Die Country-Sängerin Loretta Lynn ist im Alter von 90 Jahren gestorben.

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Gute Country-Songs sind wie Short Storys. Knappe Dramen, in denen geliebt, verlassen und geweint wird, gewürzt mit Sehnsucht, Witz und Zorn. Ein Großmeister dieser lebensnahen Erzählungen war Hank Williams, der in knapper Sprache ewige Zustände auf den Punkt brachte. Dasselbe lässt sich über Loretta Lynn sagen.

Während Hank Williams an dem Leben, das er führte, mit nur 29 Jahren zugrunde gegangen ist, wurde Loretta Lynn stolze 90 Jahre. Am Montag ist diese weibliche Country-Heilige im Schlaf gestorben.

Heilige ist vielleicht übertrieben, denn wie ihre männlichen Kollegen hatte sie eine so rustikale wie geschliffene Sprache. Gepaart mit einem emanzipatorischen Antrieb war das im stockkonservativen Country-Fach ein gewagter Schritt und neu. Doch für ihre Furcht war die am 14. April 1932 in Kentucky geborene Tochter eines Kohlenarbeiters nicht bekannt. Songs wie Fist City, Don't Come Home A-Drinkin' (With Lovin' on Your Mind) oder One’s on her Way signalisierten mit Witz und Verve ihre Haltung und letztlich eine Zeitenwende.

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Lynns Songs setzten dem von Männern und ihren Geschichten dominierten Fach die weibliche Perspektive entgegen. Das machte sie zum Superstar. Sie zählte neben Dolly Parton, Patsy Cline oder Tammy Wynette zu den erfolgreichsten weiblichen Country-Stars. Eine, die ihrer Herkunft nie verleugnet hat, sondern daraus ihre Stories destillierte, die Anliegen der Leute kannte. Klar sei sie stolz darauf, was sie geschafft habe, aber sie sei deshalb nicht besser als andere, sagte sie mehr als einmal.

Realvorlage

Diese Erdung machte sie ebenso zu einer Autorität wie ihre 48 Jahre dauernde, nicht gerade friktionsfreie Ehe mit ihrem Mann Oliver alias Doo. Der stand ihr einerseits als Manager zur Seite, war gleichzeitig aber auch die Realvorlage für Lynns Songs über Untreue, Trunksucht, häusliche Gewalt und dergleichen mehr.

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Sechs Kinder hatte Lynn, das erste brachte sie im Alter von 16 Jahren zur Welt, mit Anfang 30 war sie bereits Großmutter. 1960 veröffentlichte sie ihren ersten Song, Ochsentouren durch Juke Joints machten sie in den folgenden Jahren zum Star.

1978, ein Stern am Hollywood Boulevard.
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Mit Harold Lloyd Jenkins alias Conway Twitty gelang ihr in den frühen 1970ern eine Reihe von Nummer-eins-Hits. Mit ihm und als Solokünstlerin räumte sie sämtliche Preise des Fachs ab. Ihre goscherten, aber einfühlsamen Texten verbreiteten sich millionenfach, sie stand an Popularität Größen wie Johnny Cash oder Willie Nelson um nichts nach.

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1980 wurde ihr Leben unter dem Titel Coal Miners Daughter von Michael Apted verfilmt, Sissy Spacek erhielt für ihre Darstellung der Sängerin den Oscar.

77 ihrer Songs kamen in die Country-Charts, 16 davon ganz nach oben, über 50 landeten in den Top Ten. Aus den Juke Joints und Tavernen wurden die größten Häuser, aus der singenden Hinterwäldlerin eine amerikanische Heldin, eine bodenständige Feministin, die immer wieder erneut entdeckt wurde. 2004 produzierte Jack White von den White Stripes ihr Album Van Lear Rose und bescherte ihr damit einen weiteren Erfolg und ein neues, junges Publikum.

Lynn war eine erfolgreiche Unternehmerin, ihr Heim ein Wallfahrtsort für ihre Fans. Das Geheimnis ihres Erfolges sei, dass sie das Leben ihres Publikums kenne und selbst führe. Ihr Einfluss war dementsprechend. Knapp 80 Alben hat sie veröffentlicht, erst im Vorjahr erschien ihr letztes, bis zum Ende stolz und unbeugsam nannte sie es Still Woman Enough. (Karl Fluch, 4.10.2022)