Die Abhängigkeit von russischem Gas wird zusehends geringer. Alternativen kommen nun nicht mehr ausschließlich über Pipelines, sondern vor allem auch über LNG-Terminals.

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80,37 Prozent. Diese Füllstandsrate haben Österreichs Gasspeicher nunmehr erreicht. Es ist eine Erfolgsmeldung der türkis-grünen Bundesregierung, hat sie sich doch vorgenommen, die Speicher mit Beginn der Heizsaison zu 80 Prozent zu füllen. Dennoch bleiben Fragen offen.

Frage: Wie abhängig ist Österreich immer noch von russischem Gas?

Antwort: Zwar propagiert Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) gern, dass die Abhängigkeit von russischem Gas auf unter 50 Prozent gefallen sei – doch im Detail ist es komplizierter. Genaue Prozentangaben zu nennen ist kaum möglich. Grund dafür ist, dass durch Österreich viel Gas fließt, aber nicht alles für Österreich selbst bestimmt ist. Zu Beginn des Jahres wurden jedenfalls rund 80 Prozent kommuniziert, im August dieses Jahres lag die Abhängigkeit dann Schätzungen zufolge bei etwa 50 Prozent. Dieser Prozentsatz ist laut Carola Millgramm von der Regulierungsbehörde E-Control jedoch als ungefährer Richtwert zu verstehen und weniger als konkrete Zahl. Der Gasexpertin zufolge hat sich die Abhängigkeit aber jedenfalls verringert – schätzungsweise gar unter die 50-Prozent-Marke. Vielsagend ist in diesem Zusammenhang der Anteil russischen Gases auf Ebene der gesamten EU: Er beträgt derzeit nur noch zehn Prozent. Zudem zeigen Aktivitäten einiger Pipelines eine deutliche Reduktion der russischen Gaslieferungen, sagt Christoph Dolna-Gruber von der Österreichischen Energieagentur im STANDARD-Gespräch. Über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 etwa fließt aufgrund der Lecks kein Gas mehr, auch über die Pipelines in Polen und der Ukraine könnten verringerte Transportmengen beobachtet werden.

Frage: Woher kommt das Gas sonst?

Antwort: Da Österreich ein Transitland ist, kann das nicht exakt bestimmt werden. Fakt ist, dass nach wie vor über die Ukraine-Route Gas aus Russland nach Österreich fließt. Zudem laufen die Gaslieferungen aus Deutschland auf Hochtouren. Seit einigen Tagen kommt nun auch noch Gas aus Italien, das aufgrund des dortigen Gasboykotts durch Russland wieder nach Österreich zurückfließt. Konkrete Länder und Zahlen sind laut Dolna-Gruber kaum nennbar, da der Gashandel Teil eines integrierten europäischen Marktes ist; Ländergrenzen seien daher wenig relevant. Klar sei jedenfalls, dass verstärkt Lieferungen aus Norwegen kommen. Zudem wurden die Importe von Flüssiggas (LNG) über Terminals in Italien und den Niederlanden hochgefahren. Auch hier allerdings ist der Ursprung des Gases unklar, schließlich sind die beiden Länder gewissermaßen nur Zwischenstationen. Vor allem aber aus den USA sowie Katar könnten jedoch nennenswerte Mengen kommen – wobei es keine genauen Angaben gibt, wie viel davon nach Österreich gelangt.

Frage: Wie konkret konnte die Abhängigkeit von Russland reduziert werden?

Antwort: Vor allem dank des Umstiegs auf alternative Bezugsquellen. Dies geschah zwar zu hohen Kosten, war aber für eine Reduktion der Abhängigkeit von Russland unabdingbar. "In diesem Zusammenhang sind auch Energieeinsparungen sehr wichtig, weil sie den Gasverbrauch reduzieren", sagt Experte Dolna-Gruber.

Frage: Was passiert bei einem völligen Lieferstopp russischen Gases?

Antwort: Sollte Russland seine Lieferungen in die EU einstellen, wären laut Millgramm ausreichend Transportkapazitäten vorhanden, um die Gasbestände in Österreich sicherzustellen. Über Deutschland wären etwa 90 Terawattstunden (TWh) pro Jahr möglich, die Transportkapazitäten über die Pipelines in Italien könnten ebenfalls auf rund 70 TWh ausgeweitet werden. Fraglich wären dabei lediglich die vertraglichen Rahmenbedingungen, müssten doch erst zusätzliche Gasmengen – teuer – eingekauft werden.

Frage: Wie sieht das im nächsten Winter aus?

Antwort: Die Speicher müssen nach dem Winter jedenfalls wieder befüllt werden. Im darauffolgenden Winter wird russisches Gas wohl eine noch geringere Rolle spielen als derzeit. Mit günstigeren Preisen rechnet Dolna-Gruber nicht, schließlich würde die Verknappungssituation im kommenden Frühjahr nicht nachlassen. Das Ziel muss sein, allgemein vom Gas wegzukommen und stattdessen auf Erneuerbare zu setzen. Laut Carola Millgramm von der E-Control stellen sich drei zentrale Fragen: Wie verläuft der Winter klimatisch? Wie viel Gas wird zur Stromerzeugung benötigt? Und wie entwickeln sich die Transportflüsse über die Ukraine? "Jedenfalls gilt es, mit den derzeitigen Lagerbeständen hauszuhalten", sagt Millgramm. (Nicolas Dworak, Joseph Gepp, 4.10.2022)