"Die Kinder von heute sind die Gäste von morgen." Christian Scherer fordert Preisreduktionen für Kinder und Jugendliche und einkommensschwache Familien, und er wünscht sich verpflichtende Schulskikurse.

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"Skisport ist ein Wirtschaftszweig, der viele tausend Arbeitsplätze absichert."

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Zuletzt fehlte es, sagt ÖSV-Generalsekretär Christian Scherer, "am gegenseitigen Verständnis zwischen Stadt- und Landbevölkerung". Der Osttiroler kritisiert "manche Auftritte" von Vertretern der Seilbahnbranche, sieht schwarze Schafe, die zu viel Aufmerksamkeit bekommen, und will Kritiker fragen: "In wie vielen anderen Branchen ist Österreich Weltmarktführer?"

STANDARD: Viele Menschen sagen, nicht erst seit wenigen Monaten, dass sie sich das Skifahren nicht mehr leisten können. Jetzt kommt die enorme Inflation noch dazu. Hätte der Skisport der Teuerung nicht viel früher entgegenwirken müssen? Kann er es jetzt noch?

Scherer: Erstens muss man sagen, dass ja nicht nur der Skisport betroffen ist, sondern dass alles teurer wird. Aber es stimmt schon: So wie alle anderen muss sich auch der Wintertourismus etwas überlegen, damit das Skifahren preislich halbwegs am Boden bleibt. Da gibt es Möglichkeiten. Man sollte nicht nur auf den Preis der Tageskarten schauen, der in den sehr großen Skigebieten oft zugegebenermaßen durchaus hoch ist – auch wenn man dafür von 9 bis 16 Uhr wirklich viel erleben kann. Es gibt aber viele kleinere und mittlere Skigebiete, die sich auf Familien spezialisiert und eine sehr attraktive Preisgestaltung haben. Bei Saison- und Verbundkarten sieht es schon wieder anders aus. Je öfter man Ski fahren geht, umso günstiger wird es. Also muss es das Ziel sein, dass die Leute öfter Skifahren gehen und länger bleiben. Das wäre auch aus ökologischer Sicht wünschenswert, schließlich ist da die An- und Abreise der Gäste das größte Problem. Zudem gehören alternative Verkehrskonzepte entwickelt, in viel höherem Ausmaß, als das jetzt schon geschieht.

STANDARD: Ein einwöchiger Strandurlaub im Winter kostet eine vierköpfige Familie aber doch tatsächlich nicht mehr Geld als ein Skiurlaub.

Scherer: Es ist halt auch die Frage, was man will. Ein Strandurlaub auf den Malediven ist wohl nicht gerade das, was wir in Zeiten der CO2-Diskussionen benötigen. Ich gehe im Winter lieber Ski fahren beziehungsweise mich im Schnee bewegen, bevor ich irgendwohin fliege. Wichtig ist, dass der Skisport eine Emotion, eine Begeisterung entfacht. Der Preis spielt bei vielen Überlegungen durchaus eine Rolle, eh klar. Speziell bei Kindern und Jugendlichen und bei einkommensschwachen Familien braucht es noch größere Reduktionen. Die Kinder von heute sind die Gäste von morgen. Auch im Bereich der Ausrüstung ist noch sehr viel möglich. Ich denke an eine Börse und daran, dass Ausrüstung – vor allem Skianzüge et cetera – ganz einfach weitergegeben werden könnte.

STANDARD: Sportverbände und Sportvereine hoffen auf staatliche Hilfen, um ähnlich wie zu Corona-Lockdown-Zeiten auch in Teuerungszeiten über die Runden zu kommen. Braucht auch der Skisport staatliche Hilfen?

Scherer: Der Skisport braucht prinzipiell keine Ausnahmen, sondern sollte gleich wie alle anderen Sportarten beziehungsweise Wirtschaftszweige behandelt und unterstützt werden. Ein großer Wunsch wäre allerdings, dass verpflichtende Schulskikurse wieder eingeführt werden. Die hat es früher gegeben, die würden dem Skisport auch jetzt wieder sehr helfen.

STANDARD: Ist dieser Wunsch nicht unrealistisch? Die Verpflichtung zu Schulskikursen wurde 1996 abgeschafft, auch weil die Sommersportwochen wichtiger wurden.

