Viele Staaten gehen nach mehreren Lecks an den Nord-Stream-Pipelines von Sabotage aus. Die genauen Hintergründe sind aber noch unklar.

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Der Krimi um die in der vergangenen Woche zerstörten Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 wurde am Dienstag um eine weitere Facette reicher. Russland, behauptete der ehemalige ukrainische Energiemanager Andrij Koboljew am Dienstag in der "Süddeutschen Zeitung", habe die Röhren am Meeresgrund der Ostsee schon beim Bau mit Sprengsätzen versehen, um den Gasstrom notfalls für Erpressungszwecke einsetzen zu können – vor allem gegen Deutschland. Nebenbei erspare sich der russische Energiekonzern Gazprom, der die nun zu drei Vierteln zerstörten Pipelines kontrolliert, Geldstrafen in Milliardenhöhe, falls Europa gegen die – schon vor den Explosionen vollzogene – Einstellung der Gaslieferungen klagt.

Koboljew, einst Chef des ukrainischen Energieversorgers Naftogaz, legt auch dar, wie Russland seiner Ansicht nach vorgegangen sei: Wegen der damals schon bestehenden Sanktionen des Westens sei Nord Stream 2 ausschließlich von russischen Unternehmen fertiggestellt worden, deren Schiffe von der russischen Marine eskortiert worden seien. So sei es ein Leichtes gewesen, an den Rohren explosives Material anzubringen.

Pipelines als Faustpfand?

Diese Praxis sei weder neu noch außergewöhnlich, erklärt Koboljew: Schon zur Zeit der Sowjetunion habe man kritische Infrastruktur mit Sprengsätzen versehen, um sie für den Gegner im Kriegsfall unbrauchbar zu machen.

Jeremy Stöhs, Fachmann für maritime Sicherheit am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS) in Graz, hält die These von den vorinstallierten Sprengsätzen für wenig wahrscheinlich. "Natürlich waren die Pipelines als Faustpfand geplant, um politische Zugeständnisse zu erzwingen. Eine solche Sabotage ist aber auch durch das Anbringen von Sprengsätzen von außen relativ leicht zu bewerkstelligen."

Politische Bedenken

In Sicherheitskreisen sei der Umstand, dass russische Firmen wegen der Sanktionen allein für den Bau von Pipelines verantwortlich zeichneten, aber schon länger kritisch betrachtet worden: "Es gab konkrete Hinweise darauf, dass Russland Sensoren entlang der Pipeline installieren wollte. Es wurde versucht, sowohl seitens deutscher als auch Nato-Militärvertreter auf Berlin einzuwirken, jedoch fanden diese meinen Informationen zufolge dort kein Gehör." Fest steht, dass mithilfe solcher Sensorik die Ostsee noch genauer militärisch überwacht werden könnte – dass sie dort angebracht wurde, ist aber nicht belegt.

Auch Stöhs' Kollege Johannes Peters von der Universität Kiel hält einige Ausführungen des ukrainischen Managers in der Theorie zwar für "denkbar, in ihrer Absolutheit aber für unwahrscheinlich". Denn, so Peters: "Man muss sich fragen, warum man bei einem Infrastrukturprojekt, das Jahrzehnte nach dem Kalten Krieg errichtet wird, Sprengsätze anbringen sollte."

Dass diese schon lange vor den Explosionen vergangene Woche an den Pipelines montiert wurden, will er nicht ausschließen. Wann genau, ist bisher aber völlig unklar: "Es ist nicht sicher, ob wir das jemals herausfinden." (Florian Niederndorfer, 4.10.2022)