Geht es um die "harten" wissenschaftlichen Nobelpreise, dann ist es schon wieder fast ein halbes Jahrhundert her, dass Wissenschafter aus Österreich, die auch hier lebten und forschten, damit ausgezeichnet wurden: Konrad Lorenz und Karl von Frisch wurden 1973 gemeinsam mit Nikolaas Tinbergen für ihre Entdeckungen zur Organisation und Auslösung von individuellen und sozialen Verhaltensmustern mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet.

Wobei auch hier Einschränkungen angebracht sind: Karl von Frisch war zum Zeitpunkt der Zuerkennung deutscher Staatsbürger und hatte fast ausschließlich in München gelehrt und geforscht (mit einem nur kurzen Zwischenspiel in Graz nach 1945). Und auch Lorenz war von 1950 bis 1973 an Instituten der Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland tätig.

Rares Ereignis nach 1945

Der Physiknobelpreis für Anton Zeilinger ist also ein für die Wissenschaft in der Zweiten Republik äußerst rares Ereignis. Was einmal mehr vor Augen führt, wie nachhaltig die Wissenschaft in diesem Land durch den Austrofaschismus und vor allem durch den Nationalsozialismus beschädigt wurde. Allenfalls könnte bei den Laureaten nach 1945 nur noch Wolfgang Pauli (Physiknobelpreis 1945) dazugezählt werden, der Österreich allerdings nach der Matura verließ, Friedrich August von Hayek (Wirtschaft 1974) sowie drei Forscher, die schon als Kinder von den Nazis vertrieben worden waren: Eric Kandel, Walter Kohn und Martin Karplus.

In der Zwischenkriegszeit und den Jahren davor waren wissenschaftliche Nobelpreise für Österreicher hingegen noch relativ häufig. Viele hatten aber kurz vor oder nach dem Nobelpreis das Land verlassen: Robert Barany (Medizin 1914) beispielsweise war antisemitisch grundierten Ressentiments ausgesetzt, als er nach dem Erhalt des Nobelpreises vom Dozenten zum Professor hochgestuft werden wollte – und ging nach Schweden. Karl Landsteiner hatte Wien aus ähnlichen Gründen verlassen und war bei Erhalt des Nobelpreises (Medizin 1930) längst US-Staatsbürger.

Nach dem "Anschluss" verließen zumindest zwei Physik-Nobelpreisträger das heutige österreichische Staatsgebiet, nämlich Erwin Schrödinger und Viktor F. Hess, beide aus politischen Gründen. Und so kam es nach 1945 auch zum sarkastischen Bonmot, dass Österreich ein besonders gesundes Land für Nobelpreisträger sein müsse, da trotz vieler Laureaten kaum einer in Österreich gestorben sei.

Zwischen Nummer 19 und 32

Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Je nach Zählweise steht Zeilingers Auszeichnung irgendwo zwischen dem 19. und dem 32. Nobelpreis für einen Österreicher oder eine Österreicherin. Die Frage der Nationalität lässt sich nämlich gar nicht so leicht beantworten. Geburtsort, Staatsbürgerschaft beziehungsweise der Ort der Tätigkeit bringen je nach Zählweise ziemlich unterschiedliche Ergebnisse.

Das Nobelpreiskomitee selbst hatte vor einigen Jahren eine Nationalitätenliste erstellt und sich dafür entschieden, den Geburtsort heranzuziehen. Entscheidend dafür war der Name des Landes zum Zeitpunkt der Geburt des jeweiligen Laureaten – nicht ganz unwesentlich für viele in der Donaumonarchie geborene Nobelpreisträger. Mittlerweile ist diese Aufstellung aber wieder von der offiziellen Nobelpreis-Homepage verschwunden.

Mit dem diesjährigen Physiknobelpreisträger Anton Zeilinger sind 19 Nobelpreisträger innerhalb der Grenzen des heutigen Österreichs geboren beziehungsweise insgesamt 32 in einem Gebiet, das zum Zeitpunkt ihrer Geburt zu Österreich gehörte. Sieben Nobelpreisträger waren zum Zeitpunkt der Preisverleihung an einer österreichischen Uni beziehungsweise Forschungseinrichtung tätig. Ein Spezialfall ist außerdem die 2005 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO), die ihren Sitz in Wien hat.