Scherer: Es sollte beides geben, Winter- und Sommersportwochen. Wir benötigen ein Commitment zu einer gesünderen Gesellschaft – Sport und Bewegung sind einfach essenziell dafür. Im Winter geht's dabei nicht nur um den alpinen Skilauf, sondern auch ums Langlaufen, Rodeln oder ums Eislaufen. In vielen Gemeinden gibt es tolle Angebote, speziell für Schulen. Viele Lehrerinnen und Lehrer wissen das gar nicht. Man müsste den Hebel im Unterrichtsministerium und den Landesschuldirektionen ansetzen. Und auch da ist die Tourismusbranche mitgefordert. Sie muss diese Erlebnisse bekannt machen, verkaufen. Wer das Skifahren als Kind gelernt hat, den kann es sehr lange begeistern.

STANDARD: Nicht nur seitens der FIS, die Rennabsagen wegen der Energiekrise befürchtet, sondern auch in diversen Tiroler Skigebieten wurde kürzlich quasi der Teufel an die Wand gemalt. Die Teuerung werde eine Katastrophe auslösen, hieß es da, und dass Skisport künftig den Reichen vorbehalten sei.

Scherer: Auch hier ist es eine Frage der Darstellung. Der Skisport bietet so viel an (Natur-)Erlebnis. Die absoluten Zahlen der Skisportbegeisterten, die aktiv den Sport ausüben und indirekt den Übertragungen folgen, sind seit Jahren konstant auf einem hohen Niveau – aber natürlich darf man das Thema der Leistbarkeit nicht ganz außer Acht lassen. Eine weitere Kernfrage wird sein, wie wir denn Familien mit Migrationshintergrund den Skisport näherbringen – das wird wohl nur über das Thema der Schulskikurse funktionieren. Einige Skigebiete profitieren davon, dass sie längerfristige Stromverträge abgeschlossen hatten. Andere sind härter getroffen. Es wird vielleicht auf den Sesselliften keine Sitzheizungen mehr geben, die Lifte werden vielleicht etwas langsamer fahren. Jeder Konsument wird verstehen, wenn der eine oder andere Angebotsbaustein in so schwierigen Zeiten einer Energiekrise wegfällt beziehungsweise ein wenig reduziert wird.

STANDARD: Ist auch der Nachtskilauf bei Flutlicht ein solcher Baustein?

Scherer: Der Nachtskilauf hat primär nur in unmittelbarer Nähe zu Ballungsräumen oder auch für das Nachwuchstraining eine Relevanz. Wenn jemand mit dem Skifahren aufhört, weil es keinen Nachtskilauf in seinem Urlaubsskigebiet mehr gibt, dann ist davon auszugehen, dass er ohnedies nicht mehr lange Ski gefahren wäre.

STANDARD: Ist es nicht so, dass der Skisport dem Klimawandel nur noch ein Rückzugsgefecht liefert?

Scherer: Nein, das glaube ich gar nicht. Wie alle Branchen wird der Skisport sich anpassen und weiterentwickeln müssen. Aber es hat auch früher immer wieder schneeärmere Winter gegeben. Von meinem Heimatort Obertilliach gibt es aus früheren Jahren Bilder von Prozessionen am Stefanitag, da war alles grün. Da ist der Schnee erst danach gekommen. Es gibt viele Gebiete, in denen man noch sehr, sehr lange Ski fahren wird. Manche Schneelöcher liegen gar nicht so hoch oben. Einige davon gibt es auch im Osten von Österreich, und der Osten ist durchaus auch sehr wichtig für den Wintersport.

STANDARD: Für einen guten Teil der Großstadtbevölkerung ist, aus vielerlei Gründen, der Skisport doch aber kein Thema mehr.

Scherer: Die absoluten Zahlen der Ausübenden und auch bei den TV-Übertragungen sprechen da grundsätzlich schon eine andere Sprache. Es hat halt zunehmend eine Urbanisierung gegeben – und daher sind immer Menschen in Ballungsräumen konzentriert und haben daher nicht mehr so oft die Möglichkeit, dem Skisport zu frönen. Ich habe den Eindruck, es hat zuletzt am gegenseitigen Verständnis zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung und an respektvollem Umgang miteinander gefehlt. Im Westen Österreichs, in dem der Skisport einfach ganz entscheidend für die Bevölkerung in den Tälern ist, sind keine mutwilligen Landschaftszerstörer am Werk, ganz im Gegenteil. Und wenn es früher Bausünden gegeben hat, so herrscht jetzt insgesamt doch eine ganz andere Sensibilität. Schwarze Schafe wird es immer geben. Das Problem ist, dass die schwarzen Schafe meistens die größte mediale Aufmerksamkeit bekommen.

