Kopfverletzungen im American Football: Eine neue Diskussion ist entbrannt.

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Sie gehören genauso zum Football dazu wie Touchdowns: Gehirnerschütterungen. Es waren verstörende Bilder von der heiligsten Sportart der USA: Tua Tagovailoa lag flach auf dem Rücken, seine verkrampften Finger zeigten in alle Richtungen, nachdem der Quarterback der Miami Dolphins im Spiel gegen die Cincinnati Bengals nach einem harten Tackling mit Helm und Kopf auf dem Rasen aufgeschlagen war. "Der Quarterback hatte den Ball gar nicht mehr in der Hand, der Verteidiger hätte ihn nicht mehr durch die Luft schleudern dürfen. Damit wurde eine Grenze überschritten, das war ein klarer Regelverstoß", sagt Christoph Seyrl, Generalsekretär des American Football Bundes Österreich zum STANDARD.

Miami-Spielmacher Tagovailoa hatte sich bereits eine Woche zuvor im Spiel gegen die Buffalo Bills verletzt. Der 24-Jährige bekam nach einem Tackling weiche Knie, wankte nach dem Aufstehen benommen durch die Gegend. Er wurde durchgecheckt und gab ein Comeback. Eine fatale Fehlentscheidung, wie sich im Nachhinein herausstellte.

Boxer-Syndrom, Football-Krankheit

Im österreichischen Football ist man auf das Thema Gehirnerschütterungen sensibilisiert. In der Austrian Football League (AFL) gibt es ein strenges medizinisches Überwachungs-Prozedere, falls ein Spieler Anzeichen einer Kopfverletzung zeigt. Die AFL orientiert sich in ihrem Regelwerk nicht am Profibetrieb der NFL, sondern am College-Football, wo strengere Richtlinien für Körperkontakt und Fouls gelten. Dem Spiel wird also an Schärfe genommen. Gröbere Fälle von Gehirnerschütterungen sind Seyrl in Österreich nicht bekannt.

In den USA gibt es breite Diskussionen über die Folgen der vielen Gehirnerschütterungen, die ein Footballer im Laufe seiner Karriere erleiden kann. Nämlich von Kindheit an. Eine Reihe von Ärzten und Neurologen setzt sich für ein nationales Verbot von Tackle-Football für Kinder ein. In Österreich wird ab der U13 mit Körperkontakt gespielt, "wir können uns aber eine Anhebung der Altersgrenze bis zur U15 vorstellen", sagt AFBÖ-Präsident Michael Eschlböck. Der Verband bietet seit Jahren Flag-Football als Einstieg in die Sportart an, eine Variante die ohne Körperkontakt gespielt wird.

Bei Nachwuchspartien im Tackle-Bereich gibt es fünf Schiedsrichter, "wir nehmen die Härte heraus. Bei uns geht es nicht um alles, niemand empfiehlt sich hier sofort für die NFL", sagt Seyrl, gibt aber zu Bedenken: "Einem Skifahrer kannst du auch nicht sagen, er darf bis zum 15. Lebensjahr nur rodeln und dann soll er auf Carvingski erfolgreich sein. So gewinnt man keine olympischen Spiele."

Großbritannien hat das Alter für Vollkontakt-Football bereits angehoben und kämpft seitdem mit einem Qualitätsproblem im Nachwuchs. Österreichs U19 wurde in der Vergangenheit mehrmals Europameister. Eschlböck: "Irgendetwas machen wir schon richtig. Es gibt halt gewisse Bewegungsabläufe wie das Vermeiden von Kollisionen mit dem Kopf, die lernst du am besten so früh wie möglich."

Nur die Harten kommen in den Garten

Football ist kein ungefährlicher Sport. Lange war sie nur als Boxer-Syndrom bekannt, dann als Football-Krankheit: die chronische traumatische Enzephalopathie, kurz CTE – ausgelöst durch wiederholte Stöße gegen den Kopf. Laut einer Studie der Boston University wurde die Krankheit bereits bei 315 ehemaligen NFL-Spielern festgestellt.

Spieler werden durch Sicherheitsmaßnahmen zwar mittlerweile mehr kontrolliert als früher, mit Gehirnerschütterungen ist aber kein NFL-Profi lange auf der Verletztenliste. Nur die Harten kommen in den Garten. Man fühlt sich immer wieder an den großartigen Film "Any Given Sunday" von Oliver Stone erinnert, in dem Schauspieler Dennis Quaid als Quarterback Jack Rooney von seiner Frau Cindy, einem "trophy wife", angeschrien wird, er solle nicht so ein Weichei sein und trotz Verletzungen spielen.

Das Thema Kopfverletzungen kostet die NFL nachträglich viel Geld. Bis dato musste die Liga mehr als 800 Millionen Dollar an Ex-Profis mit Gehirnerkrankungen zahlen. Der Zusammenhang zwischen CTE und American Football wurde jahrelang dementiert, sogar falsche Studien veröffentlicht. Erst 2016 gab die Liga erstmals eine Verbindung zwischen heftigen Kollisionen und Gehirnschäden zu.

Der Fall Tagovailoa dürfte zumindest weitere Folgen haben, es soll Veränderungen im "concussion protocol" geben, um die Sicherheit der Spieler zu verbessern. Es gebe Gespräche über die Verwendung des Begriffs "schwerwiegende motorische Instabilität". Eschlböck: "Der Skandal ist, dass Tua spielen durfte. Das ist die Schuld des Vereins." (Florian Vetter, 5.10.2022)