Am 17. Juli 2014 wurde eine Passagiermaschine der Malaysian Airlines (MH17) über dem Donbass abgeschossen. Alle 298 Insassen starben. In der Folge deckte die private Investigativplattform Bellingcat auf, dass die Maschine von den prorussischen Separatisten in der Ostukraine mit einer Rakete aus einer fahrbaren Batterie der russischen Armee getroffen wurde, die den Separatisten zur Verfügung gestellt worden war.

Am 20. August 2020 wurde der russische Oppositionelle Alexej Nawalny auf dem Flug von Tomsk nach Moskau mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok vergiftet. Bellingcat wies in der Folge nach, dass mehrere namentlich bekannte Agenten einer Spezialeinheit des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB (Nachfolger des KGB) Nawalny über Jahre gefolgt waren und unmittelbar vor dem Anschlag in Kommunikation miteinander gestanden waren.

Der Chef von Bellingcat, der Investigativjournalist Christo Grozev.
Foto: APA/AFP/JULIEN DE ROSA

Das sind nur zwei der spektakulärsten Fälle, die Bellingcat (www.bellingcat.com) aufgedeckt hat. Die Plattform bedient sich dabei überwiegend sogenannter "offener Quellen", wie etwa private Handyvideos im Netz oder Flugpassagierlisten, aber auch interner Informationen, die auf dem grauen Markt erworben werden. IT-Spezialisten und Programme, die das Netz durchforsten, spielen dabei eine große Rolle. In Österreich ist die Arbeit von Bellingcat (die sich keineswegs nur gegen das russische Regime richtet) wenig, zu wenig bekannt.

Private Finanzierung

Der Chef von Bellingcat, der Investigativjournalist Christo Grozev, stellte sich dieser Tage bei einer Veranstaltung des Instituts für die Wissenschaft vom Menschen den Fragen einer Interviewerin und des Publikums. Zur Methode der Investigativplattform sagte er, dass "die meisten Geheimnisse sich im Offenen verstecken" ("hiding in plain sight"). Die Neigung sehr vieler Menschen, sich im Netz auf irgendeine Weise auszudrücken, komme dem entgegen. Zur Methode kann man etliches auf der Website finden.

Derzeit hat Bellingcat übrigens ziemlich sicher "den Mann mit dem Cowboyhut" einer russischen Spezialeinheit identifiziert, der einen ukrainischen Kriegsgefangenen kastriert und erschießt.

Die Kernmannschaft von Bellingcat umfasst etwa 20 Leute, sehr viel kommt aber von Freiwilligen. Die Finanzierung ist privat: "Wir nehmen kein Regierungsgeld." Auf eine Frage sagte Grozev, man habe mit Wikileaks "nichts gemein". Wikileaks veröffentliche nur Material "without added value" (=Recherche).

An dieser Stelle werden etliche skeptische Zeitgenossen Bellingcat wohl als Instrument der CIA verdächtigen. Der Gedanke kann einem kommen. Die Tatsache, dass Bellingcat auch Kriegsverbrechen der Saudis im Jemen, die mit US-Waffen begangen wurden, aufgedeckt hat, wird echte antiamerikanische Verschwörungstheoretiker nicht beeindrucken. Aber die Rechercheergebnisse von Bellingcat haben sich bisher immer als valide erwiesen. Auf die aktuelle Frage, ob er meine, dass die Russen die Pipeline in der Ostsee gesprengt hätten, antwortete Grozev in Wien jetzt sehr zurückhaltend: Möglich, aber es "können auch andere ein Interesse daran gehabt haben. Man weiß es einfach nicht." Vielleicht noch nicht. (Hans Rauscher, 4.10.2022)