEHF ist spezialisiert auf Wohnbau sowie auf Projekte im Bereich Handel, Gastronomie und Hotellerie. Realisierte Bauten sind unter vielen anderen das Hotel Rosewood am Wiener Petersplatz oder das Loisium in Ehrenhausen sowie die Restaurants Motto am Fluss bzw. Shiki.
(Michael Hausenblas, 6.10.2022)