Die ukrainische Flagge weht in einem Park in Kramatorsk. Auch die Region Donezk, zu der die Stadt gehört, wurde von Russland kürzlich für "annektiert" erklärt.

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Dass die Geopolitik nicht unbedingt so rund läuft wie ein Elektromotor, muss Tesla-Chef Elon Musk dieser Tage feststellen. Auf Twitter, wo sich der Milliardär mitunter polarisierend in das Schlachtfeld des Ukraine-Kriegs wirft, ließ Musk einen bestechend simplen Friedensplan vom Stapel: In den von Russland vergangene Woche annektierten Gebieten solle die Uno neuerliche Referenden überwachen; die Krim bleibe russisch, die Ukraine hingegen müsse neutral werden. Dies, so Musk, sei am Ende ohnehin das Resultat des Krieges – sein Plan würde lediglich weiteres Sterben verhindern.

Während der Kreml am Dienstag wenig überraschend lobende Worte ("positiver Schritt") dafür fand, ließ die Kiewer Führung kein gutes Haar an der Idee des Südafrikaners, dessen Satelliteninternet Starlink der ukrainischen Armee bisher wichtige Dienste geleistet hat.

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Der Ukraine schwebe ein weit "besserer Plan" als jener Musks vor, twitterte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak: Man werde nämlich das gesamte ukrainische Territorium einschließlich der annektierten Krim befreien, und Russland werde komplett entmilitarisiert, seine gefürchteten Atomwaffen inklusive. Andrij Melnik, scheidender ukrainischer Botschafter in Berlin, drückte sich Musk gegenüber noch ein wenig undiplomatischer aus: "Kein Ukrainer wird mehr Ihren Tesla-Mist kaufen."

Rückeroberungen gehen weiter

Kiews Selbstbewusstsein kommt nach der Ansicht des Bundesheer-Analytikers Markus Reisner nicht von ungefähr. Einerseits wolle man so die Entschlossenheit der ukrainischen Armee, der Bevölkerung und des Westens stärken, andererseits "ist das Momentum nach wie vor eindeutig auf der Seite der Ukraine". Zuletzt haben die ukrainischen Verteidiger auch im Süden des Landes Boden gutgemacht, wo es bisher – anders als etwa im Raum Charkiw im Nordosten – langsamer voranging.

In der Nacht auf Dienstag meldete das Militärkommando, ukrainische Truppen hätten entlang des Dnepr-Flusses mehrere Dörfer befreit, dutzende russische Panzer und mehrere Raketenwerfer seien dabei zerstört worden. "Den Ukrainern ist es gelungen, im Nordosten des russischen Brückenkopfes auf der Westseite des Dnepr einen Vorstoß zu erzielen. Nun müssen sie aber aufpassen, sich nicht zu überdehnen", schätzt Reisner die Lage im Süden ein.

Tor nach Nordosten

Die Rückeroberung des strategisch wichtigen Bahnknotenpunkts Lyman in der Region Donezk, die Präsident Wolodymyr Selenskyj am Sonntag feierlich verkündete, stellt für Reisner einen "noch größeren Erfolg für die Ukraine dar als die Offensive bei Charkiw". Lyman gilt als Tor zu den im Juli von russischen Truppen besetzten Industriestädten Lyssytschansk und Sjewjerodonezk. "Wenn es der Ukraine gelingt, von Lyman aus dorthin vorzustoßen, wäre der größte Erfolg Russlands in seinem Kampf um den Donbass gefährdet." Vor allem der psychologische Effekt, den die Befreiung von Lyman hier erzeuge, sei nicht zu unterschätzen, schließlich habe Russlands Präsident Wladimir Putin eben erst die Annexion der russisch besetzten Gebiete proklamiert.

Dass der Krieg in der Ukraine nun weitereskaliert, steht für den Analytiker Reisner fest. "Der Effekt der russischen Mobilmachung wird erst im kommenden Frühjahr zu sehen sein. Die Ukraine hat durch ihre erfolgreichen Offensiven auch schwere Verluste erlitten. Am Boden liegt Russland noch nicht." (Florian Niederndorfer, 5.10.2022)