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Wien – Kulturinstitutionen sonder Zahl protestierten in den vergangenen Tagen gegen einen "Kahlschlag mit nie dagewesenem Schaden" bei Ö1, seit DER STANDARD am Freitag über Sparpläne beim Kultur- und Infosender des ORF berichtete. Zumindest ebenso vehement warnten Kulturschaffende vor Überlegungen, auf der FM4-Frequenz eine Art junges Ö3 zu etablieren. Aber wie sieht eigentlich der Betriebsrat des ORF-Radios die Pläne für die beiden Kultursender?

"Massiver Schaden für Kulturnation" drohe

"Wir als ORFler sind es gewohnt zu sparen, ein Sparpaket jagt das andere, Posten werden nicht nachbesetzt, die psychischen Belastungen nehmen zu", sagt Radio-Betriebsratsvorsitzende Gudrun Stindl auf STANDARD-Anfrage. Die Belegschaft und ihre Vertretung seien "fassungslos, dass der Spardruck jetzt so weit geht, dass Ö1 und FM4 vielleicht zu Sparmaßnahmen genötigt werden, die den Ruf der Kulturnation Österreich beschädigen könnten".

Die Belegschaft und ihre Vertreter seien jedoch selbstverständlich bereit, zeitgemäße und sinnvolle Reformschritte mitzugehen.

"Medienpolitik verschleppt"

Stindl sieht die Medienpolitik gefordert: "Ist der Politik nicht bewusst, dass der Erfolg der westlichen, liberalen Demokratien in Österreich und ganz Europa auf dem Boden der Pressefreiheit und der öffentlichen-rechtlichen Sender fußt?"

Die Betriebsrätin sieht Versäumnisse: "Aus Sicht der Radio-Belegschaftsvertretung ist die Politik gefordert, endlich ein klares Bekenntnis zum ORF in seiner Vielfältigkeit abzugeben und in die Gänge zu kommen. Die Medienpolitik verschleppt aus unserer Sicht essenzielle Entscheidungen für unabhängigen Journalismus seit Jahren."

Die ORF-Radiobetriebsrätin meint hier die seit vielen Monaten laufenden Verhandlungen über eine sogenannte Digitalnovelle des ORF-Gesetzes. Der ORF will alleine oder zuerst für Streaming produzieren dürfen; bisher kann er im Wesentlichen sieben Tage nach einer Ausstrahlung im Rundfunk Programme online zum Abruf anbieten.

Stindl sagt dazu: "Seit langem wird uns ein zukunftsgerichtetes Gesetz in Aussicht gestellt. Ein solches wäre dringend notwendig, damit wir auch in der digitalen Welt unseren öffentlich-rechtlichen Auftrag erfüllen können, um digital-affine Österreicher und Österreicherinnen unter 30 kompetent informieren und unterhalten können, zum Beispiel durch online first."

Sparklausur am Freitag

Nach STANDARD-Informationen war am Freitag in einer internen Klausur von 900.000 Euro Sparbedarf die Rede. In der Klausur wurden Programme und Kooperationen vom Musikprotokoll des Steirischen Herbsts über die "Jazznacht" bis "Rudi, der Radiohund" infrage gestellt.

Ö1 wird nach STANDARD-Infos mit rund 35 Millionen Euro pro Jahr budgetiert, dieser Wert enthält aber auch die Aufwendungen für die Radio-Information. 900.000 Euro wären rund 2,5 Prozent dieses Jahresbudgets.

"Finanzielle Situation im ORF sehr angespannt"

Radiodirektorin Ingrid Thurnher verwies zu den Sparüberlegungen für Ö1 am Freitag auf STANDARD-Anfrage auf Sparbedarf im ORF insgesamt: "Die finanzielle Situation im ORF ist aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Lage sehr angespannt, und konzernweit werden Einsparungen evaluiert – nicht nur bei Ö1. Welche Maßnahmen genau getroffen werden, wird in den derzeit laufenden Budgetverhandlungen besprochen. Über- und Mehrstunden werden in allen Bereichen des Hauses gerade überprüft. Allerdings sollen sich die Einsparungen bei Ö1 vor allem auf weniger gehörte Sendungen und programmliche Randzonen beschränken, um die Auswirkungen auf unser Publikum möglichst gering zu halten. Gleichzeitig haben wir uns vorgenommen, Programminnovationen in der Radio-Primetime umzusetzen. Dazu zählt beispielsweise eine Stärkung der Ö1-Morgensendung." (fid, 4.10.2022)