Die recht lange Liste

Im Gebiet des heutigen Österreich geboren wurden neben Zeilinger (1945 in Ried im Innkreis/OÖ)

  • die Physiknobelpreisträger Erwin Schrödinger (1887 in Wien / Nobelpreis 1933), Viktor F. Hess (1883 in Peggau / 1936), und Wolfgang Pauli (1900 in Wien / 1945)
  • die Chemienobelpreisträger Richard Kuhn (1900 in Wien / 1938), Richard Zsigmondy (1865 in Wien / 1925) Max F. Perutz (1914 in Wien / 1962), Walter Kohn (1923 in Wien / 1998), Martin Karplus (1939 in Wien / 2013)
  • die Medizinnobelpreisträger Robert Barany (1876 in Wien / 1914), Julius Wagner-Jauregg (1857 in Wels / 1927), Karl Landsteiner (1868 in Wien / 1930) Karl von Frisch (1886 in Wien / 1973), Konrad Lorenz (1903 in Wien / 1973), Eric Kandel (1929 in Wien / 2000)
  • die Literaturnobelpreisträger Elfriede Jelinek (1946 in Mürzzuschlag / 2004) und Peter Handke (1942 in Griffen / 2019)
  • Friedensnobelpreisträger Alfred Fried (1864 in Wien / 1911)
  • Wirtschaftslaureat Friedrich August von Hayek (1899 in Wien / 1974), wobei der "Wirtschaftsnobelpreis" bekanntlich kein ganz richtiger Nobelpreis ist und korrekt "Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften" heißt.

Dazu kommen noch Preisträger wie Bertha von Suttner (geboren 1843 in Prag, Friedensnobelpreis 1905) oder Fritz Pregl (geboren 1869 in Laibach; Chemienobelpreis 1923), die aufgrund ihres Tätigkeitsschwerpunkts traditionell zwar als "österreichische Nobelpreisträger" gesehen werden, deren Geburtsort aber "nur" im Gebiet der damaligen Donaumonarchie lag.

Ebenfalls oft als österreichischer Preisträger wird Elias Canetti (Literaturnobelpreis 1981) bezeichnet. Er war bis zu seiner Vertreibung durch die Nazis 1938 in Österreich tätig, wurde aber im damaligen Fürstentum Bulgarien geboren und war zum Zeitpunkt der Verleihung Brite.

Kaum mit Österreich assoziiert werden folgende Laureaten, die aber vom Nobelpreiskomitee in der Liste der "Preisträger nach Geburtsland" unter "Österreich-Ungarn" beziehungsweise "Kaiserreich Österreich" geführt wurden: Eugene Wigner (geboren 1902 in Budapest, Physiknobelpreis 1963), Vladimir Prelog (geboren 1906 in Sarajevo, Chemienobelpreis 1975), Leopold Ruzicka (geboren 1887 in Vukovar; Chemienobelpreis 1939) das Ehepaar Carl und Gerty Cori (geboren jeweils 1896 in Prag; Medizinnobelpreis 1947), die beiden Literaturnobelpreisträger Shmuel Agnon (geboren 1888 in Buczacz/Buchach (heute Ukraine); Nobelpreis 1966) und Jaroslav Seifert (geboren 1901 in Prag; Nobelpreis 1984), George de Hevesy (geboren 1885 in Budapest; Chemienobelpreis 1943), Albert Szent-Györgyi (geboren 1893 in Budapest; Medizinnobelpreis 1937), Isidor Isaac Rabi (geboren 1898 in Rymanow, heute Polen; Physiknobelpreis 1944) und der Friedensnobelpreisträger Ernesto Teodoro Moneta (geboren 1833 in Mailand; Nobelpreis 1907).

Nur sieben Personen waren zum Zeitpunkt des Erhalts des Nobelpreises an österreichischen Unis oder Forschungseinrichtungen tätig: Barany (1914) und Wagner-Jauregg (1927) forschten an der Uni Wien, Pregl (1923) und der aus Frankfurt stammende Medizin-Laureat Otto Loewi (1936) an der Uni Graz, Hess (1936) an der Uni Innsbruck und Lorenz (1973) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wobei Lorenz – siehe oben – just 1973 nach 23 Jahren in Deutschland nach Österreich zurückgekehrt war. Zeilinger selbst ist als emeritierter Professor nach wie vor an der Uni Wien tätig.

Nicht eindeutig ist ein Anknüpfen an den Ort ihrer wissenschaftlichen Entdeckung, für die sie später ausgezeichnet werden – vor allem schon deshalb, weil diese sich oft über mehrere Jahre zieht und Wissenschafter sowohl früher als auch heute überdurchschnittlich mobil sind. Karl von Frisch beispielsweise gelangen seine bahnbrechenden Entdeckungen zum Tanz der Bienen in Brunnwinkl am Wolfgangsee, obwohl er eigentlich in München Professor war.

Auch die Staatsbürgerschaft taugt nur bedingt als Kriterium, wie etwa die Fälle von Kandel und Karplus deutlich machen: Beide flohen im Kindesalter vor der NS-Herrschaft – während Karplus aber mehr oder weniger unabsichtlich seine österreichische Staatsbürgerschaft behalten hatte und in den Nobelpreisregistern auch als österreichischer Preisträger aufscheint, verlor Kandel seine Staatsbürgerschaft. Er war zum Zeitpunkt der späteren Preisverleihung US-Staatsbürger – mittlerweile ist er auch wieder Österreicher.

Auch Walter Kohn wurde von den Nazis aus seiner Geburtsstadt Wien vertrieben, er nahm die österreichische Staatsbürgerschaft danach nie mehr an. (tasch, APA, 4.10.2022)