STANDARD: Ist das eine Anspielung auf die, bitte die Verallgemeinerung zu verzeihen, Branche der Seilbahnbetreiber?

Scherer: Dass der Skisport in manchen Medien unbewusst aber manchmal auch bewusst eher negativ dargestellt wird, hat auch damit zu tun, dass vielleicht nicht immer glücklich kommuniziert wurde. Angesichts mancher Auftritte war es kein Wunder, dass die Sympathiewerte nicht durch die Decke gegangen sind. Wobei es legitim ist, dass Unternehmen, natürlich auch Seilbahnunternehmen, Geld verdienen wollen.

STANDARD: Auf alle österreichischen Bergbahnen, inklusive Beschneiung und Präparierung, entfallen ungefähr 1,3 Prozent des jährlichen heimischen Energiebedarfs. Nur 1,3 Prozent, werden die Bergbahnen sagen. Anderen, die nie mit einem Skilift fahren, kommen 1,3 Prozent wahrscheinlich viel vor.

Scherer: Polemik ist in diesen schwierigen Zeiten nicht angebracht – es geht nur miteinander, und es muss ein Solidaritätsakt von allen sein. Eine einzelne Branche wird Österreich in der Energiekrise sowieso nicht retten, und, ehrlich gesagt, sprechen wir wahrscheinlich von knapp einem Prozent, wenn wir von der anstehenden Wintersaison sprechen. Aber der Skisport darf hier nicht nur als Freizeitvergnügen gesehen werden, auch wenn er oft allein so dargestellt wird. Der Skisport ist ein Wirtschaftszweig, der viele tausend Arbeitsplätze absichert und eine enorme Wertschöpfung generiert. Gibt es denn überhaupt eine Branche, die mit dieser eingesetzten Menge an Energie so viele direkte und indirekte Arbeitsplätze nachhaltig sichert – und dies auch in Krisenzeiten? Und vielleicht kann man ja schon auch einmal die Kritiker fragen, in wie vielen anderen Branchen Österreich Weltmarktführer ist.

STANDARD: Welche Aufgabe fällt da dem Österreichischen Skiverband zu?

Scherer: Wir sind ein Sportverband, der den Skisport in all seinen Facetten fördern will. Zu glauben oder zu sagen, dass es immer so weitergeht wie bisher, wäre fahrlässig. In erster Linie wollen wir möglichst vielen Leuten den Wintersport näherbringen. Der Rennsport ist unser Aushängeschild, aber es geht nicht nur um den Rennsport. Der Skisport in Österreich bekommt Relevanz primär dadurch, dass viele Menschen Ski fahren. Und erst sekundär durch Erfolge im Rennsport.

STANDARD: Der ÖSV-Cheftrainer Marko Pfeifer denkt laut über eine Skihalle zu Trainingszwecken in Österreich nach. Wie primär ist dieser Wunsch?

Scherer: Für die Österreicherinnen und Österreicher brauchen wir keine Skihalle, das ist klar. Aber für gewisse Zwecke im Training kann eine Halle durchaus dienlich sein. Wir müssen nicht nur kurz-, sondern auch mittel- und langfristig planen.

STANDARD: Eine andere ÖSV-Idee ist, ein Trainingszentrum in Südamerika zu errichten.

Scherer: Sollten wir durch den Rennkalender genötigt sein, in Südamerika zu trainieren, so wollen wir das möglichst konzentriert tun. Aber das sind Themen, über die auch im Verband noch intensiv diskutiert wird. In nächster Zeit wollen wir einmal erreichen, dass die FIS-Rennen um einige Wochen später starten als jetzt. Das würde allen Nationen helfen, kostspielige Trainingslager in Südamerika und auch die im Vergleich günstigeren Trainings auf den Gletschern im Hochsommer zu limitieren. (Fritz Neumann, 5.10.2022)