Nicht nur in Sachen Digitalisierung müsste man im AKW, das nie in Betrieb ging, Berge versetzen.
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Klobige Röhrenbildschirme stehen neben vintagetauglichen Schaltplatten, die beleuchtet an alte Science-Fiction-Kulissen erinnern. So sieht es in der 70er-Jahre-Zeitkapsel aus, die das Atomkraftwerk Zwentendorf in Niederösterreich darstellt. So kann die Zukunft kaum aussehen. Und doch stellen sich manche bei Diskussionen rund um Atomenergie die Frage, ob sich das veraltete AKW im Notfall nicht doch hochfahren ließe.

VIDEOREPORTAGE: AKW Zwentendorf: Ein Ort des Scheiterns. Als klar war, dass das Atomkraftwerk niemals in Betrieb gehen wird, wurden Alternativen erdacht. Ein "Friedhof der senkrecht Bestatteten" und eine Museumsidee scheiterten ebenfalls.
DER STANDARD

Seit rund einem Jahr wird der Gedanke im Zuge von Führungen durch das Bauwerk immer häufiger geäußert, sagt Stefan Zach vom Energieunternehmen EVN, der mit der Geschichte des nie eingesetzten Kraftwerks vertraut ist. "Vor allem junge Menschen fragen nach. Ich glaube, das liegt an verschiedenen Ängsten, die wir als Gesellschaft mit uns herumtragen und die akut um mögliche Energieknappheit und einen Blackout kreisen."

Totes Kraftwerk

Die kurze Antwort lautet: nein. "Dafür sind zu viele Teile bereits angerostet", macht der Experte deutlich. Zwar seien mehr als 90 Prozent des Originalinventars vorhanden, dennoch fehlen wesentliche hochspezialisierte Teile. So verkaufte man einst etwa den Generator und eine von drei Turbinen an Kernkraftwerke in Deutschland. Die Technik ist freilich auch nicht up to date. "Es gibt dort keinen Computer", sagt Zach. Der erste Lochstreifencomputer Österreichs, der ein eigenes Zimmer füllte, war der einzige vor Ort, bis er dem Technischen Museum Wien geschenkt wurde.

Rost und der Zahn der Zeit nagen bereits ausgiebig an den Bestandteilen des Kernkraftwerks.
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Ein Update des Komplexes ist also unrealistisch. Schon der frühere Bundeskanzler Fred Sinowatz verkündete: "Zwentendorf ist tot." Der Pfahl ins Herz, der eine Auferstehung unmöglich macht, kam vor Jahren, als man für Besucherinnen und Besucher eine Tür in die Kondensationskammer schnitt. Damit fehlt ein wichtiges Schutzelement gegen radioaktive Strahlung. "Man müsste die gesamte Außenhülle wegreißen", sagt Zach. "Da kann man gleich neu bauen." Das unterstreicht Friederike Frieß vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. Eine Ertüchtigung sei extrem teuer.

Zusätzlich spiele beim Gedankenexperiment "österreichisches Atomkraftwerk" der Zeitfaktor eine Rolle. "In China, wo AKWs relativ schnell gebaut werden, benötigt man dafür im Schnitt neun Jahre." Rechnet man hierzulande etwa Genehmigungsverfahren und Prüfungen ein, könne es nach ihrer Einschätzung 15 bis 20 Jahre dauern, bis ein AKW in Betrieb gehen könnte. Auch dies sei nur dann realistisch, wenn es sofort hieße: "Wir ziehen das jetzt durch."

Die einst als Atomkraftwerk geplante Anlage Zwentendorf wird heute nur noch für Führungen und Schulungen genutzt.
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Eine Frage der Verfassung

Wie unwahrscheinlich eine Kursänderung ist, macht die österreichische Verfassung deutlich – gesellschaftlich wie rechtlich. Aus dem Bundesgesetz "für ein atomfreies Österreich", das dem "Atomsperrgesetz" von 1978 folgte, lässt sich schließen, dass Kernreaktoren lediglich für Forschungszwecke betrieben werden dürfen. Der Titel des Gesetzes ist genau genommen zwar fragwürdig: Atome können als Bausteine aller Materie nicht per se des Landes verwiesen werden, sondern nur die Atomkernspaltung zur Gewinnung von Energie und Nuklearwaffen.

Das 1970er-Jahre-Flair wird aller Wahrscheinlichkeit nach kein Update erfahren.
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Politisch hat das Verfassungsgesetz jedoch nach wie vor breitesten Rückhalt. Keine Partei wagt es, an dem Grundsatz zu rütteln, der seit der – äußerst knappen – Volksabstimmung gegen das AKW Zwentendorf fix in die österreichische DNA eingeschrieben scheint. Er ist etwa im aktuellen Regierungsprogramm fixiert. Auf EU-Ebene zählt Österreich zu den wenigen Gegnern der noch jungen EU-Taxonomie-Verordnung. Diese macht es möglich, dass Gas und Atomkraft unter bestimmten Voraussetzungen als "grün" deklarierbar sind.

Um das Verfassungsgesetz zu ändern, wäre eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig. Das sei in näherer Zukunft höchst unwahrscheinlich, sagt Zach: "Ich glaube, ein großer Teil der Bevölkerung ist sehr stolz auf die Zwentendorf-Entscheidung. Daher kann ich mir nicht vorstellen, dass sich die deutliche Ablehnung der Kernenergie in den nächsten Jahren dramatisch verändern wird." Umfragen zeigen eine Ablehnung von 80 Prozent und mehr – selbst wenn die letzte Reaktorkatastrophe wieder einige Jahre zurückliegt. (Julia Sica, 19.10.2022)